In Moskau ist seit gestern Abend häufig das Wort Provokation zu hören: Kiew habe mit dem Verhalten der Schiffsbesatzung den Eklat mit den russischen Grenzschützern bewusst provoziert. Der Sprecher Wladimir Putins verwies auf die Sitzung des UN-Sicherheitsrates heute Abend in New York.
Andere, die sich in Moskau zu Wort meldeten, verwiesen auf die in der Ukraine im nächsten Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen. Der Zwischenfall sei dem regierenden, aber in Umfragen längst nicht führenden Präsidenten Poroschenko willkommen, damit der seine Handlungsstärke beweisen könne.
In diese Tonlage reihte sich am Vormittag auch Außenminister Sergej Lawrow ein.
"Es wurde entscheidendes internationales Recht verletzt, nicht nur das Seerecht, das mehrfach von allen Staaten verlangt, die Souveränität eines anderen Staates zu achten."
Das ist der springende Punkt: Russland wirft der Ukraine eine Verletzung seiner Hoheitsgewässer vor, eine Argumentation, die auf der russischen Haltung zur Krim fußt. Aus Moskaus Sicht ist die Halbinsel Teil Russlands. Die Meerenge bei Kertsch, auch entlang der dort inzwischen von Russland errichteten Brücke vom russischen Festland auf die Halbinsel, sei nun also von östlicher und westlicher Seite russisch und stehe somit komplett unter Kontrolle der russischen Grenztruppen.
Unterschiedliche Rechtsauffassungen
Diese Lesart unterscheidet sich fundamental von der der Ukraine und zum Beispiel auch der Europäischen Union, weil sie die Annexion der Krim nicht als völkerrechtskonform anerkennen. Ihnen zufolge ist die Krim weiterhin Teil der Ukraine und der westliche Teil der Meerenge von Kertsch ist deshalb ukrainisches Hoheitsgebiet. Damit würden Vereinbarungen früherer Jahre weiter gelten, als sich beide Länder einander die ungehinderte Durchfahrt zusicherten.
De facto aber kontrolliert Russland die Durchfahrt. Die Passage ist auch nach der Annexion der Krim ukrainischen Schiffen im Regelfall gewährt worden, allerdings hat Russland Kontrollen eingeführt. Frachtschiffe auf dem Weg in den Hafen Mariupol verlieren dadurch Zeit. Und der Zwischenfall zeigt auch deutlich: Die ohnehin dezimierte ukrainische Marine kann ohne das Einverständnis der russischen Seite nicht zur Küste am Asowschen Meer gelangen.
Die drei beschlagnahmten Schiffe befinden sich laut Staatsfernsehen im Hafen von Kertsch. In der Stadt würden auch die gestern verletzten ukrainischen Matrosen behandelt. Gegen die Besatzung werde wegen illegalen Grenzübertritts ermittelt, hieß es.