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Russland
Rätselhafter Smog in Moskau

Seit Wochen schon ist die Luftverschmutzung in Moskau extrem, die Sicht schlecht. Die Moskauer rätseln über die Ursache der ungewöhnlich hohen Luftbelastung. Jetzt haben die Behörden einen Schuldigen ausgemacht: den Borkenkäfer.

Von Gesine Dornblüth |
    Skyline von Moskau im Smog versunken.
    Smog in Moskau - über die Ursachen schweigen sich die Behörden aus. (dpa / picture alliance / Evgenya Novozhenina)
    Seit Wochen klagen die Moskauer über extreme Luftverschmutzung. Mal riecht es nach Verbranntem, mal nach faulen Eiern. Der Radiosender Kommersant.fm hat Stimmen beunruhigter Bürger aus dem Internet zusammengetragen.
    Metsam etwa schreibt: "Vor ein paar Tagen habe ich mein Auto gewaschen. Ich bin danach nur ein bisschen in Moskau herumgefahren. Und der Wagen stand einen Tag draußen. So etwas habe ich noch nie gesehen. Eine richtige Rußschicht auf dem Auto. Und das atmen wir ein!"
    Am Freitag riet das Zivilschutzministerium den Moskauern sogar, zuhause zu bleiben und die Fenster geschlossen zu halten. Erinnerungen an den Sommer 2010 werden wach. Damals hatten in Zentralrussland großflächig Torffelder gebrannt. Der Rauch war buchstäblich bis in den Kreml gezogen. Die Zahl der Todesopfer wurde nie veröffentlicht. Viele Menschen gingen damals nur noch mit Atemschutzmasken auf die Straße.
    Das ist heute nicht der Fall. Sergej Babak, Arzt einer Moskauer Klinik für Atemwegserkrankungen, vergleicht die Lage dennoch mit 2010. Er sagte dem unabhängigen Internetsender Doschd-TV:
    "In den vergangenen drei Tagen haben sich 40 Patienten an uns gewandt, deren Gesundheitszustand sich verschärft hat. Das war 2010 ähnlich. Es kommen chronisch Kranke. Die Feinstaubbelastung verursacht bei ihnen Heiserkeit, Husten, Atemnot. Die Medikamente, die sie gewöhnlich einnehmen, helfen nicht mehr."
    Der Borkenkäfer ist schuld!
    Die Moskauer rätseln über die Ursache der ungewöhnlich hohen Luftbelastung. Die Behörden haben einen Schuldigen ausgemacht: den Borkenkäfer. In den vergangenen Jahren hat er große Waldflächen im Moskauer Umland vernichtet. Jetzt wird das tote Holz gerodet und verbrannt. Da Wind und Wetter ungünstig seien, werde Moskau nun mal eingeräuchert, erklärt das Zivilschutzministerium nicht zum ersten Mal. Aleksej Jaroschenko von Greenpeace Russland hält diese Erklärung für Unsinn.
    "Es wird wirklich Gehölz verbrannt. Aber nicht in einem Umfang, der ganz Moskau einräuchern könnte. Der Rauch erreicht allenfalls den Stadtrand."
    Greenpeace vermutet vielmehr, dass ein Industriebetrieb die außergewöhnliche Luftverschmutzung verursacht hat, eventuell bei einem Unfall. Die Umweltbehörde hat in den letzten Wochen diverse Fabriken im Moskauer Stadtgebiet überprüft. Vor allem eine Raffinerie des Großkonzerns Gazprom-Neft steht unter Verdacht. Proben ergaben, dass die Raffinerie gleich mehrere Grenzwerte um ein Vielfaches überschreitet. Um zu beweisen, dass sie für den Smog verantwortlich ist, reichte es aber nicht. Man hätte früher handeln und sofort Proben nehmen müssen, meint Greenpeace-Mitarbeiter Jaroschenko. Das sei aber nicht geschehen, weil das Zivilschutzministerium zuerst auf die Borkenkäfer und die Brände im Moskauer Umland verwiesen habe. Jaroschenko fühlt sich an die Sowjetunion erinnert.
    "In der Sowjetunion wurden Katastrophen allerdings komplett totgeschwiegen. Das geht heute nicht mehr, dank der Blogger und Journalisten. Deshalb denken sich die Behörden jetzt merkwürdige Begründungen aus."
    Den Moskauern bleibt die Hoffnung auf einen Wetterwechsel. Mit dem ersten Schnee werde die Luft sauberer, sagen Meteorologen. Er wird aber frühestens Anfang Dezember erwartet. Radio Kommersant zitiert den Blogger Sergej Jevdokimov.
    "Das ist der Rauch des Vaterlandes. Man muss stolz auf ihn sein und einatmen, einatmen, einatmen."