In seiner Rede zur Lage der Nation Ende 2016 sprach Wladimir Putin über das bevorstehende Jubiläumsjahr: 100 Jahre Februar- und Oktoberrevolution seien ein Anlass, noch einmal über die Gründe und die Natur der Revolutionen nachzudenken – und Gräben zu überwinden.
"Wir brauchen die Lehren aus der Geschichte vor allem für die Aussöhnung: Um den gesellschaftlichen, politischen und zivilen Konsens zu festigen, den wir heute erreicht haben. Wir sind ein geeintes Volk, ein Volk, und wir haben nur ein Russland."
In Bezug auf das Jahr 1917 ist Russlands Gesellschaft von einem Konsens allerdings noch weit entfernt. Putin selbst verurteilt jede Art von Revolutionen. Über Lenin sagte er vor einem Jahr:
"Er hat eine Atombombe unter ein Gebäude namens Russland gelegt. Später ist sie explodiert. Die Revolution war überflüssig."
Verurteilung beider Revolutionen
Das Ergebnis der Revolution allerdings, die Sowjetunion, begrüßt Putin – ihren Zerfall bezeichnete er als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Zugleich lobt er den Zaren. Unter Putin beging Russland 2013 das Jahr der Romanows.
Dieser Tage äußerte sich Patriarch Kirill, in ideologischen Fragen dicht an Putin, zum Jahr 1917. Auch er verurteilte beide Revolutionen.
"Die Revolution war ein großes Verbrechen, und die, die das Volk in die Irre geführt haben, die Konflikte provoziert haben, verfolgten damit ganz andere Ziele, als sie vorgaben. Wie viele unschuldige Opfer, wie viel Leid hat das gebracht!"
Andere unterscheiden zwischen den beiden Revolutionen. Kürzlich fand in Moskau eine Podiumsdiskussion statt. Dabei trat die Witwe des Schriftstellers Alexander Solschenizyn auf. Sie kritisierte Umbrüche generell, fand aber doch ein gutes Wort über die Februarrevolution:
"Im Februar 1917 bekam Russland für sehr kurze Zeit eine Demokratie. Zumindest die Absicht einer Demokratie. Unsere Februar-Demokratie war aber sehr schwach."
Die Übergangsregierung verkündete nach der Revolution im Februar 1917 Grundrechte der Bürger. Rechte, die Lenins Revolutionäre massiv verletzten. Die Bolschewiken hätten die Katastrophen der Sowjetunion zu verantworten, stellt denn auch Natalja Solschenizyna fest.
Ganz gemäß der Ideologie der Sowjetunion lobt hingegen Kommunistenchef Gennadij Sjuganow die Oktoberrevolution und fordert, ihrer angemessen zu gedenken. Die Februarrevolution habe das Land an den Abgrund gebracht.
"Nur der Große Oktober hat das zerfallene Imperium wieder geeint, hat alle Lebensbereiche auf einzige Art und Weise modernisiert, den Faschismus besiegt, den Kosmos erobert und ein atomares Gleichgewicht hergestellt."
Die Geschichte Russlands - frei von Widersprüchen
Sjuganow folgert:"Wenn wir das Beste aus der Zeit nehmen, werden wir viel erreichen. Wir müssen alle drei Epochen vereinen."
Nämlich: Die Zarenzeit, die sowjetische und die heutige unter Putin. Der Historiker Sergej Lukaschewski schüttelt den Kopf über derlei Äußerungen. Er leitet das Sacharow-Zentrum in Moskau, einen der wenigen Orte im Land, an denen noch rege gesellschaftliche Debatten stattfinden.
"Der Staat will eine Geschichte des russischen Staates darstellen, die frei von Widersprüchen ist und in dem der Staat die Hauptrolle spielt. Wer einigermaßen logisch denkt, kann nicht gleichzeitig Anhänger des Russischen Reiches und der Sowjetunion sein.
Um das zu glätten, wird eine Ideologie konstruiert, die in etwa so geht: Jede Erschütterung und Revolution ist schlecht, jeder starke Staat ist gut. Deshalb: Das Russische Imperium ist gut, Lenin und die Revolution sind schlecht, Stalin, der den starken Staat wieder hergestellt hat, ist gut."
Russland plant in diesem Jahr zahlreiche Veranstaltungen zum Revolutionsgedenken: Ausstellungen, Diskussionen, Filme. Im Herbst soll in St. Petersburg der Sturm auf das Winterpalais in einer Multimediashow nachgestellt werden. Und auf der annektierten Halbinsel Krim soll ein Denkmal für das Jahr 1917 eröffnet werden. Der Titel: "Aussöhnung."