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Russland
Pussy Riot: Zahl der politischen Gefangenen steigt

Proteste gegen Repression und für freie Wahlen in Russland nehmen laut Pussy-Riot-Mitglied Marija Aljochina zu. Das Regime versuche jedoch, die Protestbewegung durch eine Stigmatisierung als Staats- und Volksfeinde zu unterdrücken, sagte die Polit-Aktivistin im Deutschlandfunk.

Marija Aljochina im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Pussy-Riot-Mitglied Marija Wladimirowna Aljochina während einem Interviewtermin, am Freitag, 9. März 2018, in Wien.
Verhaftungen wegen Protesten gehörten heute zum Alltag in Russland, meint Pussy-Riot-Mitglied Marija Aljochina (dpa / picture alliance / EXPA / Michael Gruber)
Christoph Heinemann: Was sollten die Menschen über die heutige Lage in Russland wissen?
Marija Aljochina: Die Menschen sollten wissen, dass wir keine Demokratie haben. Die Zahl der politischen Häftlinge, die gegen Repressionen und für freie Wahlen protestieren, wächst leider.
"Kunst kann die Welt verändern"
Heinemann: Welche Erfahrungen haben Sie seit Ihrer Freilassung gemacht?
Aljochina: Viel ist passiert. Wir haben die Plattform Mediazona gestartet, die einzige, die über Polizeigewalt, über Gewalt in den Haftanstalten und über politische Gerichtsprozesse berichtet. Für uns ist das sehr wichtig, nur so können wir zeigen, was gegenwärtig in den Gefängnissen unseres Landes passiert. Wir veranstalten weiterhin Aktionen auf der Straße. Und für mich war es ein Kindheitstraum, ein Buch zu schreiben.
Ich bin froh, dass Menschen jetzt meine Geschichte kennenlernen. Ich bin viel gereist, habe viele Länder gesehen und auch wie verschiedene Gesellschaften leben und arbeiten. Ich wäre froh, wenn eines Tages, ich weiß nicht wann, diese Erfahrung auch für mein Land von Nutzen sein kann.
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer am 2. Juli 2015 in Hamburg.
Wladimir Kaminer: "Die richtige Zeit für Pussy Riot"
Trotz Haftstrafen nach der Flitzer-Aktion im WM-Finale lassen die Polit-AktivistInnen von Pussy Riot nicht locker: Sie veröffentlichten den Song "Track About Good Cop", der die Sicherheitskräfte persifliert. Nach der WM würde die Polizei weniger freundlich sein, sagte Autor Wladimir Kaminer im Dlf.
Heinemann: Warum fürchtet sich das Regime vor Künstlerinnen und Künstlern?
Aljochina: Kunst kann die Welt verändern. Russland ist nicht das einzige Land, in dem Kunstschaffende unterdrückt werden. Das geschieht auch im mittleren Osten oder in China. Überall dort wo Diktatoren für immer auf ihren Sesseln sitzen bleiben möchten. Kunst kann ein anderes Bild davon liefern, wie die Dinge sein können. Wahrscheinlich unterdrücken sie Künstler deshalb.
"Ausmaß des Hasses ist wirklich sehr groß"
Heinemann: Wie schaffen autoritäre Regime ein Klima der Furcht und Angst?
Aljochina: Durch das Prinzip des unsichtbaren Krieges für die Menschen innerhalb des Landes. Das Ausmaß des Hasses, das die Propaganda liefert, ist wirklich sehr groß. Sie bilden spezielle Ausdrücke wie Staatsfeind, Volksfeind, also Begriffe der alten Sowjetunion. Das ist der schlimmste Krieg: Der Krieg gegen die Bürgerinnen und Bürger Ihres eigenen Landes. So fürchten sich Menschen. Einige haben Angst davor, dass sie ihre Arbeit verlieren oder ins Gefängnis gehen. Aber sie beginnen auch, voreinander Angst zu haben.
Hören Sie hier das Interview in der englischen Originalversion
Heinemann: Was bedeutet das?
Aljochina: Das bedeutet, Angst davor zu haben, ehrlich zu sein, sie selbst oder er selbst zu sein. Schwer zu erklären: Selbstzensur. Das ist nicht immer logisch. Es hat mit Furcht zu tun. Furcht hat nichts mit Logik gemein. Furcht schafft eigene Gebäude im Kopf. Das hat in vielen Dingen nichts mit der Wirklichkeit zu tun.
Aljochina: Verhaftungen wegen Protesten gehören zum Alltag
Heinemann: Hat sich Russland seit 2012, seit ihrem Auftritt in der Kathedrale, verändert?
Aljochina: Es hat sich sehr verändert. Das Verhältnis zwischen dem Staat und den Bürgerinnen und Bürgern hat sich zum Schlechteren verändert. Wie gesagt, die Zahl der politischen Gefangenen, Leute, die für nichts im Gefängnis sitzen, nimmt zu. Pussy Riot hat diesen Schock ausgelöst, weil wir zu den ersten Leuten gehörten, die wegen ihrer Proteste ins Gefängnis gekommen sind. Heute gehört das zur alltäglichen Wirklichkeit.
Nastya Awott und Marija Wladimirowna Aljochina während dem Performance/Konzert "Pussy Riot" presents "Riot Days - Tage des Aufstands", am Freitag, 9. März 2018, in Wien.
Marija Wladimirowna Aljochina (rechts) bei einem Auftritt von Pussy Riot 2018 in Wien (dpa / picture alliance / EXPA / Michael Gruber)
Heinemann: Erwarten Sie irgendeine kurzfristige politische Veränderung in Russland?
Aljochina: Veränderungen sind bereits im Gang. Es gibt enorme Proteste im ganzen Land unterschiedlicher Art: für ökologische Ziele, für demokratische. Künstlerischer Protest gegen die Zensur. Und viele Künstlerinnen und Künstler beginnen, sich politisch zu äußern. Darunter sehr populäre Leute wie Musikerinnen und Musiker. Im vergangenen Jahr hatten wir so etwas noch nicht. Also: das ist gut!
"Männlichkeitskult, den ich einfach nur komisch finde"
Heinemann: In früheren Liedern haben Sie auch gegen Präsident Trump Stellung bezogen. Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen den Präsidenten Putin und Trump?
Aljochina: In einigen Punkten durchaus. Der Kult eines großen Mannes, ein großer Papa, der die Probleme aller Menschen löst. Ein Männlichkeitskult, den ich einfach nur komisch finde. Allerdings wurde Donald Trump gewählt, während Präsident Putin den Präsidentensitz okkupiert hat. Und dazwischen besteht ein großer Unterschied.
Heinemann: Trotz aller Ihrer Erfahrungen, was gibt Ihnen Hoffnung für die Zukunft?
Aljochina: Die Zukunft findet gerade statt, und ich mache jetzt, was ich kann. Russland verändert sich natürlich auch schon zum Besseren. Denn nicht nur der Kreml steht für Russland, sondern wir auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.