Russlands Schattenflotte
Alte Öltanker in der Ostsee - eine ökologische Zeitbombe?

Mit maroden Schiffen exportiert Russland Öl über die Ostsee – und unterläuft damit Sanktionen des Westens. Umweltschützer warnen: Die Geschäfte füllen Moskaus Kriegskasse und bedrohen die Küste. Wie gefährlich ist die Schattenflotte?

    Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace demonstrieren in der Ostsee vor einem Schiff, das russisches Öl transportiert. Auf einem Plakat steht: Kein Geld für Krieg.
    Greenpeace-Aktivisten halten die alten Tanker für eine große Gefahr für die Umwelt. Russland finanziere mit seiner Schattenflotte außerdem den Krieg in der Ukraine. (picture alliance / dpa / Frank Molter)
    Seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der Westen zahlreiche Sanktionen gegen Russland verhängt. Trotzdem wächst die dortige Wirtschaft. Ein Grund: die Schattenflotte. Alte Tanker, mit denen Moskau Öl ins Ausland exportiert. Umweltschützer warnen vor Gefahren für die Ostsee und fordern ein härteres Durchgreifen.

    Inhalt

    Was ist Russlands Schattenflotte?

    Sie sind alt, oft marode. Ein enormes Risiko für das Ökosystem, sagen Umweltschützer. Von einer „wichtigen finanziellen Lebensader“ Moskaus in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine sprechen Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Gemeint sind Tanker der sogenannten russischen Schattenflotte.
    So werden Schiffe bezeichnet, mit denen Russland Öl über die Ostsee ans Ausland exportiert – trotz westlicher Wirtschaftssanktionen. Oft unter unklaren Eigentumsverhältnissen und ohne ausreichende Versicherung gegen Folgen einer Umweltkatastrophe. Dabei hätte eine Ölpest verheerende Auswirkungen auf das Ökosystem der Ostsee und die deutsche Küste, warnt Greenpeace.

    Zwei bis drei Schiffe pro Tag

    Laut der Umweltschutzorganisation sind die Fahrten der aus Russland auslaufenden Öltanker in der Ostsee seit Januar 2021 um 70 Prozent gestiegen. Das geht aus einer Datenrecherche hervor, die Greenpeace im September veröffentlicht hat. Demnach fuhren im vergangenen Jahr rund 1.000-mal mit Öl beladene Tanker an der deutschen Küste vorbei. Im Durchschnitt zwei bis drei Schiffe pro Tag. Einige dieser „schrottreifen Kolosse“, wie die NGO die Frachter bezeichnet, ließen sich von Warnemünde oder Kühlungsborn aus mit dem Fernglas beobachten.
    Aus wie vielen Schiffen Russlands Schattenflotte besteht, ist schwer zu beziffern. Die Rating-Agentur S&P Global geht in einem Bericht von 591 Tankern aus, die mit Verschleierungstaktiken, etwa unter häufig wechselnder Flagge und komplexen Eigentumsverhältnissen, russisches Öl exportieren. Laut Greenpeace kreuzen viele dieser Tanker Naturschutzgebiete wie die Kadetrinne in der Mecklenburger Bucht.

    Die Schattenflotte und die russische Wirtschaft

    Öl ist Russlands wichtigstes Wirtschaftsgut. Als Reaktion auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine haben die EU, die G7-Staaten und internationale Partner zahlreiche Sanktionen gegen Moskau verhängt. Zu den wichtigsten gehören das EU-Embargo für russische Ölimporte auf dem Seeweg und der international vereinbarte Öl-Preisdeckel.
    Seit Ende 2022 darf kein Öl aus Russland mehr an europäischen Häfen angelandet werden. Zudem sind Fuhren in Drittstaaten verboten – es sei denn, der Preis liegt unterhalb der Obergrenze von 60 Dollar pro Barrel. Die Maßnahme setzt beim Schiffstransport und der Versicherung an, das heißt Käufer von russischem Öl dürfen nur dann westliche Dienstleistungen in Anspruch nehmen, wenn sie die Grenzwerte einhalten.
    Trotz der insgesamt mehr als 13.500 Sanktionen wächst die russische Wirtschaft, auch das Öl-Geschäft boomt. Als Reaktion auf die Beschränkungen suchte Russland nach neuen Märkten, Abnehmer russischen Öls sind vor allem China, Indien und die Türkei. Eine zentrale Rolle spielt zudem die Schattenflotte. Sie sei Teil der „systematischen Bemühungen, die Sanktionsmaßnahmen der EU zu unterlaufen“, schrieben EU-Abgeordnete in einer gemeinsamen Entschließung Mitte November.

    Die Schattenflotte und der Krieg in der Ukraine

    Ein Ziel des Ölembargos und des Preisdeckels war es, dass weniger Geld aus Energieimporten in den Krieg in der Ukraine fließt. Allerdings, mahnt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, habe Russland seit Beginn der Invasion allein aus Ölexporten mit seiner Schattenflotte mehr Geld verdient, als die Ukraine an internationalen Hilfen erhalten habe.
    „Öl ist das Lebenselixier von Putins Regime und die Schattenflotte von Tankern hält es am Leben“, warnte Selenskyj in einer Videobotschaft an das Europäische Parlament Mitte November 2024. Er forderte schärfere Sanktionen, vor allem gegen russische Ölverkäufe.
    Auch die EU-Abgeordneten nennen Russlands Schattenflotte in ihrer gemeinsamen Entschließung „eine wichtige finanzielle Lebensader für Russland in seinem illegalen und ungerechtfertigten Angriffskrieg gegen die Ukraine“. Ähnlich bewertet dies der Meeresbiologe Thilo Maack von Greenpeace. Russland erziele mit den veralteten Tankern Gewinne, „um damit Raketen zu bauen, zu kaufen, um in der Ukraine Krankenhäuser und Kindergärten zu bombardieren“. Das sei „absolut unhaltbar“.

    Welche Risiken bergen die Öl-Tanker für die Ostsee?

    Mit der wachsenden Flotte steigt zudem das Risiko für die Umwelt. Umweltschützer Maack sieht in den maroden Schiffen eine massive Gefahr für die Ostsee. Laut Greenpeace-Analysen betrage das Durchschnittsalter der Tanker 17 Jahre. „Das ist für so einen Tanker und das Material viel zu alt." Dazu kämen weitere Risikofaktoren: eine schlechte Wartung, eine "nicht besonders gut ausgebildete" Crew und die unzureichende Versicherung gegen Folgen einer Umweltkatastrophe.
    Dabei hätte eine Ölpest durch die alten Ölfrachter „historische Ausmaße“, ist der Meeresbiologe überzeugt. Weitreichende Gebiete wären betroffen, darunter zahlreiche Natur- und Vogelschutzgebiete an beliebten deutschen Ostseestränden, warnt Greenpeace. Die Aufräumarbeiten würden Jahrzehnte dauern, schätzt Maack und warnt: „Es ist keine Frage, ob eine solche Ölpest passiert, sondern wann.“

    Wie reagiert die Europäische Union?

    Im Juni hat die EU erstmals 27 Schattentanker auf eine Sanktionsliste gesetzt. Maack hält das für unzureichend. Greenpeace habe eine Liste mit rund 200 Frachter zusammengestellt, die die NGO als „besonders gefährlich“ einschätzt und die aus ihrer Sicht prioritär behandelt werden sollten. „Es ist höchste Zeit, dass die von Greenpeace gelisteten Schiffe direkt auf die Sanktionsliste kommen und die Meere sicherer werden“, fordert der Biologe. „Schiffe, die auf einer Sanktionsliste stehen, können ihre Ladung nicht mehr gegen US-Dollar verkaufen und fallen damit aus dem internationalen Ölhandel aus.“ Zudem dürften sanktionierte Tanker keine europäischen Häfen mehr anfahren.
    In ihrer Mitte November 2024 angenommenen Entschließung hat sich das Europäische Parlament für ein hartes Durchgreifen gegen Russlands Schattenflotte ausgesprochen. Gezieltere Maßnahmen sollen mit den nächsten EU-Sanktionspaketen umgesetzt werden. Die Abgeordneten fordern eine systematische Sanktionierung von Schiffen, die ohne bekannte Versicherung durch EU-Gewässer fahren, und verlangen eine bessere Überwachung. Auch werden die G7-Staaten aufgefordert, die Öl-Preisobergrenze besser durchzusetzen, den Grenzwert deutlich zu senken und gegen Schlupflöcher vorzugehen, die Russland nutze, um Erdöl umzuladen und zu Marktpreisen zu verkaufen.

    irs