Eine Frau liegt am See und sonnt sich, ein Pärchen knutscht auf der Bank. Der Park Torfjanka liegt mitten zwischen gesichtslosen Plattenbauten. Der Park macht das Stadtviertel im Nordosten von Moskau erst attraktiv. Eltern fühlen sich hier so sicher, dass sie ihre Kinder im Vorschulalter alleine durch die Büsche tollen lassen.
Eine Großstadt-Idylle, wäre da nicht diese merkwürdige Szenerie am Rand des Parks: ein umzäuntes Gelände mit einem großen Holzkreuz, zwei Zelte und zwei Menschengruppen, die sich offenbar feindselig gegenüber stehen. Eine Frau, etwa 50 Jahre alt, ist aufgebracht.
"Wir wollen nicht, dass sie diesen Park zerstören. Wo sollen wir sonst hingehen, sonst ist doch alles zugebaut! Wir sind nicht gegen Religion oder die Kirche. Aber wir wollen den Park behalten. Hier ist schon Iwan III. auf einem Bären zum Jagen gegangen."
Die Frau schaut hinüber zur anderen Gruppe, etwa zehn Meter entfernt. Dort stehen die Verteidiger des Kirchenprojekts. Sie haben sich um den Zaun gereiht, der das mutmaßliche Baugrundstück begrenzt. Eigentlich kein großes Grundstück. Aber die Demonstranten wollen erfahren haben, dass der Plan der Kirche ein viel größeres Areal vorsieht, dass hier der halbe Park verschwinden soll. Immer wieder fliegen Schimpfwörter über den Rasen. Die Kirche greife zu üblen Tricks, sagt Igor Warjatschew. Er ist fast Tag und Nacht hier, damit die Bagger nicht auf das Grundstück gelangen können.
"Sie sind hierüber gekommen, haben provokante Fragen gestellt und alles mit der Videokamera aufgenommen. Danach haben sie das im Internet veröffentlicht und mich dort beschimpft - mal als Gottlosen, mal als Juden, mal als Angehörigen einer sexuellen Minderheit. Natürlich nicht so, sondern mit vulgären Schimpfwörtern."
Kirche im Torfjanka-Park
Die Kirche im Torfjanka-Park ist Teil eines groß angelegten Plans. Vor fünf Jahren vereinbarten ihn der damalige Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow und der Patriarch der orthodoxen Kirche Kyrill. Der Plan sieht den Bau von 200 orthodoxen Gotteshäusern in Moskau vor. Die Begründung: In der russischen Hauptstadt gebe es pro Einwohner deutlich weniger Kirchen als im Landesdurchschnitt. 66 sind seitdem entstanden - oder noch im Bau. Aber noch nicht in der Gegend um den Torfjanka-Park, sagt einer der Verteidiger der Kirche.
"Wir brauchen jetzt Kirchen. Die Menschen kehren zum Glauben zurück, und die orthodoxe Religion gehört doch zu unserer Kultur. Dieses Viertel ist im Kommunismus entstanden, da waren keine Kirchen vorgesehen. Viele Kirchen sind sogar zerstört worden. Und diese Aktivisten dort drüben sind Kommunisten. Manche von denen sind sogar in der Partei."
Bevor der Mann sich vorstellen kann, bringen ihn seine Mitstreiter zum Schweigen. Keine Interviews für westliche Medien, sagen sie. Auch der Pope, der sie besucht, will nichts sagen.
Einige Befürworter der Kirche hier in dieser Plattensiedlung tragen T-Shirts einer radikalen orthodoxen Jugendgruppe, die sich "40 Vierziger" nennt. Diese Jugendgruppe verbindet orthodoxen Glauben mit einer nationalistischen Rhetorik und mit Kampfsport.
Sie verkörpert damit eine Verbindung von Staat und Kirche, wie sie Patriarch Kyrill und der russische Präsident Wladimir Putin vorleben. Gemeinsam beschwören die beiden die Einheit von russischer Kultur und orthodoxem Glauben. Kyrill unterstützt auch Putins Konzept einer "russischen Welt", die sich über die Staatsgrenzen hinaus erstreckt und insbesondere Teile der Ukraine einbezieht. Dies sei ein Fehler, meint der Religionsexperte Roman Lunkin.
"So eine Kirche ist den meisten Gläubigen fremd. Umfragen zeigen, dass sie ähnlich denken wie die Christen im westlichen Europa. Sie sehen die Kirche als soziale, barmherzige Institution, die Gutes tut. Was sie nicht erwarten: dass sich die Kirche mit Putin und seiner Kreml-Ethik solidarisiert. Es ist wie in der Sowjetunion: Die Kirche lebt in einer ganz anderen Welt als die Gesellschaft."
Auch politischer Protest
Und so ist der Protest im Moskauer Torfjanka-Park auch ein politischer Protest gegen Kirche und Staat. Denn die Staatsmacht steht klar hinter den Plänen der Kirche.
Gegen Abend müssen die Demonstranten ihr Zelt abbauen. Denn inzwischen ist eine Spezialeinheit der Polizei vorgefahren. Die Beamten drohen damit, das Zelt zu zerstören, heißt es unter den Bürgern. Der Zaun der Kirchenverteidiger und ihr Kreuz bleiben dagegen unberührt, obwohl noch eine Gerichtsentscheidung über das Bauvorhaben aussteht. Eine Anwohnerin kann ihren Staat nicht mehr verstehen.
"Die meisten von uns haben doch für die Partei 'Einiges Russland' gestimmt und für Putin! Wir lieben unser Land, wir sind Patrioten. Aber jetzt bin ich den Oppositionspolitikern dankbar, die hierher kommen und uns helfen. Die Regierung hat das Land an die Kirche verkauft, scheint mir."
Am Straßenrand stehen zwei Kranwagen. Sie sollen auf die Baustelle fahren, nehmen die Demonstranten an. Als sie schließlich wieder abfahren, jubeln die Menschen. Diejenigen, die am See sitzen, schauen mitleidsvoll herüber. Am Ende bauen sie die Kirche ja doch, sagt eine Frau.