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Russland und die Krim
Lindners Äußerung "ein großer Fehler"

Die Staatengemeinschaft habe auf Russlands Annexion der Krim völlig zurecht mit Sanktionen reagiert, sagte Karl-Georg Wellmann von der CDU im Dlf. Schließlich habe Russland die Krim gewaltsam annektiert. "Wenn wir das akzeptieren, wie Herr Lindner offenbar will, dann kommen wir in Teufels Küche."

Karl-Georg Wellmann im Gespräch mit Rainer Brandes |
    Der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann
    Karl-Georg Wellmann (CDU), Vorsitzender der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe (imago stock&people)
    Rainer Brandes: Seltene Einmütigkeit zwischen Linkspartei und FDP. Karl-Georg Wellmann sitzt für die CDU im Auswärtigen Ausschuss, und als Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe kennt er sich mit dem Konflikt um die Krim-Annexion bestens aus. Mit ihm kann ich jetzt sprechen. Guten Abend, Herr Wellmann!
    Karl-Georg Wellmann: Guten Abend, Herr Brandes!
    Brandes: Christian Lindner sagt, er habe nur ausgesprochen, was alle denken. Glauben Sie wirklich an eine Rückgabe der Krim an die Ukraine?
    "Die Sanktionen sind kein Selbstzweck"
    Wellmann: Darauf kommt es jetzt nicht an. Tatsache ist, dass die Krim entgegen allen Völkerrechts von Russland annektiert wurde. Darauf hat die westliche Staatengemeinschaft mit Sanktionen reagiert. Die Sanktionen sind kein Selbstzweck. Wir brauchen eine politische Lösung dieses Konfliktes, aber jetzt sozusagen vorzuleisten und zusagen: 'Na ja, das mit der Krim ist so wie es ist, das müssen wir akzeptieren", das halten wir für einen großen Fehler.
    Brandes: Sie sagen, wir brauchen eine politische Lösung. Ist nicht genau das, was Christian Lindner auch will, eben eine politische Lösung anstoßen?
    Wellmann: Ja, aber doch nicht so, dass man Vorleistungen erbringt. Wir haben ja nicht, der Westen hat ja nicht die Krim annektiert und ist da mit Soldaten eingefallen, sondern Russland hat das gemacht. Militärisch gibt es keine Lösung, das ist allen klar. Kein vernünftig denkender Mensch denkt an eine kriegerische Auseinandersetzung mit Russland. Das ist völlig absurd und verantwortungslos. Deshalb brauchen wir eine politische Lösung, aber an der muss Russland mitwirken. Es gibt insoweit Gespräche. Wir wissen, dass Russland auch eine politische Lösung will, und das muss diskret besprochen werden und nicht, indem man Vorleistungen öffentlich ankündigt.
    "Die Wirtschaft Russlands ist in einem sehr schlechten Zustand"
    Brandes: Aber sollen wir die Sanktionen in dem Ausmaß, wie wir sie haben, wirklich so lange aufrecht erhalten, bis wirklich die Krim an die Ukraine zurückgegeben worden ist? Ist es da nicht sinnvoll, Zwischenschritte zu gehen?
    Wellmann: Das ist wahrscheinlich richtig, aber wir brauchen Signale aus Russland, dass Russland bereit ist, wirklich bereit ist, eine politische Lösung mitzutragen, und die muss dann dreiseitig ausgehandelt werden, also zwischen Russland, der Ukraine und dem Westen, mit Unterstützung des Westens, ohne das wird es nicht gehen. Das sagen auch die Russen. Wir wissen, dass die Sanktionen Russland weh tun. Die Wirtschaft Russlands ist in einem sehr schlechten Zustand, und es muss nur ein Weg gefunden werden, der für alle Seiten akzeptabel ist – ein politisch-diplomatischer Weg.
    Brandes: Wie könnte denn so ein Weg aussehen?
    Wellmann: Zunächst mal, in dem man in der Ostukraine, im Donbass anfängt, das umzusetzen, was in Minsk von allen vereinbart wurde, auch von Russland und von der Ukraine. Das heißt einen Rückzug der Russen, demokratische Wahlen in dieser Region und so etwas, was wir als Föderalisierung der Ukraine bezeichnen würden, aber die Wiederherstellung der Souveränität der Ukraine am Ende über dieses Gebiet.
    "Niemand redet von Verzicht"
    Brandes: Und da sagen Sie auch mit der Krim, die dann zur Ukraine gehören muss...
    Wellmann: Das ist der nächste Schritt. Wir sollten nicht mit dem kompliziertesten Thema anfangen. Wir müssen erst anfangen, über den Donbass zu reden, über all das, was bereits vereinbart wurde, angefangen von einem Gefangenenaustausch, der im Interesse aller liegt.
    Brandes: Aber wenn ich da kurz einhaken darf: Dann hat Christian Lindner ja vielleicht doch recht, denn er hat ja eigentlich nur gesagt, wir müssen erst einmal auf die Krim sozusagen verzichten, um andere Dinge in den Vordergrund stellen zu können.
    Wellmann: Nein, von Verzicht redet ja überhaupt niemand. Wir haben immer gesagt, die Annexion der Krim ist völkerrechtswidrig, und wir brauchen ebenso für die Krim eine politische Lösung, aber die wird nicht dadurch erzielt, dass man Vorleistungen erbringt. Sehen Sie, wir haben in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, nach elenden Jahrhunderten interner Kriege in Europa ja auch eine europäische Lösung gefunden, die Grenzen überflüssig macht zwischen Deutschland und Frankreich, zwischen Deutschland und Polen und all den anderen Ländern, die sich daran beteiligt haben. Wenn man anfängt, an Revision bestehender Grenzen zu denken, dann entsteht nur Unheil, Krieg und Mord und Totschlag. Das muss überwunden werden, und an diesem Modell können wir uns auch in der Ukraine orientieren, und das gilt für die Krim, aber es braucht eine politische Lösung, der alle zustimmen, und nicht, indem man öffentlich erklärt, also die Krim ist schon mal weg, das müssen wir akzeptieren. Das führt zu nichts.
    "Die Annexion ist völkerrechtswidrig ist und muss rückgängig gemacht werden"
    Brandes: Aber Christian Lindner sagt ja auch, erst mal nur ein Provisorium.
    Wellmann: Es ist ja kein Provisorium im Moment. Es ist ja von Russland annektiert. Russland hat dort gewaltsam seine Staatsmacht etabliert und der Ukraine diesen Teil des Landes weggenommen, und wenn wir dies akzeptieren, wie Herr Lindner offenbar will, dann kommen wir in Teufels Küche, dann kommen all die anderen und sagen: 'Also wir müssen das, was mal zu unserem Land gehört, uns erst mal gewaltsam zurück holen.' Das gilt für die Ungaren, das gilt für die Türken und das Osmanische Reich, und das gilt auch für Deutschland. Das können wir nicht akzeptieren. Dieses haben wir nach 45 überwunden, und wenn wir jetzt mehr oder weniger stillschweigend das akzeptieren oder das wie Herr Lindner öffentlich akzeptieren, dann halten wir das für einen großen Fehler.
    Brandes: Könnte nicht auch umgekehrt ein Schuh draus werden, dass sozusagen die Ostukraine befriedet werden könnte, wenn die Ukraine langfristig darauf verzichten könnte, die Krim wiederzubekommen?
    Wellmann: Es geht nicht um Verzicht oder um Vorleistungen. Es ist ja gewaltsam weggenommen worden, und nicht nur wir, sondern die westliche Staatengemeinschaft insgesamt steht auf dem Standpunkt, dass das völkerrechtswidrig ist und rückgängig gemacht werden muss. In welchem Modell und unter welchen Bedingungen das geschieht, das ist zu besprechen im Rahmen einer gesamtpolitischen Lösung, aber nicht, indem man vorher sagt, irgendjemand muss auf irgendetwas verzichten.
    Die FDP als "unsicherer Kantonist"?
    Brandes: Es ist ja kein Geheimnis, dass sich Ihre Partei, die CDU, für die Zeit nach der Bundestagswahl als Wunschkandidatin bisher immer die FDP ausgesucht hat als Koalitionspartner. Wenn Sie jetzt dieses Verhalten von Christian Lindner sehen und der da ja ganz anderer Meinung ist als Sie, ist die FDP da vielleicht ein unsicherer Kantonist in Koalitionsfragen?
    Wellmann: Die FDP ist eine eigenständige Partei, die ihre Positionen vertritt, allerdings ist Herr Lindner ja bisher nicht als Außenpolitiker in Erscheinung getreten. Er hat auch keine Erfahrungen auf diesem Gebiet. Wir können nicht anderthalb Monate vor der Wahl jetzt schon Koalitionsgespräche führen. Wir werden auch keinesfalls, und das gilt auch für die FDP, den Konsens, der innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft insoweit besteht, aufkündigen.
    Brandes: Danke schön, Herr Wellmann!
    Wellmann: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.