Als ein Moskauer Richter vor einer Woche ihre Untersuchungshaft bis zum 30. September verlängerte, lächelte Nadja Sawtschenko spöttisch. Sie hatte es erwartet. Als die Journalisten und ihre Unterstützer den Saal verließen, rief sie: "Wir sehen uns in der Freiheit!"
Auch das russische Staatsfernsehen berichtete über die Verlängerung der Untersuchungshaft. Der Fall Sawtschenko ist dort seit einem Jahr Dauerthema. Dahinter stecke eine Strategie der Mächtigen in Russland, sagt Mark Feigin, einer von Sawtschenkos Moskauer Anwälten:
"Sie wollten einen Propaganda-Mythos schaffen. Am Beispiel von Nadja Sawtschenko wollte der Kreml den Russen zeigen, dass man die Ukraine dazu zwingen kann, Buße zu tun. Dass die Ukrainer akzeptieren, dass Russland einen Teil des Landes annektiert hat, dass im Osten Krieg herrscht und sie sich nicht mehr wehren. Das imperialistische Russland will der unbeugsamen Ukraine seinen Willen aufzwingen. Die Ukraine soll sich mit ihrer Lage abfinden – und Sawtschenko auch."
"Nadja ist eine Quelle der Kraft für viele Menschen"
Aber diese Strategie sei Dank der Standhaftigkeit von Nadja Sawtschenko nicht aufgegangen, sagt Feigin. Aus Protest gegen die Haft war sie monatelang im Hungerstreik. Mark Feigin, einst Oppositionspolitiker, war auch einer der Anwälte der Frauen von Pussy Riot. Die mussten 2012 wegen ihrer Protestaktion in einer Moskauer Kirche ins Gefängnis und wurden weltweit zum Symbol für den Kampf gegen das System von Wladimir Putin.
"Ich glaube nicht, dass es auf der ganzen Welt große Demonstrationen für die Freilassung von Sawtschenko geben wird, wenn der Prozess beginnt. Aber das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass es in politischen Kreisen, in Regierungen und bei Abgeordneten Unterstützung gibt für sie. Das ist ein viel effektiveres Instrument. Pussy Riot war nur eine Aufwärmübung für die russische Staatsmacht. Dies ist ein echtes Drama: Es sind Menschen gestorben, es herrscht Krieg. Der Fall Sawtschenko ist viel ernster."
In Kiew kämpft die 32 Jahre alte Vera Sawtschenko für die Freiheit ihrer Schwester. Immer wieder treten sie und ihre 78 Jahre alte Mutter Maria in Medien auf, treffen sich mit westlichen Politikern und erzählen von Nadja: Dass sie als Oberleutnant für die ukrainische Armee im Irak war, auf dem Maidan protestierte und danach mit einem Freiwilligenbataillon in den Donbass ging. Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2014, setzte Julia Tymoschenkos Partei sie auf den ersten Listenplatz. Jetzt ist Nadja Sawtschenko Parlamentsmitglied. Doch für die Ukrainer sei sie viel mehr, sagt ihre Schwester Vera:
"Nadja ist eine Quelle der Kraft für viele Menschen. Ich bin beeindruckt, wie viele Briefe sie bekommt. Nachdem Nadja sie gelesen hat, geben die Anwälte sie mir. Nadja ist ein Symbol – nicht im pathetischen Sinne wie die Sowjetunion es uns gelehrt hat – sondern ein echtes. Dafür dass man ein echter Patriot sein kann, kompromisslos, im Einklang mit dem Gewissen."
Hoffen für die "Heldin der Ukraine"
Im März hat Präsident Poroschenko Nadja Sawtschenko offiziell den Status "Heldin der Ukraine" verliehen. Außerdem ist sie Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Ihre Schwester hat keine Zweifel, dass sie im Prozess, der wohl im August beginnt, schuldig gesprochen wird. Sie hofft auf einen Gefangenenaustausch: Denn derzeit sind zwei russische Männer in ukrainischer Gefangenschaft, die als Mitglieder einer Spezialeinheit gelten.
"Die ukrainische Führung könnte mehr tun für Nadja. Ich bekomme langsam den Eindruck, dass es sie stört, dass sie so beliebt ist, während die Menschen immer unzufriedener mit ihnen, den Politikern werden. Aber andererseits ist es auch nicht leicht, mit jemandem wie Putin zu tun zu haben, der dauernd lügt."
Ein Schuldspruch sei unausweichlich, sagt auch der Moskauer Anwalt Feigin. Im Prozess will er beweisen, wie absurd die Vorwürfe gegen Nadja Sawtschenko sind, damit der internationale Druck noch größer wird und der Kreml nachgeben muss. Sonst drohen Nadja Sawtschenko wohl mehr als ein Dutzend Jahre Haft.