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Russland und die Ukraine
"Europa nicht für Krise verantwortlich"

Die Europäische Union trage für die russische Annexion der Krim keine Mitverantwortung, sagte Ruprecht Polenz, früherer Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, im DLF. Die EU habe vielen Ländern auf ihrem Weg zur Demokratie geholfen. Das sei auch im Interesse Russlands.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Peter Kapern | 19.03.2014
    Porträtbild von Ruprecht Polenz, dem ehemaligen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
    Ruprecht Polenz (CDU) befürwortet Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland, wenn sie den militärischen Sektor treffen. Dabei sollte man auch die Sicherheit der deutschen Gasversorgung im Auge habe. (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    Peter Kapern: Manchmal genügt ja ein Funke, um ein Pulverfass zu entzünden. Gestern am späten Nachmittag, da stellte sich die Frage, ob dieser Moment möglicherweise gekommen ist. Zwei Menschen waren da gestorben bei einem Scharmützel an einem ukrainischen Militärstützpunkt auf der Krim.
    Mitgehört hat Ruprecht Polenz von der CDU, der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Herr Polenz.
    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Zwei Tote bei einem Feuergefecht auf der Krim rund um einen ukrainischen Militärstützpunkt. Wie groß ist Ihrer Meinung nach derzeit die Gefahr, dass der Kalte Krieg in der Ukraine in einen heißen umschlägt?
    Polenz: Nun, diese Ereignisse von gestern zeigen ja jetzt auch in der Praxis, wie wichtig es bei einem Referendum über Unabhängigkeit eines Landesteiles oder den Anschluss eines Landesteiles an ein anderes Land ist, dass auch die Zentralregierung mitwirkt, so wie das beispielsweise bei der Unabhängigkeit Montenegros von Serbien der Fall war, denn dann kann man auch über die Folgen eines positiven Ausgangs eines Referendums im Vorhinein verhandeln.
    Und es war klar, dass ein Votum, so wie es Russland und russische Truppen auf der Krim mit herbeigeführt haben, ohne diese Folgen zu klären, eine besondere Gefahr birgt, denn auf der Krim stehen auch ukrainische Soldaten und ist auch die ukrainische Schwarzmeerflotte stationiert. Und ich hoffe, dass es jetzt in der Zukunft gelingt, vielleicht durch das Angebot, was der ukrainische Oberbefehlshaber an seinen russischen Kollegen gemacht hat, dass man im Gespräch zur Lösung jetzt im Nachhinein kommt.
    Kapern: Gestern hat nun Wladimir Putin die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation vollzogen. Hätten Sie, Herr Polenz, gedacht, dass fast 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa noch einmal ein Land sich Gebiete eines anderen Landes einverleiben könnte?
    Polenz: Ich hätte mit dieser Annexion nicht gerechnet, obwohl ich zu denen gehört habe, die als der Georgien-Krieg 2008 stattfand und Russland angefangen hatte, auf der Krim verstärkt russische Pässe auszugeben, und gleichzeitig Medwedew als damaliger Präsident verkündet hat, Russland behalte sich das Recht vor, auch die Russen im Ausland "zu schützen", dass damit auch vorbereitet werden könnte das, was wir jetzt auf der Krim erlebt haben.
    Kapern: Wenn das damals schon die Vorbereitung für die Annexion, für die Übernahme der Krim war, was ist dann eigentlich dran an den vielen Vorwürfen an den Westen, die man derzeit hier in Deutschland hört, die Europäische Union habe durch ihren Kurs gegenüber der Ukraine eigentlich Russland provoziert und trage gewissermaßen eine Mitverantwortung für das russische Vorgehen?
    "Von der EU ging keinerlei militärischer Druck aus"
    Polenz: Ich halte das nicht für zutreffend. Die Europäische Union ist ja nicht auf Akquisitionstour gewesen, so nach dem Motto, wir wollen mal schauen, wen wir noch als Mitglied gewinnen können, sondern es war so, dass die Länder, die zwischen Europa und Russland liegen, sich weiterentwickeln wollen, dass sie auch um Kontakte zur Europäischen Union, zum Zugang zu dem europäischen Markt gebeten haben und dass man darüber verhandelt hat.
    Außerdem haben wir in unserer eigenen Sicherheitsstrategie ein ganz einfaches Prinzip entwickelt, damals Solana 2002, nämlich es geht uns in der Europäischen Union gut, wenn es auch unseren Nachbarn gut geht, und deshalb haben wir den Nachbarn Programme angeboten, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft stärken sollen, und vertragliche Vereinbarungen ihnen angeboten.
    Und vertragliche Vereinbarungen werden immer nur freiwillig geschlossen, nicht mit Druck. Es gibt keinerlei militärischen Druck, beispielsweise wie wir ihn jetzt von Russland auf der Krim gesehen haben mit den 6000 Invasionstruppen, vonseiten der Europäischen Union. Das wird es auch in Zukunft nicht geben.
    Kapern: Verwundert es Sie eigentlich, Herr Polenz, dass es hierzulande so viele Menschen gibt, die bereit sind, Russland ein Vetorecht einzuräumen bei der Frage, ob die Ukraine sich für den Westen interessieren darf, ob die Ukraine sich dem Westen annähern darf oder nicht?
    "EU hat bewiesen, wie sehr sie Gesellschaften helfen kann"
    Polenz: Es wundert mich schon, weil das natürlich ein Denken ist, was die Länder in unterschiedliche Kategorien einteilt und von der grundsätzlichen Gleichberechtigung und vom Selbstbestimmungsrecht der Länder abweicht, wonach etwa die Ukraine oder auch Armenien oder auch Moldau natürlich selber über ihre Zukunft entscheiden können müssen. Und es wundert mich auch deshalb, weil man der Europäischen Union, der wir selber angehören und der wir selber sehr, sehr viel verdanken, etwas unterstellt, was sie in der Vergangenheit nie getan hat, nämlich irgendwelche aggressiven Absichten.
    Die Europäische Union hat im Gegenteil bewiesen, wie sehr sie Gesellschaften helfen kann, zu transformieren von Ein-Parteien-Staaten zu Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit, und das wäre doch auch im Interesse Russlands. Nur Russland definiert sein eigenes Interesse anders. Es nutzt die bisherigen sogenannten eingefrorenen Konflikte mit Transnistrien, Nagorny Karabach oder Abchasien und Südossetien, um einen Einflusshebel gegenüber Georgien, Armenien und Moldau zu haben, und hat sich jetzt mit der Krim einen weiteren solchen Konflikt geschaffen, mit dem es, so ist die Kalkulation, gegenüber der Ukraine einen Hebel benutzt.
    Für Russland sind im Grunde nur die Grenzen Russlands sichere Grenzen, oder, präziser gesagt, für Putin sind nur die Grenzen Russlands sichere Grenzen, wo auf beiden Seiten der Grenze russische Soldaten stehen. Das ist ein Denken, was wir nicht akzeptieren können.
    Kapern: Herr Polenz, die USA verstärken ihre Militärpräsenz im Baltikum und in Polen. England friert die militärische Zusammenarbeit mit Russland ein. Frankreich droht damit, große Rüstungsgeschäfte mit Moskau platzen zu lassen, und in Deutschland warnen Politiker von SPD und Union vor weiteren Sanktionen. Erweist sich Deutschland da gerade als Land der Krämerseelen und der Russland-Versteher?
    "Wir brauchen eine geschlossene Antwort des Westens an Russland"
    Polenz: Nein. Ich glaube, dass wir auch – und das wird auch der EU-Gipfel am kommenden Wochenende zeigen – natürlich eine geschlossene Antwort des Westens brauchen. Die Vorgehensweise von Putin hat das Vertrauen der Wirtschaft weltweit in Russland erschüttert und in Teilen zerstört. Russland wird das sowieso an den Auslandsinvestitionen nach Russland merken. Der Rubel-Kurs ist abgestürzt, auch die Moskauer Börse hat das schon gespürt. Ich finde es richtig, wenn Frankreich jetzt diese beiden Schiffe, den einen Hubschrauberträger und das andere Schiff, nicht an Russland liefert, denn man kann in der jetzigen Lage ja nun wirklich nicht die Schwarzmeerflotte verstärken.
    Ich finde es aber auch wichtig, dass Deutschland jetzt auch für sich Konsequenzen zieht und sagt, wir können das Wintershall-Geschäft mit Gazprom, wonach Wintershall unsere Gasspeicher, also unsere Sicherheitsreserve an Gazprom verkaufen will, jetzt nicht genehmigen. Wir haben nicht das Vertrauen, dass Russland sich vertragstreu und sicher uns gegenüber verhält. Und ich finde, auch das DEA-Geschäft der RWE an einen russischen Investor, wo auch die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gaslieferungen gerade in der jetzigen Situation noch einmal zusätzlich erhöht wird, das sollte zurzeit nicht stattfinden.
    Kapern: Gilt das auch für die Geschäfte, die der Rüstungskonzern Rheinmetall mit Russland macht? Die Agentur dpa, die Deutsche Presseagentur meldet heute früh, dass Rheinmetall unbedingt daran festhalten will, ein Gefechtsübungszentrum in Kürze an Russland zu liefern.
    "Konflikt nicht unnötig auf andere Themen ausweiten"
    Polenz: Auch das finde ich in der gegenwärtigen Lage das völlig falsche Signal und diese Schritte sollten jetzt unterbleiben. Auf der anderen Seite sollten wir natürlich schauen, dass wir den Konflikt jetzt nicht unsererseits unnötig auf andere Themenfelder ausweiten. Wir sollten weiter versuchen, mit Russland zusammenzuarbeiten, weil auch Russland das Interesse hat, dass beispielsweise mit dem Iran kein neuer Atomwaffen-Staat entsteht. Wir sollten weiter versuchen, Russland dazu zu bekommen, dazu beizutragen, dass der syrische Bürgerkrieg beendet wird.
    Aber wir sollten deutlich machen, wo Russland auch Grenzen gesetzt werden, und wir sollten der ukrainischen Regierung helfen durch Notkredite und dann eben auch durch die Beobachtung der Präsidentschaftswahlen, dass eine neue ukrainische Regierung, erst ein Präsident, dann eine neue ukrainische Regierung gebildet werden kann.
    Kapern: Aber wir können festhalten: Ruprecht Polenz, der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, ist dafür, jetzt auch zu Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland überzugehen?
    Polenz: Die den militärischen Sektor treffen und die unsere eigene Versorgungssicherheit, was das Gas angeht, im Auge haben.
    Kapern: Ruprecht Polenz war das, der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Herr Polenz, danke für das Gespräch, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
    Polenz: Danke schön, Herr Kapern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.