Christoph Heinemann: Petersburg und Petersberg rücken in diesen Tagen zumindest politisch zusammen. Im südlichen Rheinland bei Bonn endet heute der Petersburger Dialog, benannt nach der früheren Zarenmetropole an der Ostsee. Ein russisch-deutsches Gesprächsforum, bei dem die diplomatische Formulierung "We agree to disagree" regelmäßig die Gesprächsergebnisse prägt: Wir sind uns einig, dass Meinungsverschiedenheiten bestehen. Etwa über Sinn oder Sinnlosigkeit von Sanktionen. Die Europäische Union hält es für keine gute Idee, Nachbarstaaten zu überfallen und deren Gebiete zu annektieren, deshalb sollen wirtschaftliche Nadelstiche die politische Lernkurve in Moskau verstetigen. Die Folgen dieser Sanktionen bekommen die ostdeutschen Bundesländer deutlicher zu spüren als die im Westen. Das Handelsvolumen mit Russland verringerte sich östlich der Elbe um 28 Prozent, im Westen um 17. Verständlich deshalb, dass sich Regierungschefs wie Michael Kretschmer in Sachsen für ein Ende der Strafmaßnahmen aussprechen.
Am Telefon ist Klaus Ernst von der Partei "Die Linke", der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, Wahlkreis Schweinfurt in Bayern, guten Morgen!
Klaus Ernst: Guten Morgen, Herr Heinemann!
Heinemann: Herr Ernst, beginnen wir mit der Energie. Russland ist drittgrößtes Kohleexportland, inwiefern passt dieses Geschäftsmodell zum Klimawandel?
Ernst: Gar nicht. Natürlich muss man gucken, dass man auch in Russland dazu kommt, den CO2-Ausstoß deutlich zu verringern. Und davon ist es natürlich auch abhängig, was die Russen mit ihrer eigenen Kohle machen. Beiträge, die dazu dienen, dass die Russen das verringern, sind wichtig und gut - und insofern ist auch das deutsch-russische Forum und der Petersburger Dialog wichtig und gut.
Heinemann: Wieso ist China längst ein Hochtechnologieland, während etwa die Hälfte der russischen Exporte Öl, Gas und Kohle ausmachen?
Ernst:Vielleicht hat ja der Westen auch einen Anteil. Die Sanktionen, die man hat, die wirken natürlich in einer Weise, dass die russische Wirtschaft doch erheblich behindert wird, im Übrigen auch die deutsche, Sie haben ja die Zahlen aus Ostdeutschland genannt. Und das Problem ist natürlich, dass man eigentlich dazu beiträgt, dass damit auch eine Umstellung der Wirtschaft auf ökologische Produktion oder zum Beispiel der Abbau von Kohle damit eher gefördert wird, weil man eben die Neuinvestitionen nicht kriegt oder nicht finanziert bekommt. Also, der Westen tut sich da ein bisschen schwer, wenn er auf der einen Seite sagt: Sanktionen - auf der anderen Seite aber eben Investitionen, die notwendig wären, dass auch die russische Wirtschaft sich umstellt, nicht erlaubt durch diese Sanktionen, die aus meiner Sicht, Sie haben es im Beitrag auch angesprochen, absolut überflüssig sind.
Russlands Handelsbeziehungen mit China
Heinemann: Herr Ernst, meinen Sie, dass Russland sich auf chinesischem Niveau bewegen würde, gäbe es die Sanktionen nicht?
Ernst: Wir haben ganz ein anderes Problem. Dadurch, dass diese Sanktionen wirken, orientiert sich natürlich Russland um. Sie orientieren sich ökonomisch zum Beispiel mehr nach China, versuchen ihre Handelsbeziehungen mit China deutlich zu verbessern. Das ist ein langfristiges Problem, wenn die Sanktionen so bleiben, werden die Russen auch als Handelspartner auf Dauer nicht mehr dieses alte Niveau erreichen, das sie hatten. Und das zweite ist, sie werden versuchen, ihre Wirtschaft zu subsidieren. Sie werden versuchen, das, was sie gekauft haben in der Bundesrepublik oder in Europa, selbst herzustellen. Die Sanktionen haben die Wirkung, dass auf Dauer die Beziehungen zwischen Russland und Europa auf wirtschaftlichem Gebiet nicht mehr so werden, und eher eine Autarkie Russlands oder ein Hinwenden von Russland nach China der Fall sein wird – und das kann nicht in unserem Interesse sein.
Heinemann: Das setzt ja erst mal technologische Fähigkeiten voraus. Noch mal die Frage zur Energiepolitik: Verpasst Russland die Energiewende?
Ernst: Sorry, das setzt keine technischen Fähigkeiten voraus ...
Heinemann: Doch sicherlich. Wenn Sie sagen, sie können die Waren, die sie im Westen gekauft haben, selber herstellen, dann setzt das erst mal voraus, dass sie dazu in der Lage sind.
Ernst: Ja, das machen sie mit China, das ist genau das Problem. Sie versuchen, Europa durch China zu ersetzen. Und das ist ein dauerhafter Prozess. Und der führt dazu, dass China, wenn die Sanktionen bleiben, das sieht auch die deutsche Wirtschaft im Übrigen so, auf Dauer als Handelspartner dieses Maß oder diese Intensität, die der Handel zwischen Deutschland und Russland schon hatte, das ist das eigentliche Problem.
Ernst: "Sanktionen haben keine Wirkung"
Heinemann: Die Sanktionen sind nicht vom Himmel gefallen, es gibt keine Bewegung bei Krieg und Annexion. Was bedeutet das für die Sanktionspolitik der Europäischen Union?
Ernst: Es gibt auch keine Wirkung dieser Sanktionen. Wir haben seit fünf Jahren diese Sanktionen, wir haben keine Änderung der russischen Politik.
Heinemann: Sie haben doch gerade die Wirkung beschrieben.
Ernst: Ja, die Wirkung, dass sie sich politisch ändern würden, dass sie sagen: Okay, wir ziehen uns aus der Krim zurück oder wir versuchen, in der Ostukraine eine andere Politik zu machen - das findet ja alles nicht statt. Wenn man eine Medizin verordnet und man stellt fest, dass die Wirkung dieser Medizin ausbleibt, im Gegenteil, es ist eher schädlich, auch für die deutschen Unternehmen, die dort tätig sind, dann muss man sich doch irgendwann überlegen, ob es vielleicht die falsche Medizin ist. Insofern ist es richtig, dass wir diesen Petersburger Dialog haben, dass der stattfindet, dass man sich wieder annähert. Wenn man diese Sanktionspolitik einfach weitertreibt, ohne miteinander zu reden, dann führt das in einer Welt, die von Spannungen geradezu übersät ist, dazu, dass es einen neuen Spannungsherd permanent weiter nährt. Und das ist angesichts der Politik der Vereinigten Staaten und angesichts dessen, was China für aggressive Handelspolitik auch im Ausland eben betreibt, das ist absolut der falsche Weg. Da bin ich Gott sei Dank nicht der Einzige, der das so sieht.
Heinemann: Herr Ernst, dosis facit venenum, wissen die Mediziner. Auf die Menge des Wirkstoffs kommt es an. Warum also nicht verschärfen die Sanktionen, bis es richtig wehtut?
Ernst: Also der frühere Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, der Herr Cordes, der hat mal gesagt im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestags: Ein starkes Europa ist ohne Einbeziehung Russlands schlichtweg nicht möglich, ich wiederhole, nicht möglich. Wir brauchen aber ein starkes Europa, um in der jetzigen Welt bei diesen Blöcken USA und China selbst als Europa zu bestehen. Wenn das ohne die Russen nicht möglich ist, müssen wir jede Möglichkeit versuchen, dass man erreicht, dass eine Zusammenarbeit möglich ist, zum Beispiel im Weltraum. Man vergisst immer, dass bei dieser Station, die wir da betreiben, Russland, Europa und Amerika ja zusammenarbeiten. Also, wir müssen mehr Zusammenarbeit hinkriegen, um ein starkes Europa zu erreichen, um künftig in dieser Welt, die ein bisschen anders ist als noch vor zehn Jahren, auch durch den amerikanischen Präsidenten, ein bisschen mehr Chancen zu haben, dass wir künftig auch wirtschaftlich ein starkes Europa bleiben und unsere Bürger entsprechend mit Wohlstand zu versorgen.
Von der Leyens Festlegung in der Sanktionsfrage
Heinemann: Die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat jetzt gesagt, der Kreml verzeiht keine Schwäche, aus einer Position der Stärke heraus sollten wir an den Russlandsanktionen festhalten. Warum sollte man dieses Druckmittel aus der Hand geben?
Ernst: Ja, weil es nichts nutzt. Ich habe es ja schon angesprochen, es hat keine Wirkung. Es hat die Wirkung, dass es den europäischen Unternehmen, insbesondere den ostdeutschen Unternehmen deutlich schlechter geht, aber auch den anderen Unternehmen. Ich war vor Kurzem bei einer Wirtschaftskonferenz, da hat der Vorsitzende der Geschäftsführung von Knorr-Bremse eindeutig darauf hingewiesen, dass es auch im Westen negative Auswirkungen hat. Man kann jetzt so weitermachen, wie von der Leyen das möchte, ich bedaure sehr, dass eine ihrer ersten Aussagen genau in diese Richtung ging, statt darüber nachzudenken, was man vielleicht anders machen muss. Weiter führt uns das nicht, sondern das führt weiter zu dem Tatbestand, dass Europa Russland eben nicht vernünftig einbezieht in die eigene Politik und damit natürlich auch sich selbst schwächt. Ich sage einfach, so richtig erfolgreich kann ich mir so eine Politik nicht vorstellen.
Heinemann: Sollten Krieg und Annexionen in Europa folgenlos bleiben?
Ernst: Nein, keinesfalls. Nur wenn wir den Maßstab der Europäer so nehmen, wie wir ihn gegenüber Russland nehmen, dann müssten wir ja die Sanktionen gegen Amerika haben, die nun völkerrechtswidrig zum Beispiel im Kosovo aktiv waren, die völkerrechtswidrig im Irak aktiv waren, die völkerrechtswidrig Guantanamo betreiben. Auch die Einsätze in Syrien waren mit Völkerrecht nicht gedeckt. Also, wenn wir überall mit Sanktionen handeln oder reagieren, dann müssten wir das bitteschön gegenüber allen machen - und dann wären die Ersten, die dran wären die USA.
Heinemann: Bleiben wir doch noch mal bei Russland. Wie sollte denn die EU auf die Sowjetisierung der russischen Außen- und Sicherheitspolitik reagieren?
Ernst: Ach, Sowjetisierung der russischen Außen- und Sicherheitspolitik. Ich stelle fest, dass Russland das größte Interesse hat, mit Europa einigermaßen vernünftigen Handel zu betreiben. Und ich stelle fest, dass sie eigentlich nicht wollen, dass sie eingekreist werden durch Maßnahmen der USA. Wir haben wieder Truppen stationiert in Europa der Amerikaner, die natürlich von Seiten der Russen als Bedrohung empfunden werden. Und eben deshalb ist es wichtig, dass wir miteinander reden, dass ein Dialog stattfindet. Es war, glaube ich, Laschet, der mal gesagt hat: Es ist wichtig, dass man den anderen auch versteht, was der eigentlich meint, warum er etwas macht. Und deshalb ist der Dialog so wichtig - und deshalb hoffe ich, dass man dort auch über die Sanktionen redet und dass man zu dem Ergebnis kommt, sie schrittweise systematisch abzubauen.
Heinemann: Danke schön für das Gespräch!
Ernst: Danke schön!
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