Die Taliban erklären, sie wollten die Produktion von Rauschgift in Afghanistan künftig unterbinden. Bei ihrer ersten Pressekonferenz in Kabul vor einigen Tagen erklärte ein Vertreter, die örtlichen Bauern sollten sich vom Anbau des Schlafmohns auf andere Kulturen umstellen.
Doch das sei nicht mehr als eine PR-Kampagne, meint Andrej Serenko, Leiter des Zentrums zur Erforschung des zeitgenössischen Afghanistan, einer privaten Denkfabrik in Moskau:
"Die Taliban sind eines der größten Drogenkartellе der Welt. Sie nehmen mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar jährlich mit dem Verkauf von Drogen ein. Jetzt sind die Taliban natürlich daran interessiert, dieses Geschäft in Afghanistan so zu gestalten, dass noch mehr für sie abfällt."
Mittelfristige Zunahme des Drogenhandels
Dazu zähle die Kontrolle über die Produktion im Land und den illegalen Export, vor allem von Heroin und Opium. Serenko schließt nicht aus, dass bei dieser Umorganisation vorübergehend weniger Drogen das Land verlassen. Die Taliban könnten das nutzen, um ihr Image aufzupolieren und auf eine internationale Anerkennung ihrer Herrschaft in Afghanistan zu drängen.
Mittelfristig aber, glaubt der Experte, dürfte der Drogenschmuggel eher zunehmen. Auch in die nördlichen Nachbarländer in Zentralasien, in die bisher rund 20 Prozent des Heroins aus Afghanistan gehen. Denn dort verdienten einflussreiche Kreise am Rauschgift, so Serenko.
"Nach meinen Informationen wird der Drogenverkauf in Tadschikistan von Personen kontrolliert, die der Staatsmacht sehr nahe stehen. Und in Kirgistan sind das Leute, die zum Führungspersonal des Innenministeriums gehören. Ich würde das als korrupte öffentlich-private Partnerschaft bezeichnen."
Grenzen zwischen Russland und Zentralasien durchlässig
Ein Grund, warum die Machtübernahme der Taliban eine große Herausforderung für Russland ist. Denn von den zentralasiatischen Staaten aus gelangen die Drogen relativ leicht auch nach Moskau und St. Petersburg, die Grenzen in der Region gelten als durchlässig. Die Gefahr wird derzeit breit diskutiert in russischen Medien.
Jewgenij Roisman, der ehemalige Bürgermeister von Jekaterinburg, sagte dem Fernsehsender Doschd: "Der Markt für Heroin ist in Russland in den vergangenen Jahren deutlich kleiner geworden. Heroin macht nicht mehr als 20 Prozent der verkauften Drogen aus. Aber Drogenexperten machen sich Sorgen. Sie glauben, die Nachfrage nach Rauschgift sei derzeit so groß, dass auch der Heroinkonsum wieder wachsen könnte."
Alternative zum Mohnanbau bieten
Roisman ist Mitbegründer der Organisation "Stadt ohne Drogen", die in Jekaterinburg seit 22 Jahren gegen Drogenmissbrauch kämpft. Er appelliert, das Problem auf der Ebene der Vereinten Nationen anzugehen.
"Die Weltgemeinschaft sollte hier Mittel finden. Die Felder in Afghanistan müssten mit etwas anderem bestellt werden als mit Mohn. Dabei müssten man helfen. Wir brauchen eine gemeinsame Position."
Doch im Moment haben nur wenige Länder Zugang zu den Taliban, darunter Russland. Die russische Botschaft in Kabul arbeitet weiter und wird von Einheiten der Islamisten bewacht.
Afghanistan-Experte Andrej Serenko geht deshalb davon, dass Moskau gesonderte Absprachen mit den Taliban treffen will: "Ich denke, der Kreml wird mit den Taliban vereinbaren, dass es keinen verstärkten Schmuggel nach Zentralasien geben wird. Dafür könnte Moskau dann etwa humanitäre Hilfe versprechen. Was aber einen verstärkten Schmuggel zum Beispiel in die Europäische Union betrifft, da wird der Kreml den Taliban wohl keine Steine in den Weg legen."
Damit erfülle das Rauschgift dann gleich mehrere Funktionen für die Taliban, so Serenko. Es bringe ihnen nicht nur Geld, sondern funktioniere auch als Druckmittel. Nach dem Schema: Länder, die nicht mit uns zusammenarbeiten, müssen bald mit mehr Heroin auf ihren Schwarzmärkten rechnen.