Der Raum ist gerade mal zwölf Quadratmeter groß, die Wände kahl bis auf einen Kalender mit dem Foto des Kreml, eine Uhr, ein russisches Wappen. Ella Pamfilova sitzt hinter einem Tisch mit dicken Aktenordnern und macht sich Notizen. Seit drei Stunden schon. Die Luft ist stickig. Sie hält ihre Bürgersprechstunde ab, die erste seit ihrem Amtsantritt am 1. April. Gerade sind Anwälte da. Deren Mandantin, eine Bankangestellte, wurde wegen Geldwäsche verurteilt, zu Unrecht, sagen die Verteidiger. Der Rechtsweg ist fast ausgeschöpft.
Pamfilova verspricht, sich, wenn alles andere nichts nützt, persönlich bei Präsident Putin für eine Begnadigung der Frau einzusetzen.
Vor der Tür warten die nächsten Besucher, aber Pamfilova gönnt sich jetzt eine kurze Pause, geht in ihr Büro. In einer Viertelstunde sei sie wieder da, verspricht sie den Wartenden. "Ich habe lange gezweifelt, ob ich dieses Amt annehmen soll. Aber ich denke, meine Arbeit hat Sinn. Die Gesellschaft ist reifer geworden. Die Missstände haben in vielen Bereichen ein so kritisches Maß erreicht, dass einfach etwas geschehen muss. Zum Beispiel im Strafvollzug. Wir Menschenrechtler kämpfen seit zehn, fünfzehn Jahren für Verbesserungen. Wir wissen genau, was wir wollen. Wir können es durchsetzen, wenn der politische Wille da ist. Und das ist, denke ich, der Fall."
Pamfilova war nicht immer so optimistisch. Acht Jahre hat sie den Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten geleitet, von 2002 an. 2010 gab sie auf. Sie habe das Gefühl verloren, dass ihre Arbeit etwas bringe, sagte sie damals. Das war unter Präsident Medwedew, und er galt als vergleichsweise liberal.
"Einfacher, wenn Interessen der Politik und Zivilgesellschaft zusammenfallen"
"Präsident Putin hat sich letztes Jahr sehr häufig mit Menschenrechtlern getroffen. Er hat sehr schnell auf ihre Bitten reagiert. Putin hat Interesse daran, dass zum Beispiel in Gefängnissen nicht mehr gefoltert wird. Auch wenn es um die Rechte von Menschen mit Behinderungen geht, um Rechte von Kindern, um Umweltfragen, ist der Weg offen. Denn da fallen die Interessen der Zivilgesellschaft und der Politik zusammen. Schwierig ist es, sobald Menschenrechtsfragen und Politik sich überschneiden. Da kommt es immer zu Spannungen. Zum Beispiel, wenn wir unabhängige Gerichte fordern. Ich finde aber, man muss mit den Problemen anfangen, bei denen die Interessen übereinstimmen. Diese Probleme sollten wir lösen, und dann die übrigen angehen."
Zu den schwierigen Fragen gehört zum Beispiel die Tätigkeit russischer Nichtregierungsorganisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten. Seit in Russland das sogenannte Agentengesetz gilt, müssen sie sich in ein spezielles Register eintragen. Das betrifft die renommiertesten russischen Menschenrechtsorganisationen. Präsident Putin sagte letzte Woche bei einem Treffen mit Unterstützern, er habe nichts gegen Menschenrechtler, aber eins sei unzulässig: Interessen ausländischer Staaten zu bedienen. Da müsse man die Spreu vom Weizen trennen. Einige Menschenrechtler fürchten nun neue Repressionen. Zudem hat die Duma letzte Woche beschlossen, Blogger mit Medienbetrieben gleichzusetzen. Das schränkt ihre Möglichkeiten ein. Ella Pamfilova: "Wir werden das beobachten müssen. Andererseits ist die Einbürgerung liberalisiert worden. Die Situation entwickelt sich nicht in eine Richtung. Einiges wird liberaler, anderes härter. Das ist bei uns immer so."
Die Pause ist zu Ende. Der nächste Besucher gratuliert Pamfilowa zu dem neuen Posten und überreicht ihr ein Büchlein. Es sind Witze über Anwälte und Richter. "Ich werde das lesen, wenn ich unterwegs bin. Ich rede jeden Tag mit Menschen, die eine Menge Unglück, Willkür und Ungerechtigkeit erlebt haben. Ohne Humor halte ich das nicht aus."