Beck ist auch Sprecherin für Osteuropapolitik der Grünenfraktion. Sie betonte, für den schlechten Zustand seien nicht die Sanktionen des Westens verantwortlich. "Der entscheidende Punkt ist der gesunkene Ölpreis. Das Budget des russischen Haushaltes hängt zu 50 Prozent vom Export von Öl und Gas ab", sagte Beck.
Putin sei nun nicht mehr der, der den Wohlstand gebracht habe. "Er muss damit umgehen, dass das Alltagsleben der Menschen schlechter wird. Die Rentner sind schlecht dran, Lebensmittel werden teurer, der Rubel wertet sich ab. Um das zu überstehen, helfen innere und äußere Feinde", sagte sie.
Die inneren Feinde seien die Nichtregierungsorganisationen, die teils zu ausländischen Agenten erklärt würden. In der Außenpolitik steht der Westen als "Feind" parat. "Insofern wird die Bevölkerung nach dem Motto 'die Feinde stehen innen und außen, wir müssen zusammenhalten, egal was es kostet' eingestimmt", sagte Beck.
Zusammenbruch des Imperiums als nicht verwundene Kränkung
Die Politik von Präsident Putin im Syrienkonflikt nannte sie "sprunghaft". Das Grundproblem sei ein Mangel an Vertrauen, der begründet sei. "Versprechen sind gebrochen worden. Für eine so komplizierte Situation wie in Syrien ist es dann schwierig, gemeinsam Politik zu machen."
Putin sei aber als Geheimdienstmann ausgebildet und denke sehr rational. "Aber auch sehr kaltblütig", so Beck. Hintergrund sei eine nicht verwundene Kränkung, "dass das große russische Imperium nicht mehr besteht". Und man kenne aus deutscher Geschichte nach dem Versailler Vertrag, "wie das zum Boden geworden ist für die Radikalisierung einer Gesellschaft". Russland müsse damit fertig werden, dass es nicht mehr das einzige große Imperium neben den USA ist. "Wir sind keine bipolare Welt mehr, sondern eine multipolare."
"Europa muss Grundsätze erhalten"
Europa müsse bei Konflikt in Syrien politische Grundsätze von Menschlichkeit, Humanität, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit als Richtschnur erhalten. "Wenn wir alles geschehen lassen, werden die Dschihadisten ein leichtes Spiel haben, mit der Botschaft: Den Westen könnt Ihr vergessen, die glauben an ihre Grundsätze überhaupt nicht."
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Eine neue Eiszeit zwischen Russland und den USA, ein neuer Kalter Krieg, unken manche. Wir haben es gehört. Washington bricht Anfang der Woche den Syrien-Dialog mit Moskau ab. Im Gegenzug legen die Russen ein Atomabkommen mit den USA auf Eis. Inzwischen reden beide Seiten wieder miteinander, genauer die beiden Außenminister haben gestern Abend miteinander telefoniert. Das tue ich jetzt auch, und zwar mit Marieluise Beck, Außen- und Menschenrechtspolitikerin der Grünen im Bundestag, Sprecherin ihrer Fraktion für Osteuropapolitik. Guten Morgen, Frau Beck!
Marieluise Beck: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Irgendwie muss es ja weitergehen zwischen den USA und Russland. Wird es aber künftig eher ein Miteinander, oder ein Gegeneinander sein?
Beck: Das kann ich Ihnen derzeit nicht sagen. Die Politik von Putin, vom Kreml ist sprunghaft. Das Grundproblem ist ein Mangel an Vertrauen, ein leider begründeter Mangel an Vertrauen, weil wir es immer wieder wie übrigens auch schon in der Ukraine mit Regelbrüchen zu tun haben und mit dem Bruch von Versprechen. Und das ist natürlich dann für eine so hoch komplizierte Situation, wo in Syrien sich so viele Player überlagern, ganz, ganz schwierig, gemeinsam Politik zu machen.
"Die russische Wirtschaft ist in sehr schlechter Verfassung."
Dobovisek: Warum ist Putins Kurs so sprunghaft, wie Sie sagen?
Beck: Sicherlich hat es mit den inneren Verhältnissen mehr zu tun, als wir oft bei uns sehen wollen. Man muss wissen, dass die russische Wirtschaft in sehr schlechter Verfassung ist und damit auch der Staatshaushalt. Das hat nur zu kleineren Teilen mit den Sanktionen zu tun, sondern eigentlich ist der entscheidende Punkt der gesunkene Ölpreis. Und das Budget des russischen Haushaltes hängt zu 50 Prozent vom Export von Öl und Gas ab. Putin ist also nicht mehr derjenige, der der Bevölkerung vermeintlich Wohlstand gebracht hat, denn das war der sich erhöhende Ölpreis, sondern muss jetzt damit umgehen, dass das Alltagsleben der Menschen viel, viel schlechter wird. Die Rentner sind schlecht dran, die Lebensmittel werden teurer, der Rubel wertet sich ab, und um das zu überstehen, helfen äußere und innere Feinde.
Dobovisek: Als Ablenkungsmanöver sozusagen?
Beck: Es sind sicherlich Ablenkungsmanöver und wir wissen ja, dass die Propagandamaschine in die Bevölkerung hinein mit hoher Intelligenz und auch Wirkung angeworfen worden ist. Die inneren Feinde sind die Nichtregierungsorganisationen. Gerade ist Memorial zum "Agenten von außen" erklärt worden, ein Begriff aus der stalinschen Zeit. Und insofern wird die Bevölkerung nach dem Motto, 'die Feinde stehen innen und außen, wir müssen zusammenhalten, egal was es kostet', eingestimmt.
"Es geht nicht um das Wohl des Volkes."
Dobovisek: Gegen diese Erklärung als ausländischer Agent will sich die Menschenrechtsorganisation Memorial ja auch noch gerichtlich wehren. Mal sehen, wie das weitergeht. - Aber kommen wir zurück zu der Motivlage Putins. Sie haben den Druck angesprochen, die wirtschaftliche Situation, er muss liefern, auch seinem eigenen Volk gegenüber. Sind wir da im Westen, in Europa, in den USA, auch in Deutschland vielleicht zu verständnislos?
Beck: Ich sehe nicht, dass wir Verständnis haben müssten für ein autoritäres bis diktatorisches Regime, das seine eigene Machthierarchie versucht zu retten. Es geht ja nicht darum, dass dem Volk wirklich Entwicklungsmöglichkeiten gegeben werden, dass die Ökonomie sich entwickeln könnte. Sondern das alles wird ja erdrückt durch eine Hierarchie, die zu guten Teilen aus dem ehemaligen Geheimdienst stammt und die einen unvorstellbaren Wohlstand um sich gesammelt haben. Diese Hierarchie muss bedient werden, die vielen Beamten müssen bedient werden. Es geht also nicht um das Wohl des Volkes, das Putin da kreiert.
Dobovisek: Aber offenbar führt ja der Druck, der vom Westen aufgebaut wird, über Sanktionen und politische Einflüsse und auch verbal, genau in die falsche Richtung.
Beck: Sollten wir - ich muss Sie umgekehrt fragen - sollten wir Russland gestatten, der souveränen Ukraine schlichtweg zu untersagen, sich in einen Rechtsstaat Richtung Europäische Union zu entwickeln? Sollten wir da einfach zusehen, zuschauen und den Menschen auf der Welt zeigen, auf uns kann sich niemand verlassen? Ich glaube, das geht nicht.
Dobovisek: Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass Barack Obama weit davor noch Putin zutiefst gekränkt hat, indem er Russland verbal zur Regionalmacht degradierte und dies bis heute bei Gelegenheit wiederholt. War das ein Fehler?
Beck: Man kann natürlich sagen, das war nicht besonders glücklich. Aber Sie müssen sich anschauen: Man antwortet nicht mit Fassbomben und der Bombardierung von Menschen in Syrien auf eine vermeintliche Kränkung durch einen US-Präsidenten. So irrational ist Putin auch nicht. Wir müssen uns in Erinnerung rufen: Er ist als Geheimdienstmann ausgebildet. Er kann sehr wohl rational denken. Und ich glaube, dass er das auch sehr rational, aber eben auch sehr kaltblütig tut.
Beck: Russland muss damit fertig werden, dass es nicht mehr das einzige große Imperium ist
Dobovisek: Wie weit spielen dann aber Kränkung und Enttäuschung und Eitelkeiten da doch eine Rolle?
Beck: Die spielen sicherlich auch in der Politik eine Rolle. Es gibt auch da eine menschliche Dimension. Aber die größere Rolle spielt die nicht verwundene Kränkung, dass das große russische Imperium nicht mehr besteht, dass es zerfallen ist. Und wir kennen aus deutscher Geschichte, wie nach dem Ersten Weltkrieg, Versailles, wie das zum Boden geworden ist für eine Radikalisierung einer Gesellschaft. Und ich glaube, es geht eher darum, dass Russland damit fertig werden muss, dass es nicht mehr das einzige große Imperium neben den USA ist. Heute gibt es auch China. Wir sind keine bipolare Welt mehr, sondern eine multipolare.
Dobovisek: Und das ist ja genau das Problem, und wenn sich jetzt zwei ehemalige bipolare Mächte gegenüberstehen, USA, Russland, scheinbar unversöhnlich, und wir sozusagen mitten drin als Europäische Union, als Deutschland, welche Rolle muss Europa dabei spielen?
Beck: Europa muss die Rolle spielen, dass die gemeinsamen politischen Grundsätze von Menschlichkeit, von Humanität, auch von Rechtsstaat und Freiheit, denen sich Russland ja angeschlossen hat in den 90er-Jahren und zunächst auch Anfang der 2000er, dass die unsere Richtschnur bleiben. Es kann nicht sein, dass wir sagen, egal wie und welche Diktatur, schauen Sie nach Nordkorea, Hauptsache es gibt nach außen Stabilität. Und ich möchte auch daran erinnern, dass das syrische Problem so massiv ist, weil es ja noch mehr Konfliktpartner gibt, Iran und Saudi-Arabien, die Hisbollah, die mit agiert. Und wenn wir alles geschehen lassen, werden die Dschihadisten, die Islamisten ein leichtes Spiel haben mit der Botschaft, der Westen, den könnt ihr vergessen, die glauben an ihre Grundsätze überhaupt nicht.
Dobovisek: Es gibt viele Interessen in Syrien und auch die beiden großen Seiten haben Interessen, die USA und Russland. Gibt es da gute und schlechte Interessen?
Beck: Es gibt keinen Unterschied zwischen guten und schlechten Interessen, aber es muss einen Maßstab geben, wer macht was. Und wenn Russland einen syrischen Diktator, der für fürchterliche Gräuel verantwortlich ist, in den Haftanstalten, in den Folterkellern, wenn es ihn in der Macht hält, dann sind das das Hinnehmen und Unterstützen von Unmenschlichkeit und Inhumanität. Die dürfen nicht einfach schweigend übergangen werden.
Dobovisek: Wie gefährlich ist diese Konfrontation zwischen USA und Russland, gerade mit Blick auch auf den Sicherheitsrat, der gelähmt ist? Syrien ist nicht die einzige Krise, aber die Krise, die noch so lange und so dermaßen blockiert wird im Sicherheitsrat.
Beck: Genau da haben Sie aber einen Punkt zwischen guten und schlechten Interessen. Die USA unter Präsident Obama und die anderen Mächte sind ja bereit gewesen im Sicherheitsrat und haben es immer wieder versucht, gemeinsame Lösungsschritte zu entwickeln, und es ist Russland einseitig gewesen, das sich diesem Prozess, diesem langsamen und schwierigen Prozess, von dem jeder wusste, dass er Zeit brauchen würde, bereit gewesen ist mitzumachen. Hier ist doch sehr eindeutig eine politische Verantwortung zuzuordnen.
Beck: Russland will zurück auf die Weltbühne
Dobovisek: Unterstellen Sie Russland, nicht am Frieden interessiert zu sein?
Beck: Russland setzt zumindest andere machtpolitische Interessen über das Wohl der Bevölkerung. Das kann man sehr deutlich sagen. Es geht Russland offensichtlich darum, wieder zurückzukommen auf die Weltbühne, auf Augenhöhe, und dabei bereit zu sein, tatsächlich jeden Diktator zu stützen, in diesem Fall das verbrecherische Regime von Assad.
Dobovisek: Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Beck: Bitteschön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.