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Russland
Sibiriens Ängste vor dem chinesischen Nachbarn

Eine chinesische Firma hat 115.000 Hektar Land im sibirischen Grenzland östlich des Baikalsees gepachtet - und das gleich für 49 Jahre. Das weckt den Widerstand der Bevölkerung. Sie befürchtet den Ausverkauf ihres Landes und zieht bereits jetzt gedankliche Parallelen zur Ostukraine.

Von Florian Kellermann |
    Die Menschen hinter dem Baikalsee gelten als ruhig und politisch eher passiv. Ein einziger Bürger protestierte am Mittwoch in Tschita, der Hauptstadt von Transbaikalien, wie diese Region in Ostsibirien heißt. Nikolaj Lichanow schmückte die Treppe vor dem Regionalparlament mit einer Aufschrift: "Land der Gesetzlosigkeit - Russland" war dort zu lesen. Lichanow kritisierte, dass die Region 115.000 Hektar Land an eine chinesische Firma verpachten will - für 49 Jahre. Damit handle der Gouverneur gegen die Interessen der eigenen Nation so Lichanow, um sich zu bereichern.
    "Mit meinem Protest will ich die Bürger und Justiz darauf aufmerksam machen, dass die korrupte Staatsmacht für die Finanz-Probleme unserer Region verantwortlich ist."
    Online wird mehr protestiert
    Im Internet protestieren viel mehr Bürger aus der Region gegen den Deal. Schon einige Tausend haben einen Aufruf an den Gouverneur Konstantin Ilkowskij unterschrieben. Bisher gebe es ja nur eine Absichtserklärung, beschwichtigte dieser. Und sicherte zu, dass das Land nicht der chinesischen Firma direkt, sondern an ein Konsortium mit chinesischer Beteiligung übergeben werde.
    Aber damit konnte Ilkowskij die Gemüter kaum beruhigen. Seine Pläne schlagen inzwischen Wellen bis ins 6.000 Kilometer entfernte Moskau.
    Der Pachtvertrag sei erst der Anfang, die Staatsmacht verkaufe den Osten Russland auf lange Sicht an China, schimpfen Publizisten, Politiker und sogar Schlagersänger wie der landesweit populäre Josif Kobson, der ansonsten als strammer Putin-Anhänger gilt.
    Der Journalist Sergej Dorjenko, Chefredakteur des Radiosenders "Govorit Moskwa" - auch er keineswegs ein Oppositioneller:
    "Für mich ist das ein Verbrechen. In einer Grenzregion darf man Land nicht an einen Nachbarn verpachten. Da sollten mindestens 1.000 Kilometer Abstand zur Grenze sein. Diese Firmen bringen ihre Infrastruktur mit und ihre Arbeiter. Und in 49 Jahren veranstalten sie ein Referendum, bei dem dann schon die Mehrheit für einen Anschluss an China stimmt. So wird Sibirien zur chinesischen Provinz."
    China allerdings ist vordergründig wohl erst einmal gar nicht so sehr an Sibirien insgesamt oder an Transbaikalien interessiert, sondern schlicht an Ackerland.
    Versorgungssicherheit als oberste Priorität
    Die Versorgung der Chinesen mit Nahrungsmitteln hat für das Land der Mitte höchste Priorität. Beim Weizen kann es sich inzwischen fast schon selbst versorgen, heißt es. Doch in dem Land wächst der Wohlstand - und damit die Nachfrage. Für weitere hochwertige Agrarprodukte fehlt es - wegen der Weizenproduktion - dagegen an Anbauflächen. So muss China heute etwa Sojabohnen importieren.
    Auch in der Ukraine pachten chinesische Firmen deshalb immer größere Flächen. Dort macht dies den Menschen kaum Angst - anders in Russland.
    Denn das größte Flächenland der Welt hat tatsächlich ein Problem mit Sibirien und anderen Gebieten weit im Osten. Immer mehr junge Menschen ziehen von dort weg, etwa nach Moskau oder Sankt Petersburg. Dafür siedeln sich immer mehr Chinesen an. Bei einer Umfrage sagte eine Frau aus der Großstadt Chabarowsk am Grenzfluss Amur:
    "Früher sind die Chinesen als kleine Händler über die Grenze gekommen und haben ihre Waren angeboten. Heute fahren sie mit teuren Autos durch unsere Straßen, kaufen Firmen und Wohnungen. Da fragst Du Dich, ob das hier überhaupt noch Russland ist - oder nicht schon eine Art Niemandsland."
    In der rechtlichen Grauzone
    Auch konkrete Erfahrungen mit chinesischen Investorenhaben die Menschen skeptisch werden lassen. So pachten offiziellen Angaben zufolge chinesische Firmen schon jetzt hunderttausende Hektar Wald, ebenfalls in Transbaikalien.
    Örtliche Medien berichten, sie hielten sich dabei nicht an geltende Gesetze. Anna Lupaschko, Leiterin eines Forstbetriebs, bestätigt dies:
    "Sie pachten den Wald für 49 Jahre und glauben, dass alles, was dort über und unter der Erde ist, ihnen gehört. Meine Jäger bringen mir Rucksäcke voller selbst gebauter Fallen. Die chinesischen Förster lassen die Fallen sogar den ganzen Sommer liegen. So sterben viele Tiere, darunter Rothirsche, Bären und sibirische Moschustiere."
    Die Kritik am wachsenden Einfluss chinesischer Firmen ist in den vergangenen Tagen so sehr angewachsen, dass der jüngst beschlossene Pachtvertrag wieder infrage steht. Denn sogar das russische Parlament beschäftigte sich nun mit den Plänen. Es hat verschiedene Behörden beauftragt, das Abkommen zu prüfen. Die sollen jedoch vor allem herausfinden, ob das Ganze überhaupt sinnvoll sei - ökonomischsinnvoll.