Archiv

Russland vor der WM
Watutinki macht sich bereit

In Windeseile werden in Russland die letzten Vorbereitungen für die Fußballweltmeisterschaft erledigt - Geld spielt dabei keine Rolle. Schon in wenigen Tagen wird das DFB-Team sein Quartier vor den Toren Moskaus beziehen. Die Bewohner Watutinkis reagieren auf den bevorstehenden Rummel gelassen.

Von Thielko Grieß |
    Die Hotelanlage von Vatutinki, dem Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft für die WM 2018
    Die Hotelanlage von Watutinki, dem Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft für die WM 2018 (vatutinki.vk.com)
    Die neue grüne Metallwand ist undurchdringlich. Ihr Blech ragt mindestens drei, vier Meter empor und umgibt das Gelände, auf dem Joachim Löw und seine Leute wohnen werden. Ob es vielleicht möglich ist, sich das Hotel anzuschauen? Die Frage geht an einen Wachmann an der Einfahrtsschranke. Auf sie folgt eine landestypische Routine: Eine Autoritätsperson fragt die nächste. Es wird telefoniert. Dann Pause, einige Minuten Warten.
    Dann ertönt ein Klingeln: Rückruf der Autoritätsperson. Nein, ein Zutritt zum "Wellness-Komplex Watutinki" sei nicht möglich, antwortet sie.
    "Wir sind doch gastfreundliche Russen!"
    Einige hundert Meter weiter entlang der Anliegerstraße Tscharoitowaja knien am Wegesrand fünf, sechs Frauen mit kleinen Schaufeln vor und in einem Beet. Sie pflanzen blaue und gelbe und viele andere Stiefmütterchen. Der erste Gedanke: Das tun sie doch nur für die Weltmeistergäste! Die angesprochene Pflanzerin antwortet mit einem Gesichtsausdruck, der sagen will: Das hätten sie gern! "Nein, wir pflanzen sie jedes Jahr, auch Tulpen. Blumenbeete gibt es auch noch an anderen Stellen."
    Natürlich hat sie gehört, wer da bald anreist. "Das haben sie in den Nachrichten berichtet, dass Deutsche zu uns kommen. Wir freuen uns immer über Gäste, wir sind doch gastfreundliche Russen!"
    Ansonsten sprühen die Frauen nicht gerade vor Interesse an der WM. Aber die Gäste sollen sich wohlfühlen. An dem von ihnen bepflanzten Stiefmütterchenbeet unweit der Ausfahrt werden die deutschen Fußballer oft vorbeifahren. Bis zum Roten Platz sind es von hier aus gut 37 Kilometer, bis zum Stadion Luschniki, wo ihr erstes Spiel gegen Mexiko angepfiffen werden wird, ungefähr 33 Kilometer. Wenn die Kicker das Wellness-Zentrum verlassen, sehen sie linkerhand hohe, weiße, recht neue Wohnblöcke mit mehr als zehn Etagen, einer neben dem anderen. Der erst wenige Jahre alte Stadtteil heißt Neu-Watutinki, der vor sechs Jahren nach Moskau eingemeindet wurde. Hier sind Spielplätze, Schule und Kindergarten fußläufig zu erreichen. Kurzum: Als Familie kann man es hier nett haben.
    Online-Sprachkurse für Taxifahrer
    An der Hauptstraße lehnt ein Taxifahrer an der Beifahrertür seines gelben Wagens. Er fährt im Auftrag eines russischen Internet-Konzerns, wohnt hier in Neu-Watutinki und selbstverständlich ist ihm die WM ein Begriff.
    "Das einzige Minus sind die Sprachkenntnisse, wenn ich zum Beispiel jemanden fahre und nur 'I don't speak' sagen kann. Oder Deutsch, ich bin auch mal nach Deutschland gefahren, und irgendwo im Kopf ist da noch was, aber ich habe keine Sprachpraxis."
    Also will er noch einen kostenlosen Online-Kurs belegen. Ein solches Angebot gibt es zurzeit für tausende Taxi-Fahrer. Der Mann deutet auf die umliegenden Wohnblocks: "Hier werden für Fans viele Unterkünfte vermietet", weiß er zu berichten Ein Blick auf ein einschlägiges Portal ergibt aber wenige Tage später: Es gibt in Neu-Watutinki keine Zimmer, oder vielleicht nicht mehr. Nachprüfbar ist aber etwas anderes, was er sagt: Straßenbau ist in diesem Bezirk zurzeit eine sehr große Sache.
    "Sie sehen ja selbst, dass alle Hauptstraßen umgebaut werden, dass man sich bemüht, bis zum Beginn der WM fertig zu werden. Neue farbige Verkleidungen für Fußgängerbrücken gibt's auch, damit es schön wird. Und sie werden rechtzeitig fertig. Wir haben ja", sagt er mit etwas Ironie in der Stimme, "Wladimir Wladimirowitsch Putin. Sie schaffen es, sie müssen es schaffen, kein Zweifel."
    Und dann holt der Taxifahrer mit seinem Arm aus: Fahren Sie dort auf die große Straße, machen sie dann einen U-Turn und danach rechts rein. Dann haben Sie ihr Ziel erreicht, das Trainingsgelände der Nationalmannschaft.
    Zwischen Desinteresse und Ansätzen von Neugier
    Dort verdichten Bauarbeiter den Schotter eines neuen Gehwegs. Manche sind Armenier, manche Russen. Den Zustand der zum Gelände führenden Straße, heißt es in russischen Medien, hätten die Deutschen moniert. Also wird nun emsig asphaltiert und Pflaster verlegt, werden Bäume gepflanzt. Das Trainingsgelände selbst ist auch von einem neuen Zaun begrenzt. Ein bisschen ist es einzusehen: Einer mäht dort hinten den Rasen, gebaut wird dort wohl kaum noch. "Zutritt verboten", sagt eine weitere freundliche Autoritätsperson. "Es sei denn, Sie haben einen Sohn, der in der Fußballjugend des Armeesportclubs ZSKA Fußball spielt." Den hat Katja, die ihren sechsjährigen Artjom zum Fußballtraining bringt.
    "Man hat uns schon gesagt, dass wir an einem anderen Ort trainieren müssen, wenn die Deutschen da sind."
    Sohn Artjom ist schon nicht mehr zu sprechen, weil er mit seinem Sportrucksack vorgerannt ist, ab zum Training. Katja, ihr Mann und der Kleine haben Karten für ein WM-Spiel.
    "Wir werden uns eins in Sankt Petersburg anschauen. Oh, ich weiß gerade gar nicht genau, welches Spiel das ist. Wir haben einfach einen Antrag auf ein Ticket gestellt, wollten eigentlich nach Sotschi zu einem Spiel, haben das aber nicht bekommen."
    Diese kurze Szene ist nicht untypisch für Russland kurz vor der WM: In Windeseile werden die letzten Vorbereitungen erledigt - Geld spielt dabei keine Rolle. Bauunternehmen verdienen viel an dieser WM. Und für viele andere ist Fußball nicht die größte Leidenschaft, aber wenn das Turnier schon mal im eigenen Land stattfindet, kann man es sich ja auch anschauen. Wer weiß, vielleicht wird es ja doch ganz interessant, diese Sache mit dem Ball und den Stadien und den Spielern und Fans von überall her.