Es sind die Amateuraufnahmen eines estnischen Grenzpolizisten, die in diesen Tagen in Estland für Aufmerksamkeit sorgen. Sowohl im Fernsehen als auch im Internet. Tief im Wald an der estnisch-russischen Grenze zwischen dichtem Buschwerk und einer kleinen Lichtung geben estnische und russische Grenzer die Verschleppung von Eston Kover durch den russischen Geheimdienst zu Protokoll. Der estnische Beamte sei von Estland nach Russland entführt worden, als er einem Schmugglerring auf den Fersen war. Die Bevölkerung reagiert beunruhigt und empört:
"Das ist furchtbar, Russland will uns Angst machen. Ich hoffe nicht, dass Putin seinen Machthunger stillen will und sich nach der Krim jetzt Estland einverleibt. Aber wir sind in der EU und NATO, sie werden uns helfen."
"Estland und Europa sind winzig, Russland ist aber stark. Ich fürchte, unser Nachbar wollte uns daran erinnern, wie mächtig und unberechenbar er ist."
"Das ist nicht wahr: Der Geheimagent wurde auf russischer Seite festgenommen, weil er spioniert hat. Ich bin Russin und kann nicht verstehen, weshalb die Esten so viel Angst vor Putin haben. Die Krim hat schon immer zu Russland gehört, aber dass er die baltischen Länder einnehmen will, ist völlig absurd."
In Estland ist jeder dritte Einwohner russischer Herkunft. Die Minderheit unterhält eigene Schulen und Theater und vertraut russischen Medien.
"Russischer Geheimdienst hat Tatsachen verdreht"
Im estnischen Geheimdienst ist man besorgt, weil der entführte Agent von Moskau plötzlich als Krimineller dargestellt wird. Pressesprecher Harrys Puusepp verweist auf jene Protokolle, die am Tag der Entführung auch von russischen Grenzern unterschrieben worden seien:
"Hier steht schwarz auf weiß, dass Eston Kover aus Estland verschleppt wurde, aber am nächsten Tag verweigerte der Chef der Abteilung seine Unterschrift. Jetzt heißt es, unser Agent sei in Russland festgenommen worden. Das hat es seit Stalin nicht mehr gegeben, dass der russische Geheimdienst nach Estland kommt, um einen Agenten zu verschleppen, und später die Tatsachen verdreht."
Der Abgeordnete Enn Esmaa ist stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im estnischen Parlament und beklagt, dass es noch immer keinen gültigen Grenzvertrag mit Russland gibt. Obwohl Estland die Außengrenze von EU und NATO markiert. Zwar haben Estland und Russland ein Abkommen längst unterzeichnet, doch die russische Duma verweigert bis heute die Ratifizierung. Als Begründung dient den Abgeordneten das Vorwort, in dem Estland seinen Verzicht auf Gebietsansprüche aus dem Jahre 1920 erläutert. Für viele Politiker zählt der damalige Friedensvertrag mit Russland auch heute noch zu den Eckpfeilern der estnischen Unabhängigkeit. Enn Eesmaa:
"Dieses Vorwort war zuviel für die russische Seite, dabei hat es absolut nichts an unserem Regelwerk geändert. Aber ohne Grenzvertrag können wir keinen klaren Grenzverlauf mit elektronischer Sicherung bauen. Dort wo der Agent verschleppt wurde, kommt hier und da plötzlich ein Kilometer russisches Gebiet, dann ist man wieder in der Estnischen Republik. Mit einem Vertrag könnten wir das regulieren und der Mann wäre unmöglich entführt worden. Moskau behauptet ja heute, dass es sich um einen Angriff der NATO gehandelt hat."
Gezielte Provokation?
Auch Kalev Stoicescu verfolgt aufmerksam die Berichterstattung in den staatlich kontrollierten Medien in Russland. Für den estnischen Politikwissenschaftler vom Internationalen Zentrum für Verteidigungsstudien ist die Entführung Kovers eine gezielte russische Provokation und eine Reaktion auf die Finanzsanktionen der EU und den Ausbau der schnellen Eingreiftruppe der NATO:
"Wichtig ist auch, wer diese Operation durchgeführt hat. Das war der FSB. Putin vertraut heute vor allem dem russischen Geheimdienst und hört kaum noch auf seine Minister, die ihm raten, die Konfrontation mit dem Westen zu beenden. Diese Entführung unterstützt Putins Politik und lässt sich bestens in seine Propaganda einbauen. Seht her, der FSB macht gute Arbeit, wir haben einen weiteren Spion gefangen."
Als Reaktion auf den Streit mit Russland haben die Innenminister aller drei baltischen Länder den Aufbau einer gemeinsamen Eingreiftruppe der Polizei beschlossen. Was genau ihre Aufgabe sein soll, ist allerdings noch unklar.