"Opritschniki" war der übereinstimmende Kommentar kritischer russischer Intellektueller auf den 64-Seiten-Plan des Präsidenten, eine Nationalgarde zu schaffen. Opritschniki hießen die Gardisten der Leibwache und Geheimpolizei von Iwan dem Schrecklichen im 16. Jahrhundert und späterer Zaren. Die Dumaabgeordneten sollen und werden das Vorhaben absegnen.
Die Kräfte des russischen Innenministeriums, Spezialeinheiten wie die Omon-Truppe oder die SOBR- Antiterroreinheit sowie der Geheimdienst FSB, die sich alle in der Vergangenheit nicht grün waren, sollen nun unter einem Dach vereint werden. An dessen Spitze wird Viktor Solotow stehen, ein Putin-Vertrauter aus Petersburger Zeiten.
Der ehemaligen Ermittler und Anwalt Wladimir Kalinintschenko kann sich nur schwer vorstellen, dass die Institutionen, die einander häufig genug bekämpft haben in der Vergangenheit, nun alle zusammen eine Nationalgarde bilden. Für Kalinintschenko beginnt das Problem schon bei der Bezeichnung. Welche Nation gibt der Nationalgarde ihren Namen?
"Ich verstehe nicht, was das bedeutet: eine Nationalgarde in einem föderalen Vielvölkerstaat. Welche Nationalität ist gemeint? Die tschetschenische, burjatische, russische?"
Neuer Abbau der Gewaltenteilung und der Demokratie
Die Philosophin und Publizistin Irina Prochorowa sieht in der Schaffung der Nationalgarde vor allem ein weiterer Abbau der Gewaltenteilung und damit Demokratie.
"Das ist ein trauriger Vorgang und im Volk spricht man schon von der zweiten Opritschnina. Wenn man einen totalitären Staat schaffen möchte, muss man alle Institutionen in Straforgane umwandeln. Da man eine demokratische Gesellschaft offenbar nicht will, schafft man Institutionen, die Druck ausüben sollen."
Einmal mehr konzentriert sich die Macht in immer weniger Händen. Der Innenminister wird geschwächt, für Putin eine Sondertruppe installiert, die viel weitergehende rechtliche Befugnisse hat als bisher. Dass die Initiative von Putin ausging, wundert Kalinintschenko nicht im Geringsten, alle wichtigen Posten im Land würden von ihm besetzt.
"Wer legt fest, wer im Ermittlerkomitee ist, wer ernennt Richter, wer ernennt die Leiter der Ministerialverwaltungen – das geht doch schon lange so. Das ist nicht neu. Außer, dass sich jetzt Strukturen ändern. Wenn nun FSB und Miliz zusammenarbeiten sollen, habe ich eine Menge Fragen."
Die neue Nationalgarde soll bis zu 300.000 bewaffnete Männer umfassen. Dass sie schießen dürfen ohne Vorwarnung, ein Territorium absperren, Häuser durchsuchen können, wann immer sie es für nötig halten, wird auf der Straße diskutiert. Juristen dagegen sagen, dass das schon die bisherige Gesetzgebung ermöglicht.
Finanzierung ohne gesellschaftliche Kontrolle
Für den Bürgerrechtler Pawel Tschikow ist viel wichtiger, dass sich Befugnisse, die bislang nur die Polizei hatte, auf die Truppen des Innenministeriums ausweiten, die zum Beispiel in beiden Tschetschenienkriegen im Einsatz waren und die Finanzierung weitgehend ohne gesellschaftliche Kontrolle erfolgt.
"20 Milliarden Rubel pro Jahr zusätzlich sollen für diese Strukturen zur Verfügung stehen, die aber nicht über den Haushalt festgelegt werden, sondern fast keiner Kontrolle unterliegen werden. Somit entsteht eine Armee mit fast einer halben Million Mann, die eigene Einnahmen über die Vergabe von Waffen oder Lizenzen als Wachdienst erzielen darf."
Viktor Schenderowitsch, einer der schärfsten Putin-Kritiker im Land, fasst seine Bedenken angesichts einer neuen Zarenarmee, wie er sie nennt, so zusammen:
"Es geht nicht nur um eine Wachmannschaft für ihn, sondern um eine, deren Personal er vertraut. Es ist eine Armee, die er nicht im Interesse des Landes einsetzt, sondern für sich persönlich. Nur die Geschichte der Zaren zeigte auch: Im allerwichtigsten Moment versagten die Opritschniki ihnen den Dienst. Für Putin ist seine nächste Umgebung äußerst gefährlich."