Was bei dem militärischen Konflikt zwischen russischen und ukrainischen Schiffen vor der Krim passiert sei, sei ein Schlag ins Gesicht der internationalen Gemeinschaft und Deutschlands, sagte der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk im Dlf. Nicht die Ukraine sei dafür verantwortlich, sondern Russland. Das sei lange geplant gewesen, mindestens seit April. Seitdem würde der Schiffsverkehr zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer behindert.
Deutschland müsse klare Worte finden und Putin in die Schranken weisen, forderte Melnyk. Man sollte Putin ein Ultimatum stellen, damit die festgesetzten ukrainischen Soldaten und Schiffe sofort freigelassen würden. Die Zeit zum Handeln sei gekommen. Der Westen verfüge dabei über sehr viele Möglichkeiten, vor allem über neue und harte Sanktionen müsse nachgedacht werden.
Jörg Münchenberg: Viele sorgen sich, dass der schwelende Konflikt zwischen der Ukraine und Russland zu einem Krieg eskalieren könnte, nach der militärischen Auseinandersetzung im Asowschen Meer am Wochenende. Alle Appelle für eine Freilassung der ukrainischen Marinesoldaten sind verpufft. In der EU gibt es inzwischen Überlegungen für weitere Sanktionen gegen Russland. In Moskau selbst ist wiederum die Ausrufung des Kriegsrechts in der Ukraine auf scharfen Protest gestoßen. Außerdem, so heißt es, hätten ukrainische Kriegsschiffe internationale Rechtsnormen verletzt.
Am Telefon ist nun der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk. Einen schönen guten Morgen.
Andrij Melnyk: Schönen guten Morgen, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Melnyk, war das ein kluger Schachzug jetzt vom ukrainischen Präsidenten, das Kriegsrecht auszurufen?
Melnyk: Es geht vor allem darum, dass die Ukraine wirklich bereit ist. Wir haben gesehen, dass dieser Krieg, den Russland gegen uns unverdeckt seit über vier Jahren führt, dass dieser Krieg noch brutaler sein könnte und jetzt auf das Meer, auf das Asowsche und auch das Schwarze Meer sogar ausgedehnt werden kann. Und glauben Sie mir: Keiner, kein Präsident, kein Parlament kann sich jetzt erlauben, einfach weiterhin zuzusehen und nichts zu unternehmen. Das ist eine Sicherheitsmaßnahme. Die Armee ist jetzt in Alarmbereitschaft. Auch die Behörden werden jetzt besser miteinander arbeiten, um weitere aggressive Schritte Russlands zu unterbinden.
Münchenberg: Aber, Herr Melnyk, dadurch wird natürlich der Konflikt auch von ukrainischer Seite eher befeuert. Und manche Beobachter fragen sich ja schon: War das notwendig? Fünf Jahre ist das Kriegsrecht ja nicht verhängt worden, trotz der kritischen Lage auf der Krim oder auch in der Ostukraine mit dem Konflikt mit den Separatisten. Da fragen sich viele, warum dann jetzt.
Melnyk: Schauen Sie, das Parlament hat diese Entscheidung mit einer Verfassungsmehrheit beschlossen. Das heißt, das ist nicht der Präsident, sondern es ist das gesamte Volk, das diese Entscheidung im Moment getroffen hat. Und eins muss man klarmachen: Es ist nicht die Ukraine, die jetzt angeblich eskaliert, sondern das war eine bewusste Provokation Russlands, gerade heute, wo die wirtschaftliche Situation im Lande marode ist, wo Putins Werte wieder sinken. Und das war lange geplant, mindestens seit April, wo wir gesehen haben, dass die Handelsschiffe massiv behindert und schikaniert wurden im Asowschen Meer. Heute sehen wir leider diese Fortsetzung des repressiven Kurses von Putin, und deswegen: Die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen. Das wäre jetzt eine Anmaßung, uns zu beschuldigen, wo wir uns jetzt verteidigen wollen, die Ukraine möchte diesen Krieg hier eskalieren. Ganz im Gegenteil! Wir müssen und Deutschland muss endlich auch hier klare Kante zeigen, sehr, sehr klare Worte finden und Putin einfach in die Schranken weisen.
Münchenberg: Herr Botschafter, auch die Bundesregierung ist bislang eher zögerlich aufgetreten, hat eine klare Parteinahme vermieden. Das kritisieren Sie?
Melnyk: Das was am Sonntag vor der Küste der Krim geschehen ist, das war für uns ein Speer in die Eingeweide. Aber das war auch ein Schlag ins Gesicht von Deutschland, von der gesamten internationalen Gemeinde. Und wir hoffen, dass dieser Schlag nicht zu einem Knock-out werden sollte. Die Welt und vor allem auch Deutschland müssen heute schnell handeln. Ausgerechnet jetzt ist diese Führungsrolle Deutschlands in der Weltarena gefragt. Alles steht jetzt auf dem Spiel. Was wir heute erwarten, dass man nicht mehr laviert, dass man nicht mehr zögert, sondern man muss auch Putin überraschen können. Ich glaube persönlich, dass die Bundesregierung dem Kreml-Chef sofort ein Ultimatum stellen sollte. Die gefangenen Soldaten – manche von ihnen sind schwer verletzt -, die müssen sofort freigelassen werden, auch die Schiffe. Und wenn das nicht passieren sollte, dann ist die Zeit zum Handeln gekommen, und zwar ohne jegliche Vorbedingungen. Das wäre das beste Zeichen, dass eine weitere Eskalation stattfindet, und wenn Russland diesen Schritt jetzt unternimmt, das ist das wenigste, was man überhaupt machen kann. Das wäre ein humanitärer Schritt und das würde zur Deeskalation jetzt führen und die Lage ein bisschen verbessern.
Münchenberg: Herr Melnyk, lassen Sie mich da noch mal nachfragen. Ihr Eindruck ist schon bislang, der Westen hat sich zu wenig klar hinter die Ukraine gestellt?
Melnyk: Der Westen versucht, besser zu verstehen, was geschehen ist. Wir haben alle Informationen geliefert. Auch gestern hat zum Beispiel die CDU/CSU-Fraktion eine wichtige Entscheidung getroffen, wo wirklich auch klare Worte gefunden wurden. Dafür sind wir dankbar. Aber wir erwarten, dass jetzt diesen Worten auch Taten folgen.
Münchenberg: Hieße das denn auch, Herr Botschafter, militärische Hilfe seitens des Westens für die Ukraine, die ja Russland sehr wenig entgegenzusetzen hat?
Melnyk: Der Westen und Deutschland verfügen über sehr, sehr viele Möglichkeiten. Wir glauben, dass die Keule der Sanktionen, aber richtig schmerzhafter, jetzt wieder in der Luft schwingen muss. Diese Strafmaßnahmen, die wir heute erwarten würden, da fordern wir ein komplettes Verbot von Erdgas- und Ölimporten aus Russland. Auch Northstream II müsste auf Eis gelegt werden. Denn wir wissen ja alle, dass dieser Krieg, der gegen uns und Syrien geführt wird seitens Russlands, der wird auch aus diesen Geldern oder vorwiegend davon finanziert. Und wenn man das jetzt ins Spiel bringt, das würde wirklich zu einem Gamechanger führen und das würde wirklich Putin zu verstehen geben, man darf nicht mehr weiter so brutal, so hooliganartig auf der Weltebene agieren. Das könnte auch schwerfallen, aber wir glauben, dass die Bundesrepublik auch mit harten Bandagen handeln müsste. Dieses aggressive Verhalten kann man nur mit diesen Maßnahmen stoppen.
Was kann man militärisch machen? – Ich glaube, dass auch die Entsendung der deutschen Marine in dieses Gebiet vor der Küste der Krim in das Asowsche Meer auch zur weiteren Deeskalation beitragen könnte. Das ist keine Frage, denn wenn man da vor Ort ist, dann hat auch Russland weniger Möglichkeiten, so brutal zu agieren, heute die Meerenge von Kertsch zu schließen, morgen wieder zu öffnen und so weiter. Das ist wirklich ganz schlimm, was dort passiert ist, eine schleichende Annexion des Asowschen Meeres.
Münchenberg: Herr Botschafter, darf ich noch mal kurz zusammenfassen? Ihre Haltung ist ganz klar: Mehr Druck, deutlich mehr Druck des Westens auf Russland, damit es hier eine mögliche Einigung geben könnte?
Melnyk: Ganz genau, aber wirklich mit ganz, ganz neuen Maßnahmen, die vorher leider nicht getroffen werden konnten, aus vielen Gründen. Aber heute sehen wir: Wenn man nichts unternimmt, wenn man nicht die Schritte einleitet, die wirklich weh tun, wirtschaftlich gesehen, dann kann man kaum darauf hoffen, dass dieser aggressive Kurs jetzt in den Gewässern vom Schwarzen und Asowschen Meer zum Ende kommt. Ich glaube, dieser Schritt, komplettes Verbot für Erdgas- und Ölimporte aus Russland, das wäre wirklich etwas, was Putin überraschen könnte und auch ihn endlich zur Vernunft bringen kann.
Münchenberg: … sagt der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk. Herr Melnyk, vielen Dank für das Interview heute Morgen.
Melnyk: Danke, Herr Münchenberg.
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