Das Blatt wendet sich schnell. Wladimir Schirinowskij, populistischer Fraktionsführer der sogenannten Liberaldemokraten, gilt in Russland als jemand, der das ausspricht, was Regierungspolitiker nicht auszusprechen wagen. Nach dem Abschuss des russischen Kampfjets durch türkisches Militär Ende letzten Jahres wetterte er im russischen Staatsfernsehen:
"Die Türkei hat Russland immer gehasst. Sie ist der Kettenhund der NATO und der USA. Das sind feige Nomaden. Man muss die Wirtschaftsbeziehungen abbrechen, den türkischen Botschafter aus Moskau verjagen und den Kurden und Armeniern helfen, die kurdischen und armenischen Gebiete zu befreien."
Und so klang Schirinowskij diese Woche:
"Die Türkei braucht die NATO nicht. Sie kann all ihre Militärbasen uns geben. Wir lösen das Problem mit Syrien. Und das mit den Kurden auch. Ein Bündnis mit Russland bringt für die Türkei die Lösung aller Fragen. Und wir bekommen Sicherheit an den Südgrenzen. Und billige Südprodukte."
In Windeseile ist Russland dabei, die Beziehungen zur Türkei wiederherzustellen. Möglich wurde das, nachdem Präsident Erdogan sich Ende Juni in einem Brief für den Abschuss des russischen Flugzeugs entschuldigt hatte. Zumindest war in der offiziellen russischen Übersetzung von einer Entschuldigung die Rede. Es folgte ein Telefonat zwischen Putin und Erdogan, und schon kurz danach hob Russlands Präsident das Verbot für Pauschalreisen in die Türkei auf. Demnächst sollen auch Charterflüge wieder aufgenommen werden. Unter anderem deshalb ist derzeit eine türkische Regierungsdelegation mit Vizepremier Mehmet Simsek an der Spitze zu Gesprächen in Moskau. Die türkische Tourismusbranche hat stark unter dem Ausbleiben der als zahlungsfreudig geltenden russischen Touristen gelitten.
Pipline-Pläne und Bau eines Atomkraftwerks
Russland seinerseits hat vor allem zwei Energiegroßprojekte im Blick. Es geht zum einen um die Gaspipeline Turk Stream von Russland über den Grund des Schwarzen Meeres in die Türkei – und möglicherweise weiter in die EU. Wegen der politischen Streitigkeiten zwischen Erdogan und Putin lag das Projekt auf Eis. Es gibt nach wie vor viele Unwägbarkeiten. So hat die Türkei noch keine Abnahmemengen zugesagt. Gestern war nun in Moskau von Fortschritten die Rede. Die Türkei habe ihr Interesse an der Pipeline unterstrichen.
Das zweite für Russland wichtige Projekt ist ein Atomkraftwerk, das der Staatskonzern Rosatom im Südosten der Türkei baut. Der Auftrag wird auf 20 Milliarden US-Dollar beziffert. Auch hier verkündete Russlands Vizepremier Arkadij Dworkowitsch gestern Fortschritte:
"Es gibt Bewegung. Die türkische Seite muss noch einige Gesetze ausarbeiten. Wir rechnen damit, dass wir schnell vorankommen."
Das radikale Vorgehen Erdogans gegen seine Kritiker, die Anzeichen einer aufziehenden Diktatur, die viele westliche Politiker sehen, sind in Russland kaum ein Thema. Kremlsprecher Dmitrij Peskow sagte, die Verhängung des Ausnahmezustands sei eine innere Angelegenheit des Landes. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Zacharowa, mahnte an, die Menschenrechte in der Türkei zu achten, zeigte dabei aber Verständnis für Erdogans Vorgehen.
"Nach dem, was in der Türkei passiert ist, geschehen dort nun angemessene Prozesse, leider, offenbar, notgedrungen."
Wie gestern bekannt wurde, werden Erdogan und Putin sich am 9. August in St. Petersburg zu Gesprächen treffen.