Die Verantwortung für die Kontakte mit den festgehaltenen Militärbeobachtern habe die OSZE (die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Man versuche immer wieder, die russische Seite dazu zu bewegen, deutlich zu werden. Erler erwarte von Russland vor allem, Signale zur Deeskalation in der Region zu geben. Die Ereignisse seien besorgniserregend und gefährlich.
Es werde Zeit, eine zweite Genfer Runde vorzubereiten. Es gebe viel zu besprechen, auch darüber, warum die positiven Zusagen aus Genf nicht umgesetzt worden seien. Wo solle Russland überhaupt Einfluss haben, wenn nicht in der Ost-Ukraine? Allerdings sei es falsch zu sagen, dass das Genfer Abkommen zur Beilegung der Krise gescheitert sei, Genf sei alternativlos, es gebe keine anderen Zusagen aus Moskau.
Das Interview in voller Länge
Mario Dobovisek: Pulverfass Ukraine – im Osten des Landes werden amtierende Bürgermeister angeschossen, andere selbst ernannte Bürgermeister nehmen die Militärbeobachter unter anderem aus Deutschland gefangen und USA wie EU ziehen mit schärferen Sanktionen gegen Russland die Daumenschrauben weiter an, offenbar mit Wirkung. Jedenfalls tut sich etwas an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine. Die rund 40.000 russischen Soldaten ziehen sich also zurück in ihre Kasernen, während sich bei den Geiseln in Slawjansk offenbar nur wenig bewegt.
Am Telefon begrüße ich den Sozialdemokraten Gernot Erler. Er ist der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russischen Beziehungen und in seiner Funktion beim Auswärtigen Amt angesiedelt. Guten Morgen, Herr Erler.
Gernot Erler: Guten Morgen, ich grüße Sie.
Dobovisek: Das Auswärtige Amt ist bemüht um die Freilassung der Gefangenen. Was wissen Sie heute, Stand 7:20 Uhr, über die deutschen und die anderen Militärbeobachter in Slawjansk?
Erler: Der Krisenstab ist ständig tätig. Die OSZE ist im Gespräch mit den Verantwortlichen. Aber wir haben bisher kein grünes Licht für die Freilassung der gefangenen Beobachter, und das ist schlimm, weil die ja seit Freitag bereits in Gewahrsam von Herrn Ponomarjow in Slawjansk sind.
Dobovisek: Was wissen Sie über den Gesundheitszustand der Geiseln?
Erler: Leider ist es auch nicht möglich gewesen, dass ein Zugang vom Roten Kreuz zu den Gefangenen da ist. Aber wir haben ja noch nicht so lange her die Aussagen von dem Leiter, der gesagt hat, es sind alle wohlauf.
"Bisher kein grünes Licht für die Freilassung der Beobachter"
Dobovisek: Wer spricht mit den Geiselnehmern? Wie gestalten sich diese Gespräche?
Erler: Ja, ich meine, wir haben da nicht sehr viele Detailinformationen. Die Verantwortung dafür hat natürlich die OSZE und hier verhandeln die Vertreter der OSZE vor Ort. Herr Etherington ist da zuständig und man versucht natürlich, parallel zu den Gesprächen vor Ort auch immer wieder die russische Seite dazu zu bewegen, hier doch mal deutlich zu werden. Leider ist das bisher nicht passiert. Das heißt, wir gehen schon davon aus, dass eine klare Aussage aus Moskau auch sich positiv auswirken könnte auf die Bereitschaft von diesem selbst ernannten Bürgermeister Ponomarjow, hier die Geiseln frei zu lassen.
Dobovisek: Russische Diplomaten kommentieren ja hier und da die Geiselnahme. So nennt Russlands OSZE-Botschafter etwa die mögliche Freilassung einen wichtigen Schritt hin zu einer Deeskalation. Ganz ohne Einfluss scheint Russland ja in der Ostukraine nicht zu sein, um es vorsichtig auszudrücken. Was erwarten Sie von Russland noch?
Erler: Ja! Ich meine, ich erwarte von Russland – und da bin ich nicht alleine –, vor allen Dingen Signale zur Deeskalation in der Region zu geben. Wir haben ja eben wieder gehört den Bericht, was es für Vorkommnisse da gibt. Die sind ja absolut besorgniserregend und auch gefährlich. Wenn Russland zeigen wollte, dass es eine schwierige Situation in der Ostukraine gibt und dass hier ein großes Potenzial von Chaos und Unsicherheit besteht, dann ist das inzwischen erfolgt.
Die Frage ist nur, wie soll das eigentlich weitergehen. Ich meine, wir haben auch Gesprächsbereitschaft gehört von russischer Seite, das in den letzten Tagen doch immer wieder etwas versteckt in anderen Reden vorgekommen, auch von Außenminister Lawrow. Ich finde, es wird eigentlich Zeit, eine zweite Genfer Runde vorzubereiten. Die letzte war am 17. April. Es ist ja viel zu besprechen: Warum sind die positiven Zusagen, die damals verabredet worden sind, nicht umgesetzt.
"Zeit für eine zweite Genfer Runde"
Es ist ja lächerlich, dass Russland kein Potenzial hätte, hier auf die Entwicklung auszuwirken. Wo soll denn Russland überhaupt Einfluss haben, wenn es nicht Einfluss in der Ostukraine hat? Und es gibt ja inzwischen auch eine Schadensentwicklung für Russland, über die man auch reden kann. Das heißt, ich meine im wirtschaftlichen Bereich. Also es gibt durchaus Motive, nach Auswegen aus dieser Situation zu suchen, und ich finde, das sollte man testen.
Dobovisek: Russland zieht seine Soldaten von der Grenze zurück in die Kasernen. Ist das ein gutes Signal?
Erler: Das ist auf jeden Fall ja eine Forderung der westlichen Partner gewesen in der ganzen Zeit, denn das ist als bedrohlich gesehen worden, diese unmittelbare Nähe von bis zu 40.000 bewaffneten Kräften an der ukrainischen Grenze, und wenn das stimmt, wenn sich das bestätigt, was Schoigu, der russische Verteidigungsminister, seinem amerikanischen Kollegen Chuck Hagel gesagt hat, dann ist das vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass Prioritäten wieder ein bisschen anders gesetzt werden, dass vielleicht auch ...
Dobovisek: Ist Genf also doch noch nicht gescheitert?
Erler: Bitte?
Erler: Ist Genf also doch noch nicht gescheitert?
Erler: Ich finde es falsch zu sagen, dass Genf gescheitert ist, weil Genf ist auch alternativlos. Es gibt ja keine andere Vereinbarung, es gibt keine anderen Zusagen, die wir von Moskau bekommen haben. Es fehlt an der Umsetzung und vielleicht ist das ja jetzt ein Zeichen, dass man doch die Prioritäten wieder ein bisschen verschiebt in Russland.
Bisher war ganz offensichtlich die Priorität, chaotische Zustände zu belegen und damit auch zu zeigen – das ist ja immer noch aus meiner Interpretation die unverarbeitete Wut über das, was auf dem Maidan passiert ist -, dass man mit Methoden, die auch angewandt worden sind in dem ganzen Maidan-Prozess, in der Lage ist, die Ostukraine zu destabilisieren. Das weiß jetzt jeder, aber die Frage ist ja, ob die Wirkungen auch auf die russischen Interessen nicht negativ sind. Das ist, glaube ich, inzwischen auch belegt.
"Genf ist nicht gescheitert"
Dobovisek: Jetzt müssen wir etwas kleinteilig werden, Herr Erler, denn es gibt zwei Beobachtermissionen der OSZE in der Ukraine: eine diplomatische mit der Zustimmung Russlands und eine militärische ohne grünes Licht aus Moskau, und zu letzterer gehören die festgesetzten Offiziere. Warum diese unnötige Provokation in Richtung Russland?
Erler: Ich weiß nicht, ob man hier wirklich von einer Provokation sprechen kann.
Dobovisek: So wird es jedenfalls in Moskau wahrgenommen.
Erler: Sie haben vollkommen Recht, dieses Military Verification Team hat einen völlig anderen Zusammenhang, hat nichts mit der vereinbarten Beobachtermission der OSZE zu tun, sondern ist eine Maßnahme nach dem sogenannten Wiener Dokument von 2011. Das heißt, hier geht es um vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen durch Transparenz von militärischer Entwicklung beziehungsweise von Streitkräften. Das heißt, Austausch von Informationen über Streitkräfte.
Das heißt, solche Beobachtermissionen oder Verifikationsmissionen auszutauschen. Die Ukraine hat hierzu die OSZE eingeladen, eine solche Mission zu schicken. Die ist geschickt worden und darüber ist auch Russland informiert worden. Russland gehört zu den 57 Staaten der OSZE und muss da gar nicht zustimmen, wenn die Ukraine eine solche Mission einlädt.
Dobovisek: Aber, Herr Erler, es ist doch spitzfindig zu sagen, dass Kiew es so wollte und das sogenannte Wiener Dokument der OSZE nicht dagegen spräche, gerade in dieser heißen Phase an Russland vorbei westliche Soldaten in die Ukraine zu schicken. War das diplomatisch klug, gerade mit Blick auf deutsche Soldaten?
Erler: Na ja, ich meine, ein Ukrainer würde wahrscheinlich antworten, es ist unser gutes Recht, im eigenen Land eine solche Mission einzuladen und die auch im ganzen Land tätig werden zu lassen. Wahrscheinlich wird man irgendwann die Frage stellen, wer eigentlich entschieden hat, wohin die gehen. Das wird sicherlich noch mal Gegenstand von einer Diskussion werden.
Aber ich glaube, im Augenblick haben wir allen Grund, uns darauf zu konzentrieren, alles zu tun, damit die Betroffenen frei kommen, denn das ist das Gebot der Stunde, und ich meine, alles andere wird man vielleicht später auch noch mal diskutieren.
Erler: Aber noch einmal die Frage: War es diplomatisch geschickt, eine solche Mission zu starten?
Erler: Wissen Sie, ich weiß ja gar nicht, wer das eigentlich entschieden hat, ob das die Mission selber entschieden hat, ob das vorab mit der ukrainischen Regierung verabredet war.
Dobovisek: Es sind ja immerhin deutsche Soldaten mit dabei. Also muss Deutschland auch beteiligt gewesen sein.
Erler: Da bin ich nicht sicher, dass das tatsächlich in Deutschland entschieden worden ist, weil diese Missionen wie gesagt auf eine Einladung zurückgehen und dann selber entscheiden, was sie machen. Aber wie gesagt, ich schließe ja nicht aus, dass es darüber eine Diskussion gibt zur angemessenen Zeit. Ich glaube, im Augenblick ist es mehr sinnvoll, sich auf die Bemühungen um Freilassung zu konzentrieren.
Dobovisek: Weiter in Geiselhaft befinden sich mehrere westliche Militärbeobachter in der Ostukraine, während die USA und die EU mit Hilfe von schärferen Sanktionen gegen Russland antworten – Gernot Erler von der SPD ist Russland-Beauftragter der Bundesregierung und war bei uns im Deutschlandfunk-Interview. Ich danke Ihnen, Herr Erler.
Erler: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.