Stefan Heinlein: Es ist die Nachricht des heutigen Morgens. Drei ukrainische Militärboote sind von Russland im Schwarzen Meer beschossen worden. So zumindest die Mitteilung der Militärführung in Kiew. Dabei seien zwei Matrosen schwer verletzt worden. Sicher ist: Schon heute soll sich der UN-Sicherheitsrat mit diesem Vorfall beschäftigen.
Am Telefon nun der SPD-Außen- und Europapolitiker Knut Fleckenstein. Ich grüße Sie!
Knut Fleckenstein: Guten Morgen, Herr Heinlein.
Heinlein: Herr Fleckenstein, Sie sind ein Kenner der Region. Wie gefährlich ist aus Ihrer Sicht diese Entwicklung?
Fleckenstein: Ich glaube, das darf man nicht unterschätzen, weil wir wissen, wie fragil die gesamte Situation im Osten der Ukraine ist. Wir kennen auch das Problem ja schon länger, was die Annektierung der Krim angeht. Alle müssen sich bemühen, möglichst ruhig und sachlich zu verhandeln, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, und dass scheint im Moment in schwerer Gefahr.
"Unsere Haltung ist da ziemlich eindeutig"
Heinlein: War es nur eine Frage der Zeit, bis die Ukraine und Russland an diesem sensiblen Punkt im Schwarzen Meer aufeinandertreffen?
Fleckenstein: Nun ist unsere Haltung da ziemlich eindeutig. Wir sagen, die Straße von Kertsch, die ja bei dem asowschen Meer liegt, muss passierbar sein für alle Beteiligten, auch für EU-Schiffe beispielsweise, und es kann nicht sein, dass Russland diese Straße einfach zumacht. Da hängen ja auch große Häfen wie Mariupol in der Ukraine dran. Die kann man nicht einfach von der Außenwelt abschotten. Insofern haben wir da eine ziemlich klare Haltung.
Auf der anderen Seite muss man natürlich auch gucken, dass man sich an die gemeinsamen Spielregeln hält. Das kann ich von hier aus nicht wirklich überblicken, ob das die ukrainischen Kriegsschiffe getan haben. Deshalb ist es gut, dass heute Nachmittag der Weltsicherheitsrat sich damit beschäftigt.
Heinlein: Wer hat aus Ihrer Sicht ein Interesse an einer möglichen Eskalation des Konflikts? Oder dient das keiner Seite?
Fleckenstein: Am Ende dient es auf jeden Fall keiner Seite der Bevölkerung. Ob es dem einen oder anderen nutzt, um seine innenpolitische Stärke zu zeigen, dem Präsidenten in der Ukraine, dem Präsidenten in Russland, das ist eine Spekulation, an der ich mich gar nicht beteiligen will. Nur wenn es wirklich zu einer größeren militärischen Auseinandersetzung kommt, am Ende sind es die Menschen in der Ukraine und in Russland, die darunter leiden werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir im Gespräch bleiben, dass wir nicht jetzt eskalieren, sondern versuchen zu deeskalieren und den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als das Gremium auch zu nutzen, wo man so etwas auch austragen und diskutieren kann.
"Die scharfe Situation ist nicht neu"
Heinlein: Glauben Sie, dass dieser Appell zu Gesprächen, zu Verhandlungen gehört werden wird in Kiew und Moskau? Denn das ukrainische Parlament soll ja schon heute über die Verhängung des Kriegsrechts entscheiden.
Fleckenstein: Ja, ich habe das gelesen. Aber wenn man genau hinschaut, sagt Präsident Poroschenko ja auch, das bedeutet nicht automatisch, dass Mobilmachung damit verbunden ist, sondern es werden die Vorbereitungen getroffen, dass so etwas stattfinden kann. Das ist schon ein ziemlicher Schritt, aber es ist noch nicht die Mobilmachung und wir haben noch Zeit, mit beiden Seiten im Gespräch eine Lösung zu finden.
Das Parlament hat schon vor zwei, drei Wochen zu dieser Frage sich geäußert, das Europäische Parlament, und hat auch die Hohe Beauftragte Federica Mogherini gebeten, sich doch da einzuschalten und zumindest anzubieten zu vermitteln. Es gibt auch die Möglichkeit, dass die Minister aus Frankreich und Deutschland, die in Minsk ja engagiert sind mit dem Minsk-Abkommen, vielleicht einen Beitrag leisten können. Das muss man jetzt heute ausloten. Die scharfe Situation ist nicht neu, aber sie ist so eskaliert, dass man aufpassen muss, sie noch im Griff zu behalten, und das gilt nicht nur für die ukrainische Seite, sondern auch für die russische.
Heinlein: Was ist aus Ihrer Sicht, Herr Fleckenstein, der entscheidende Spielort für Gespräche, für Verhandlungen, um eine Eskalation, eine militärische Auseinandersetzung zu verhindern? Spielt das in Moskau, spielt das in Kiew, oder spielt das in New York, wo ja der UN-Sicherheitsrat sich schon heute mit diesem Konflikt beschäftigen wird?
Fleckenstein: Ich glaube, dass es in erster Linie heute in New York sein wird. Deshalb sind auch alle, die dort am Tisch sitzen, aufgerufen, sehr zurückhaltend sich zu äußern, bis ein solches Gespräch stattgefunden hat. Wenn man sich dort trifft, um gegenseitig sich Vorwürfe zu machen, dann reicht das auf jeden Fall nicht, sondern man muss gucken, welche Möglichkeiten der Einigung es gibt - losgelöst von der grundsätzlich unterschiedlichen Sichtweise, was den Status der Krim angeht.
Dazu gehört dann auch, dass man zur Kenntnis nimmt, dass Russland sagt, für zivile Schiffe sei die Straße wieder geöffnet. Was bedeutet das für militärische Fahrzeuge? Man muss sehen, wie man beide Seiten so einbinden kann, dass es für beide Seiten auch respektabel erscheint im Moment.
"Beide Seiten müssen einer solchen Vermittlung zustimmen"
Heinlein: Sie haben es in einer Ihrer Antworten bereits angedeutet. Dennoch noch einmal die Frage: Welche Einflussmöglichkeiten hat die Europäische Union, hat Brüssel, hat vielleicht auch Berlin, die deutsche Außenpolitik auf beide Konfliktparteien?
Fleckenstein: Ich glaube, man kann es nur anbieten und man sollte es anbieten, dort verbindend beziehungsweise deeskalierend einwirken zu wollen. Am Ende müssen beide Seiten einer solchen Vermittlung zustimmen. Wenn sie das nicht tun, macht es keinen Sinn. Aber der Morgen ist ja noch früh.
Heinlein: Der SPD-Außen- und Europapolitiker Knut Fleckenstein. Ganz herzlichen Dank, dass Sie so spontan für uns Zeit gefunden haben, und auf Wiederhören nach Brüssel.
Fleckenstein: Gerne! – Auf Wiederhören!
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