Schon in der Vergangenheit hat Russland immer wieder Konferenzen zur Entwicklung in Afghanistan veranstaltet. Nach der Niederlage der westlichen Allianz und der Machtübernahme der Taliban hat Moskau am 20.10.2021 eine weitere Konferenz ausgerichtet. Und wie schon zu früheren Zeiten, sind auch wieder Vertreter der Taliban dabei, die in Moskau offiziell als terroristische Organisation eingestuft wird.
Moskau sei im Umgang mit den Taliban insgesamt pragmatischer als der Westen, sagte
Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) am 20.10.2021 im Dlf
. Die Konturen einer gestaltenden Afghanistan-Politik seien aber noch nicht erkennbar. Von daher sei die russische Politik im Moment noch sehr zurückhaltend, sehr vorsichtig.
Vertreter von zehn Staaten aus der Region nahmen Teil. Das sind die zentralasiatischen Staaten sowie China, Indien, Iran und Pakistan. Nicht dabei waren die USA. Als Grund werden logistische Probleme genannt und das könnte damit zusammenhängen, dass der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan gerade zurückgetreten ist.
Russland kann die koordinierende Rolle einnehmen in der Afghanistanpolitik, weil es schon länger engen Kontakt pflegt zu den Taliban. Vertreter der Taliban waren in diesem Jahr schon dreimal in Moskau. Grundsätzlich geht es um eine gemeinsame Politik in der Region und um den Versuch, sich mit den Taliban zu verständigen.
Denn es ist klar, deren Machtübernahme hat die Sicherheitslage in der Region vollständig verändert, teilweise auch die Machtkonstellationen. Pakistan zum Beispiel ist deutlich einflussreicher geworden, weil es mit den Taliban auch schon lange sehr eng zusammenarbeitet.
Die gesamte Entwicklung birgt enorme Risiken für die unmittelbaren Nachbarn. Vor allem kann Afghanistan wieder Rückzugsgebiet werden für islamistische Terroristen. Das kann den Handel mit Drogen intensivieren, insbesondere mit Heroin und auch den Handel mit Waffen.
Und für Russland ist es besonders unangenehm, weil es mit den zentralasiatischen Republiken mehr oder weniger stark verbündet ist. Und weil die Grenzen zu diesen Republiken auch nicht gut geschützt sind. Russland, China und auch die übrigen Nachbarstaaten hätten ein großes strategisches Interesse daran, dass Afghanistan und die Region stabil bleibt, sagte die
FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermannn am 20.10.2021
. Die Taliban auf der anderen Seite benötigten unbedingt finanzielle und humanitäre Hilfe. Man versuche deshalb, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Die Konferenz biete vor allen Dingen deshalb einen Mehrwert etwa im Vergleich zur G20-Konferenz (12.10.2021), weil sie die regionalen Anrainer zusammenbringe, sagte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie seien von den Entwicklungen in Afghanistan direkt betroffen und hätten das größte Interesse daran, eine Verbesserung der Lebenssituation für die Bevölkerung vor Ort zu veranlassen.
Ein Drittel der afghanischen Provinzen waren in den letzten Monaten von schweren Dürreperioden betroffen. "Dementsprechend sind große Ernteausfälle zu verzeichnen gewesen. Ein Drittel der Bevölkerung, so sagen die Vereinten Nationen, droht unter die Armutslinie zu fallen." Und jetzt kommt der Winter.
Wenn die internationale Gemeinschaft nicht schnell in der Lage sei, humanitäre Hilfe losgelöst von politischer Kooperation zu leisten, dann drohe ein "sehr finsteres Bild für die Bevölkerung in Afghanistan". Es gehe jetzt erstmal darum, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, betonte auch Strack-Zimmermann. Denn in Afghanistan herrsche nach all den Unruhen eine große Hungersnot.
Die Teilnehmer der internationalen Konferenz in Moskau forderten die Taliban nicht nur auf, für einen dauerhaften Frieden in ihrem Land zu sorgen, auch müssten die Rechte der verschiedenen ethnischen Gruppierungen sowie von Frauen und Kindern in Afghanistan gewahrt werden, heißt es in einer Abschlusserklärung, die das russische Außenministerium am 20.10.2021 veröffentlichte. Große Sorge äußerten die Teilnehmer, zu denen auch die Taliban selbst zählten, über die desolate wirtschaftliche und humanitäre Lage am Hindukusch.
Im Großen und Ganzen ziehen Russland und China an einem Strang. Für beide sind die Risiken enorm. Beide sind bereit zu einer Zusammenarbeit mit den Taliban, und beide wollen letztlich auch eine internationale Anerkennung der Taliban-Herrschaft.
Auch militärisch sind die Bande noch einmal enger geworden wegen der Lage in Afghanistan. Es gab im August eine gemeinsame russisch-chinesische Militärübung im Nordwesten Chinas. Zum ersten Mal durften russische Truppen an einer Übung auf chinesischem Territorium teilnehmen. Das erklärte Ziel war die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, was auch auf Afghanistan zielte.
Einen Unterschied gibt es aber doch bei den wirtschaftlichen Interessen. Afghanistan ist sehr reich an Bodenschätzen. Afghanistan ist möglicherweise sogar das Land, das die meisten Vorkommen von Lithium hat, wenn sie denn entdeckt und ausgebeutet werden können. Und Lithium ist wichtig für die Energiewende, die überall auf der Welt ansteht. Und damit kann China wesentlich mehr anfangen als Russland. Als möglicher Investor für die Taliban ist China interessanter.
Quellen: Florian Kellermann, Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur, gue, dpa