Bettina Klein: Angesichts der russischen Truppenpräsenz an der ukrainischen Grenze und der faktischen Übernahme der Krim forderten und fordern die baltischen Staaten sowie auch Polen Sicherheitszusagen ihres Bündnisses. Die USA brachten diese Woche nochmals eine verstärkte Nato-Präsenz ins Gespräch, und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete gestern über angebliches Murren bei der Nato über Deutschland, das diesbezüglich wieder einmal als Bremser und Bedenkenträger auffalle, so der Bericht. Zurückgewiesen wurde das relativ schnell von Außenminister Steinmeier, der seinerseits wiederum beklagte, dass diese wichtigen Fragen, über die man die nächsten Wochen noch verhandeln werde, nun in aller Öffentlichkeit diskutiert würden.
Rolf Clement über das Hin und Her hinter den Kulissen bei der Nato.
Und mitgehört am Telefon hat General außer Diensten Klaus Naumann, ehemals Vorsitzender vom Nato-Militärausschuss. Ich grüße Sie, Herr Naumann!
Klaus Naumann: Grüß Gott, Frau Klein!
Klein: Wir beginnen mit der Aktualität. Verstärkte Truppenpräsenz in den Staaten des Baltikums und Polens, die ja zur Nato gehören. Wäre das möglicherweise gerade ein Signal, das zur weiteren Eskalation beitragen würde?
Naumann: Also, ich glaube nicht, dass das ein Signal der Eskalation sein kann. Das ist ein in meinen Augen fadenscheiniges Argument. Denn die Kräfte der Nato hätten ja eine reine Abwehrfunktion, und wenn jemand sich verteidigen will gegen einen Angriff, dann eskaliert er ja nicht. Aber andererseits muss man sagen, man sollte auch seitens unserer Bündnispartner der Verpflichtung Deutschlands, an der Seite seiner Verbündeten zu stehen, wenn es notwendig wird, doch Glauben schenken und Vertrauen schenken. Deutschland hat sich dazu verpflichtet, und die Sicherheit der baltischen Staaten und die Sicherheit Polens ist auch Teil deutscher Sicherheit. Das können unsere Verbündeten uns glauben. Und wenn nun konkrete Pläne auf den Tisch gelegt werden, was zu tun ist, dann bin ich sicher, dass Deutschland auch sorgfältig prüfen und seinen Verpflichtungen entsprechend handeln wird.
Klein: Wir haben es gerade gehört, dass angeblich hinter den Kulissen bei der Nato gegrummelt wird, dass Deutschland sich eher zurückhaltend verhalten würde und weiterhin vor allen Dingen mehr auf Gespräche denn auf Gewehre setzt. Und das ist ja auch, was Frank-Walter Steinmeier durchaus offensiv auch vertritt. Wie bewerten Sie das?
Naumann: Dieses Finger-pointing in der Vorbereitung von Nato-Entschlüssen ist nichts Neues, das wird immer wieder gespielt. Deutschland hat natürlich durch sein Verhalten in der Libyen-Krise Anlass zu Zweifeln gegeben. Die sind im Untergrund noch immer da. Deutschland hat auch, ich glaube, im vergangenen Jahr ein fragwürdiges Signal gegeben, bei einer Übung, ich denke, in den baltischen Staaten, die dann ebensolche Zweifel verstärkt haben. Aber die Verbündeten müssen wirklich wissen, Deutschland steht an ihrer Seite, sollte es jemals zu einer Konfrontation kommen, die eben meiner Ansicht nach Russland auch nicht will und die Russland am Ende auch nicht erfolgreich durchstehen könnte.
Klein: Eben. Der russische Außenminister wird heute Vormittag gerade aus einem Interview zitiert, dass er sagt, es gibt keine Absicht, über die Grenzen irgendeines Staates hinaus aktiv zu werden oder etwa das Territorium ehemaliger sowjetischer Teilrepubliken anzugreifen. Ist damit die angebliche oder eigentliche Bedrohung ausgeräumt?
Naumann: Nein, das ist es nicht. Sie haben ja ähnliche Töne gehört, bevor dann russische Truppen ohne Kennzeichnung auf der Krim auftauchten. Worte sind immer sehr leicht zu verändern. Was zählt, sind Fakten, die man auf dem Boden sieht. Und da ist eben eine nachdenklich stimmende Truppenkonzentration russischer Truppen an der Ostgrenze der Ukraine festzustellen. Es gibt auch Anzeichen, die darauf deuten, dass diese Präsenz länger dauern soll, indem man Versorgungseinrichtung und Ähnliches dorthin verlegt, was man bei Übungen normalerweise nicht tut. Das muss aufgeklärt werden, und Russland muss hier Signale der Transparenz und der Versicherung geben.
Klein: Und welche Art der Truppenpräsenz, wenn Sie vielleicht mal ein, zwei Beispiele nennen könnten, würden Sie denn befürworten innerhalb des Baltikums oder Polens?
Naumann: Also zunächst mal muss man – man muss ja immer abwägen, was besteht auf der anderen Seite. Und zunächst mal, glaube ich, sind die richtigen Schritte eingeleitet worden: Luftraumüberwachung, Luftverteidigungsfähigkeit – und sicherlich sollte man auch überlegen, Präsenz von Seestreitkräften in der Ostsee etwas zu verstärken. Und darüber hinaus kann man vorbereitende Pläne machen für Verlegungen von Landstreitkräften – sollte sich eine Bedrohung tatsächlich manifestieren, die gegenwärtig nicht existiert.
"Genscher war nicht befugt, für die Bundesregierung zu sprechen"
Klein: Herr Naumann, ein immer wieder vorgebrachtes Argument der russischen Führung wie auch derjenigen, die sie hier in Deutschland verteidigen, lautet, der Westen habe das derzeitige Verhalten Russlands mit zu verantworten, da die Nato Richtung Osten erweitert wurde, obwohl zumindest mündlich zugesichert worden sei, dass dies nicht geschehen würde. Nun sind gerade heute vor zehn Jahren die drei baltischen Staaten, wie auch mehrere andere osteuropäische Staaten Mitglied der Nato geworden. Sie waren damals auch im Zuge der Zwei-plus-Vier-Gespräche relativ nahe dran. Sie waren im Bundesverteidigungsministerium – was genau ist denn Moskau zugesagt worden?
Naumann: Die ständige Wiederholung der Behauptung, dass im Zuge der Zwei-plus-Vier-Gespräche Russland oder damals der Sowjetunion eine Zusicherung gegeben wurde, die Nato würde nicht nach Osten erweitert, ist eine Lüge, die durch ständige Wiederholung nicht besser wird. Es ist damals nie über die Nato-Osterweiterung gesprochen worden. Das war auch im Grunde genommen jenseits aller Vorstellung. Denken Sie doch bitte daran – die Sowjetunion existierte noch. Niemand dachte daran, dass der Warschauer Pakt ein Jahr später aufgelöst werden würde. Und wenn man dann die Geschichte weiter sieht, dann muss man eben auch sagen: Es war ja nicht die Nato, die auf Erweiterung gedrängt hat. Es waren die Staaten Polen, Tschechien, damals noch Tschechoslowakei, und Ungarn, auch Rumänien, die in die Nato drängten. Und die Nato hat sich zunächst sehr zögernd verhalten. Sie hatte ja zunächst das Programm "Partnerschaft in Frieden" aufgelegt, aus amerikanischer Sicht mit der Zielsetzung, eine Nato-Erweiterung zu vermeiden. Und man hat auch immer im Kontakt mit Russland versucht, Russland deutlich zu machen, dass die Nato-Osterweiterung sich nicht gegen Russland richtet, sondern letztlich für Russland eine Versicherung ist, dass an der Westgrenze Russlands nichts passieren wird. Die Nato bleibt ein defensives Bündnis.
Klein: Herr Naumann, bleiben wir noch kurz mal bei dem, was Sie jetzt als Lüge bezeichnet haben. Es wird ja immer wieder ein Gespräch zitiert des damaligen Bundesaußenministers Genscher mit seinem sowjetischen Amtskollegen Schewardnadse, wo das mündlich zugesichert wurde. Und das galt aus Sicht der Russen offenbar als etwas, auf das man sich gerne verlassen wollte.
Naumann: Das Gespräch Genscher/Schewardnadse hat es wohl gegeben. Man muss aber dann doch sehr nüchtern sagen, der damalige Bundesaußenminister war nicht befugt, für die Bundesregierung zu sprechen, das hätte nur der Kanzler machen können. Der Kanzler wäre auch nicht befugt gewesen, für die Nato zu sprechen. Und er wäre schon gar nicht befugt gewesen, über den Kopf Dritter hinweg, sprich Polen, Tschechien und Ungarn, ähnliche Versicherungen zu geben. Das sollten vielleicht die vielen Russland-Versteher bei uns, die ja bis in die Ränge ehemaliger Kanzler reichen, auch mal sich vor Augen halten und vielleicht ein bisschen mehr Polen-Versteher werden, bei denen die Alarmglocken einfach klingeln, wenn Deutschland und Russland andeuten, sie wollten sich über ihre Köpfe hinweg einigen.
Klein: Aber im Zwei-plus-Vier-Vertrag ist auf jeden Fall etwas ja festgelegt mit Blick auf Deutschland.
Naumann: Da ist eine Beschränkung für Deutschland festgelegt. Die ist auch eingehalten. Und alle Veränderungen, die es da gegeben hat, sind mit Russland und mit russischen Einvernehmen festgelegt worden. Deutschland ist vertragstreu geblieben. Es gibt keine Nato-Einrichtungen auf dem Gebiet der früheren DDR. Es gibt nur deutsche Truppen dort. Es gibt keine Atomwaffen dort, das war ja auch ein ganz wichtiger Punkt. Und insofern ist wirklich vertragsgetreu gehandelt worden.
Klein: General außer Diensten Klaus Naumann heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk zu den Überlegungen der Nato, wie man nun auf die aktuelle Entwicklung in der Ukraine reagieren sollte. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Naumann!
Naumann: Bitte sehr, Frau Klein!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.