Mit "Gamer" hat Oleg Senzow bisher erst einen Spielfilm gedreht. Für lange Zeit könnte die Geschichte eines einsamen Computerspielsüchtigen jedoch der letzte Film des ukrainischen Regisseurs bleiben. Die russische Staatsanwaltschaft wirft dem Filmemacher vor, auf der Krim eine terroristische Gruppe gebildet und Anschläge organisiert und durchgeführt zu haben. Senzow weist sämtliche Vorwürfe zurück. Er erkennt das Gericht im südrussischen Rostow nicht an. In seinem Schlusswort zitierte der Angeklagte am vergangenen Mittwoch einen Klassiker der russischen Literatur, in dem es um einen satirischen Blick auf die Bürokratie zu Sowjetzeiten, um Gut und Böse und um Leben und Tod geht:
"Die größte Sünde auf der Welt ist die Feigheit. Das hat der große russische Schriftsteller Michail Bulgakow in dem Roman "Der Meister und Margarita" geschrieben. Und ich stimme ihm zu. Die Feigheit ist die größte, die Hauptsünde auf der Welt."
Festnahme nach Protestaktion
Der 39-Jährige wurde in Simferopol, der Hauptstadt der Krim geboren. Zunächst war Senzow bei den Protesten auf dem Maidan in Kiew aktiv. Als Russland die Halbinsel im Frühjahr 2014 annektierte, kehrte er zurück, um ukrainische Soldaten mit Lebensmitteln zu versorgen. Nach einer Protestaktion wurde er im vergangenen Jahr festgenommen. Im Juli 2015 begann der Prozess gegen ihn und den mitangeklagten Aktivisten Alexander Koltschenko. Beide sollen ein Büro einer pro-russischen Partei in Brand gesetzt haben. Außerdem sollen sie geplant haben, eine Lenin-Statue in die Luft zu sprengen. Koltschenko, dem zwölf Jahre Haft drohen, hat seine Beteiligung gestanden. Senzow beteuert dagegen seine Unschuld. In ihrem Schlussplädoyer fand seine Verteidigerin Svetlana Sidorkina deutliche Worte:
"Die Männer auf der Anklagebank sind Opfer der russisch-ukrainischen Beziehungen. Dieser Prozess hat politischen Charakter. Wenn das Gericht dem Antrag des verehrten Staatsanwaltes folgt, wird dieser Prozess als Schandfleck in die Geschichte der russischen Justiz eingehen."
Auch Senzow hält das Verfahren für politisch motiviert. Vor Gericht schilderte er, wie er von Beamten gefoltert worden sei. Ähnliches berichteten zunächst Belastungszeugen, die ihre Aussagen später allerdings widerriefen. Sie erklärten, dass man sie unter Druck gesetzt habe. Der Vorwurf, Senzow sei Mitglied des in Russland verbotenen ukrainischen "Rechten Sektors", wurde zwar fallen gelassen – allerdings habe sich Senzow dessen Ideologie zu Eigen gemacht, konstatiert die Staatsanwaltschaft. Sie zeigt sich unbeeindruckt von einer Welle der Unterstützung, die der Regisseur erfährt. Die Europäische Filmakademie setzt sich seit Langem für ihn ein. Gestern folgte die Deutsche Filmakademie mit einem offenen Brief an die russischen Behörden und Präsident Vladimir Putin.
Internationale Kritik an dem Prozess
Erst am vergangenen Wochenende hatte der stellvertretende Vorsitzende der Europäischen Filmakademie, der britische Produzent Mike Downey, Senzow beim Sarajevo Film Festival öffentlich unterstützt. Bereits zuvor äußerte sich Downey, wie andere prominente Kollegen, in einem Videoclip:
"Ich glaube, dass Großherzigkeit eine der wichtigsten menschlichen Qualitäten ist, die ein Mensch im Rechtswesen und im sozialen Leben haben kann. Dazu gehören Objektivität und Wahrheitsliebe. Lassen sie Oleg Senzow frei. Der Mann ist unschuldig."
In Russland schweigen viele Filmschaffende. Einige äußerten jetzt jedoch auch Kritik am Prozess, unter ihnen Regisseure wie Alexander Sokurov, Vladimir Mirzoev oder Alexei German junior, der 2008 für "Paper Soldier" den Silbernen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig erhielt. In diesem Jahr wurde German für "Under Electric Clouds" bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären für herausragende künstlerische Leistungen in der Kategorie Kamera geehrt. Aussichten, die für Oleg Senzow in weite Ferne zu rücken scheinen. Ihm drohen 23 Jahre Lagerhaft. Trotzdem wirkte er in Rostow gefasst. In seinen Schlussworten erinnerte er an seinen Kampf auf dem Maidan und den Kampf gegen die Feigheit:
"Wir hatten eine kriminelle Führung. Aber wir haben auf dem Maidan dagegen gekämpft. Ich wünsche dem russischen Volk, dass es lernt, keine Angst mehr zu haben."