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Russland
Kunstzentrum "Zarja" belebt Wladiwostok

In der russischen Stadt Wladiwostok ist in der sowjetischen Textilfabrik "Zarja" ein Zentrum für moderne Kunst entstanden. Es ist offen für Kreative, Hipster und auch Skateboard-Fahrer. Im Mittelpunkt steht die Street-Art.

Von Gesine Dornblüth |
    Das Gebäude des Kunstzentrums "Zarja" im russischen Wladiwostok
    Das Gebäude des Kunstzentrums "Zarja" im russischen Wladiwostok (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Die roten Backsteinbauten könnten in New York stehen, in Berlin oder in vielen anderen Metropolen der Welt. Zu Sowjetzeiten war hier die Textilfabrik "Zarja" untergebracht. Ein Alkoholfabrikant mit einem Faible für moderne Kunst hat das Gelände am Rand von Wladiwostok gekauft, Lofts gebaut, einen Teil vermietet und im vordersten Gebäude ein Zentrum für moderne Kunst eingerichtet. Adel Kim bleibt vor einer Wand stehen. Dort steht in großen Buchstaben: "Äj ty, ljubi menja", "Hey du, lieb mich".
    "Wir hatten schon alle Street-Art-Künstler hier, die in Russland Rang und Namen haben. Diese Aufschrift stammt von Timofej Radja aus Jekaterinburg. Sie ist so etwas wie unsere Visitenkarte."
    "Zarja" will ein Treffpunkt sein, kreatives Zentrum, offenes Haus, erläutert die Mitarbeiterin Adel Kim. Außer Ausstellungsräumen gibt es eine Bibliothek, Co-Working-Plätze und ein Café.
    "Zu uns kommen viele junge Leute, Hipster, um hier Skateboard oder Fahrrad auf dem Asphalt zu fahren. Andere Leute treffen sich hier, um zu diskutieren, Privatstunden zu geben oder zu spielen. Wir sind offen für alle. Und das ist ziemlich einzigartig in Wladiwostok, denn Räume, in denen man sich kostenlos treffen kann, gibt es hier praktisch nicht – abgesehen mal von öffentlichen Bibliotheken."
    "Die Krabbe im Inneren"
    Im Mittelpunkt aber steht die Kunst, und zwar Street-Art. 2012 richtete Russland in Wladiwostok den APEC-Gipfel aus, ein Treffen der Staats- und Regierungschefs im Asien-Pazifik-Raum. Im Vorfeld des Großereignisses wurden Straßen und Brücken gebaut, und der Bürgermeister erlaubte den einheimischen Künstlern, Wände zu bemalen. Damit setzte ein Boom ein. "Zarja" lädt Street-Art-Künstler aus aller Welt zu Gastaufenthalten nach Wladiwostok ein. Die Bedingung: Sie müssen etwas schaffen, das mit der Stadt zu tun hat. Gerade werden Objekte von Valerij Tschtak gezeigt. Er hat auch schon in Paris und London ausgestellt. Tschtak arbeitet mit verschiedenen Sprachen, in Schwarz-Weiß-Tönen, auf Pappe. Der Titel seiner Ausstellung: "Die Krabbe im Inneren", "Krab vnutri".
    "Der Titel klingt erst mal ziemlich seltsam. Wir hatten vor einiger Zeit eine Ausstellung über inoffizielle Kunst in Wladiwostok in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie hieß 'Die Gegend der Rebellen', 'Kraj buntarej'. Valerij hat nicht richtig hingehört und statt 'Kraj buntarej' 'Krab vnutri' verstanden. Den Titel fand er gut. Denn eine 'Krabbe im Inneren' ist ja etwas, was jedem passiert, der nach Wladiwostok kommt. Gerade ist Krabbensaison, wenn Sie Zeit haben, probieren Sie mal eine!"
    Retrospektive des verstorbenen Petersburger Künstlers Jurij Soboljew
    In diesem Sommer zeigt "Zarja" außerdem eine Retrospektive des 2002 verstorbenen Performers und Zeichners Jurij Soboljew aus St. Petersburg. Soboljew begann sein Schaffen in den 60er-Jahren. Er bewegte sich in denselben Kreisen wie Ilja Kabakow und Wiktor Piwowarow. Unter anderem zeichnete er den sowjetischen Kurztrickfilm "Die gläserne Harmonika" von 1968. Der Film erzählt vom Triumph der Kunst über das Böse. Er wurde verboten.
    Soboljew ist auch in Russland ziemlich unbekannt. Bisher gab es nur eine große Soboljew-Ausstellung in Moskau. Adel Kim ist stolz darauf, dass die zweite im Zentrum Zarja in Wladiwostok zu sehen ist: "Für eine Stadt mit weniger als einer Million Einwohnern ist die Szene bei uns sehr aktiv. Die Geschwindigkeit ist in Wladiwostok wie die in Moskau. Hier sind die Leute auch ständig in Eile, stehen genauso in Staus und bekommen davon genauso eine Menge Adrenalin und Genuss."
    Ruhe vor selbsternannten Sittenwächtern
    Und Wladiwostok habe einen Vorteil: Anders als in Moskau sei hier noch keine Ausstellung moderner Kunst von orthodoxen Radikalen oder anderen selbsternannten Sittenwächtern überfallen worden.
    "Die Welle ist hier noch nicht angekommen. In Wladiwostok gibt es zwar auch Kosaken und orthodoxe Aktivisten, aber bisher genießen wir einfach nicht so viel Aufmerksamkeit wie in Moskau. Schauen wir mal. Es wäre schön, wenn wir davon verschont blieben."