Am Wochenende in der sibirischen Großstadt Nowosibirsk: Das Konzert des Elektro-Duetts IC3PEAK war schon behördlich abgesagt worden, aber angereist waren Nastja Kresslina und Nikolaj Kostyljew trotzdem, im Zug. Kresslina filmt, wie ein Polizei-Mitarbeiter ihren Duett-Partner Kostyljew an Handschellen aus dem Bahnhof abführt. Der Musiker ist mit schwarzer Winterkapuzenjacke, Jeans und Turnschuhen bekleidet. Erst später wird dem Anwalt erklärt, es gehe um Drogen und die Überprüfung von Dokumenten. Dann kommen alle wieder frei.
Katz-und-Maus-Spiel
Ihr Konzert in Nowosibirsk bleibt abgesagt, doch es beginnt ein kurzes Katz-und-Maus-Spiel. IC3PEAK findet einen Ausweichort, eine kleine Halle mit Betonwänden. Über einen Telegram-Chat läuft die Info, wo sie am Abend auftreten wollen. Das Konzert geht eine Weile, bis die Polizei auftaucht. Die Beamten überprüfen Personalien der Fans, sprechen von Beschwerden wegen Lärms und beenden die Veranstaltung. Ein lokales Medium hatte das Konzert sogar gestreamt. Darunter nun zu sehen: viele verärgerte Kommentare.
"Ich übergieße meine Augen mit Kerosin, ganz Russland schaut mir zu, lasst alles brennen." Kresslina steht im Videoclip vor dem Regierungsgebäude in Moskau, Kostyljew lässt ein Streichholz fallen. In der nächsten Szene verzehrt das Duett rohes Fleisch an einem Tisch sitzend, der auf dem Roten Platz steht, danach sitzen die beiden auf den Schultern von Polizisten, klappen ihnen die Helmvisiere herunter. Im Hintergrund deutlich zu sehen: die Lubjanka, der Sitz des Inlandsgeheimdienstes FSB. "Sie drehen Dir die Arme auf den Rücken", beschreiben die Musiker Polizeigewalt gegen Demonstranten. Dazu trinken IC3PEAK Blut aus Wodka-Gläsern, singen ein paar Zeilen über Drogen. Und schließlich ertrinken sie im Fluss Moskwa.
Forderung alle Rap-Konzerte zu verbieten
"Kein Tod mehr", "Smerti bolsche njet", das ist der Titel des Stücks, auf YouTube. Mehr als sieben Millionen Aufrufe in gut einem Monat. Was sie und andere singen, geht manchem im Staatsapparat viel zu weit. Im Leningrader Gebiet hat ein regionaler Abgeordneter gefordert, alle Rap-Konzerte zu verbieten.
Aber dass im Staatsapparat wohl nicht sämtliche Funktionäre dasselbe denken, zeigt der Fall des Rappers Husky. Seine Texte, wie im Song, dessen Titel sich ungefähr mit "Dumme Kugel" übersetzen lässt, handeln regelmäßig von Gewalt, finden aber Fans – vor allem unter jüngeren Russinnen und Russen. "Ich will nicht schön sein, ich will nicht reich sein, ich will ein Maschinengewehr sein, das in Gesichter schießt", heißt es im Refrain.
Staatsanwaltschaft setzt Klubbetreiber unter Druck
Husky wird Extremismus vorgeworfen, in Russland ein strafrechtlicher Gummibegriff, unter den vieles fallen kann, wenn es den Behörden opportun erscheint. Dabei gibt er sich nicht permanent als Rebell: So ist Husky im vergangenen Jahr in der selbsternannten Donezker Volksrepublik in der Ostukraine aufgetreten. Der 25-Jährige, der seine Klicks auch in Millionenschritten zählt, hat nun vor etwa zwei Wochen in Krasnodar in Südrussland ein Konzert geplant. Aber der staatliche Widerstand ist erheblich: Die Staatsanwaltschaft setzt den Klubbetreiber unter Druck, der den Musiker daraufhin auslädt. Zwar findet der Rapper einen Ersatz-Klub, wo sich am Abend Fans versammeln. Aber dann wieder: Die Polizei erscheint, dem Klub wird der Strom abgestellt.
Der Rapper geht hinaus auf die Straße und beginnt ein Impro-Konzert auf einem Autodach. Nach einer Minute nehmen ihn die Beamten fest; er wird zu zwölf Tagen Arrest verurteilt. Wütende Reaktionen und Empörung sind in allen Netzwerken nachzulesen. Befreundete Musiker organisieren in Moskau ein Solidaritätskonzert. Dann plötzlich, nach nur vier Tagen Arrest, kommt Husky frei. Ob der wachsende Unmut die Funktionäre umgestimmt hat? Gerüchten zufolge durchaus.
Aufruf, die Musiker nicht zu verteufeln
Auf Instagram dankt Husky seinen Unterstützern. Seitdem ist die Lage ungeklärt: Einerseits werden weiter Konzerte in vielen Städten verboten, ihm und anderen. Andererseits hat einer der bekanntesten Fernsehpropagandisten, Dmitrij Kisseljow, gerade dazu aufgerufen, die Musiker und ihre Musik nicht zu verteufeln. Was Kisseljow sagt, setzen Beobachter häufig mit der Linie des Kremls gleich: Er spreche aus, was in der Machtzentrale gedacht werde.
Ob das diesmal auch stimmt, muss sich erst noch zeigen. Sicher ist: Kisseljows Sendung dürften die meisten Rap- und Hiphop-Fans gar nicht gesehen haben. Denn Fernsehen guckt von ihnen kaum noch einer.