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Russland: Machtkampf oder Spiegelfechterei?

Ende des Jahres wählen die Russen ein neues Parlament und wenig später einen neuen Präsidenten. Werden sich Präsident Medwedew und Ministerpräsident Putin auf eine neue Machtteilung verständigen? Oder erlebt Russland doch noch einen Wettkampf um die Macht, wie er üblich ist in Demokratien? Eine von Putin gegründete neue Volksfront könnte auf diese Frage erste Antworten geben.

Von Robert Baag | 16.05.2011
    Die brünette Volkssängerin ist ganz aus dem Häuschen:

    "Als 'Geeintes Russland' gegründet wurde, war ich die Erste unter den Künstlern, die in diese politische Partei eingetreten ist. Niemand hat mich dazu genötigt. Es war der Ruf meines Herzens. Allein das Wort 'Geeintes Russland'! Wissen Sie, das sagt doch alles aus! Es erregt mich! Ja! Das ist wahr!"

    Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin hat alle Mühe, den exaltierten Redefluss von Nadjezhda Babkina zu stoppen. Immerhin: Es geht hier im südrussischen Wolgograd um nichts Geringeres als um eine "Gesamtrussische Volksfront", die eben auf seinen Vorschlag hin aus der Taufe gehoben werden soll. Die versammelte Parteiprominenz von "Geeintes Russland" klatscht lange und begeistert Beifall: Volksfront, Wolgograd - das frühere Stalingrad -, ein einstimmiges Plenum am Vorabend des 66. Jahrestages des sowjetischen Sieges über Hitlerdeutschland - so viele symbolisch aufgeladene Versatzstücke. Sowjetnostalgiker dürfen sich angesprochen fühlen - ein Stück "angewandte Polittechnologie": Die Parlamentswahlen im Dezember und die Präsidentschaftswahlen in gut einem Dreivierteljahr lassen schön grüßen.

    "Alle gesellschaftlichen Vereinigungen, die sich dieser Struktur anschließen, werden gleichberechtigte Partner sein, können ihre Ideen einbringen, Alternativvorschläge machen. Sie werden an den bevorstehen Dumawahlen teilnehmen, zusammen mit 'Geeintes Russland' die Kandidatenlisten erstellen. Unsere Kandidaten werden mit einem gemeinsamen Programm bei den Wahlen antreten. Das ist sehr wichtig und muss vorher ausführlichst innerhalb der Gesamtrussischen Volksfront diskutiert werden!"

    Dieser die Öffentlichkeit völlig überraschende Vorschlag Putins wird seither ausgiebig diskutiert. Zwar hat "Geeintes Russland" Putin schon vor knapp vier Jahren zum nationalen "Leader", zum "Führer der Nation" ausgerufen - Parteimitglied ist er aber immer noch nicht. Daran erinnert kurz darauf indirekt Staatspräsident Dmitri Medwedew bei einem Treffen mit Jungpolitikern aus allen Parteien in der Stadt Kostroma. Weder er noch Putin haben bislang erklärt, ob beziehungsweise wer von ihnen für das Präsidentenamt im kommenden März kandidieren will.

    "Früher oder später", so Medwedew, "muss der Präsident Russlands natürlich Mitglied einer Partei sein." - "Wann das sein wird?" - "Na ja", lacht er ein wenig verlegen, "dann, wenn es eben klappt. Aber bestimmt dann, wenn die erdrückende Mehrheit unserer Menschen dies anzunehmen bereit ist." - Für viele russische Analysten, so auch den Wirtschaftswissenschaftler Sergej Aleksaschenko, ist Putins jüngste Volksfront-Initiative ein deutliches Indiz dafür, dass der heutige Ministerpräsident wohl wieder als Präsidentschaftskandidat antreten möchte - doch da gebe es noch ein Motiv:

    "Putin macht sich Sorgen, weil die Zustimmung der Bevölkerung zu ihm und zu 'Geeintes Russland' nachlässt. Das lässt sich nicht mehr übertünchen. Er ist die Spitzenfigur von 'Geeintes Russland' bei den Dumawahlen. Also will er die Basis seiner Unterstützer möglichst breit erweitern. Er hofft, dass diese politischen Zwerge ihm bei den Wahlen hier noch 0,1 Prozent, dort noch 0,2 Prozent zusätzlich bringen."

    Noch glauben die meisten, dass die Lager um Putin und Medwedew sich am Ende auf einen Kandidaten einigen werden und dass - Stand heute - viel für einen nächsten Präsidenten Vladimir Putin spricht. Doch umso aufmerksamer ist wohl deshalb diese Passage bei Medwedews Auftritt vor den Jungpolitikern registriert worden:

    "Eine übermäßige Machtkonzentration - das ist eine gefährliche Sache! Das hat es in unserem Land mehrfach gegeben. Es führte in der Regel zu Stagnation oder zum Bürgerkrieg. - Versuche, die Macht im Staat einem einzigen Menschen unterzuordnen, sind auf jeden Fall gefährlich. Denn, wenn dies nicht schon in der Gegenwart zu Problemen führt, dann wird das ganz zweifellos schon in allernächster Zukunft mächtige Probleme machen - für das Land wie für jeden Menschen. Daran müssen wir denken und uns an die Lehren unserer Geschichte erinnern."