Osteuropakunde
Wie Russland gegen deutsche Wissenschaftler vorgeht

Eine wissenschaftliche Gesellschaft zur „extremistischen Organisation“ erklären? So weit geht der russische Staat, um Forschende von kritischen Studien in Osteuropa abzuhalten. Für Wissenschaftler hat dies weitreichende Konsequenzen.

    Anonyme russische Hacker vor einem Laptop. Russland Flagge im Hintergrund.
    "Staatlich-russische Akteure" werden als Urheber einer Hacker-Attacke auf die DGO vermutet. (imago / Pond5 Images / chalup)
    Die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde mit Sitz in Berlin wurde im Juli von Russland als "extremistische Organisation" eingestuft. Dadurch gilt die DGO nach russischem Recht als eine kriminelle Vereinigung mit allen rechtlichen Konsequenzen für ihre Mitglieder, ihre Organe und ihr weiteres Umfeld. Der Schritt des russischen Staates hat weitgehende Konsequenzen für Wissenschaftler.
    Die DGO ist eine wissenschaftliche Fachgesellschaft, die unter anderem Kontakte zwischen deutschen und russischen Wissenschaftsorganisationen herstellt, wissenschaftliche Konferenzen organisiert und Fachzeitschriften herausgibt. Die Organisation, die fächerübergreifend arbeitet, hat ihre Wurzeln in der 1913 gegründeten Gesellschaft zum Studium Russlands.

    Inhalt

    Was bedeutet die Einstufung der DGO als extremistische Organisation?

    Russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Kontakt zu dem deutschen Forschungsinstitut haben, drohen unter Umständen mehrjährige Haftstrafen. Auch DGO-Forschende aus Deutschland sind nicht mehr sicher, wenn sie in Russland recherchieren und arbeiten. Sie müssen fürchten, verhaftet zu werden.
    „Das ist ein Schritt, der ist so extrem, dass man den nicht hätte planen können. Das ist ja auch ein Präzedenzfall. Das ist die erste Wissenschaftsorganisation, die jetzt auf dieser Liste ist“, sagt Félix Krawatzek vom Zentrum für Osteuropa- und Internationale Studien in Berlin. Die Listung als extremistische Organisation habe sie schockiert, sagt Gabriele Freitag, Geschäftsführerin der betroffenen Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Sie spricht von einer „Eskalation“, da man damit in Russland „kriminalisiert“ werde.

    Was bedeutet das für die Wissenschaftsfreiheit?

    Die Entscheidung des russischen Staats hat einschneidende Konsequenzen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Russland. Laut Geschäftsführerin Gabriele Freitag hätten die meisten Partnerinnen und Partner, die mit der DGO zusammenarbeiteten, aber „spätestens 2022 das Land verlassen“.
    Auch Walter Rosental, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, betont, dass die institutionellen Wissenschaftsbeziehungen zu Russland bereits seit dem russischen Überfall auf die Ukraine auf Eis liegen – aber natürlich gebe es weiter persönliche Beziehungen zwischen Forschenden. Nun müsse man abwägen, ob und wie solche Kontakte noch möglich sind, ohne Wissenschaftler zu gefährden. Rosental sprach mit Blick auf Russlands Maßnahme gegen die DGO von einem „eklatanten Verstoß gegen die akademische Freiheit“ und von einem „neuen Tiefpunkt in den russisch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen“.
    Die Einstufung betrifft nicht nur russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch deutsche, die zu Forschungszwecken nach Russland gereist sind. Aber selbst in den Nachbarländern Russlands können sich diejenigen, die mit der DGO kooperieren, nicht mehr sicher sein. Gabriele Freitag warnte Forschende davor, in mit Russland befreundete Staaten Zentralasiens wie Usbekistan und Kasachstan zu reisen. Für diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestehe die Gefahr, mit einem Auslieferungsantrag Russlands konfrontiert zu werden. So werde die Forschung über Osteuropa „dramatisch eingeschränkt“, so Freitag.
    Félix Krawatzek vom Zentrum für Osteuropa- und Internationale Studien in Berlin warnt davor, dass in Deutschland lebende russische Forschende bei einer sichtbaren Zusammenarbeit mit der DGO möglicherweise ihre Verwandten in Russland in Gefahr bringen würden.

    Wie sehen die Folgen für deutsche Forschende aus?

    Studienaufenthalte vor Ort in Russland werden damit für deutsche Forschende, die mit der DGO zu tun haben, zur Unmöglichkeit. Allerdings: „Man kann ja auch anders über ein Land Sachen lernen. Es gibt die sozialen Medien. Es gibt Statistiken. Es gibt Umfragen, die nach wie vor in Russland durchgeführt werden“, sagt Krawatzek. Es gebe also noch Zugänge zum Thema Russland für Doktoranden, die sich mit dem Land beschäftigen wollten.
    Die DGO gab ein Rechtsgutachten in Auftrag, das mögliche strafrechtliche Konsequenzen in Russland analysiert. Darin wird das mögliche Ausmaß der strafrechtlichen Verfolgung in Russland mit den Maßnahmen gegen die Oppositionsorganisation von Kreml-Kritiker Alexei Nawalny verglichen. Nawalny starb Anfang 2024 in einer sibirischen Strafkolonie.
    Allen Personen, die mit der DGO zu tun hatten oder haben, wird von einer Einreise nach Russland abgeraten. Auch vor einer Einreise in Staaten, die mit den russischen Behörden kooperieren, namentlich Ungarn, Georgien, Serbien und Türkei, wird gewarnt.
    Wie konkret die Gefahr ist, zeigte ein im Oktober bekannt gewordener Vorfall: Hacker hatten den E-Mail-Server der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde attackiert. Nach Angaben der Organisation deuten die bisherigen Informationen "auf staatlich-russische Akteure als Urheber" hin. Der Fachverband sieht diesen Angriff demnach gemeinsam mit seiner Einstufung als "extremistische Organisation" in Russland als Teil der hybriden Bedrohungen Russlands gegen Deutschland an.
    Der DGO zufolge leiteten Unbefugte über einen längeren Zeitraum hinweg E-Mails ausgewählter Postfächer des Verbands um. Dieser Angriff, der hochprofessionell und technisch äußerst versiert durchgeführt worden sei, habe darauf abgezielt, umfassende Informationen über die Arbeit der Organisation zu erhalten. Die Sicherheitslücke konnte den Angaben zufolge in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) inzwischen geschlossen werden.

    Warum will Russland Osteuropa-Forschung unterbinden?

    In dem Rechtsgutachten des Juristen Gleb Bogush im Auftrag des DGO heißt es, dass Russland eine "antiextremistische" Gesetzgebung gegen Forscher in Stellung bringt, diene dem Ziel, kritische Studien über die Lage in Russland zu erschweren oder gar zu verhindern.
    Russland verfolgt seit etlichen Jahren eine Eskalationsstrategie. Zunächst wurden russische Partner des DGO vom Justizministerium als ausländische Agenten eingestuft. Wer trotzdem weiterarbeitete, beging eine Ordnungswidrigkeit. Im März 2024 wurde die DGO dann zur unerwünschten Organisation erklärt – wie viele andere ausländische NGOs und andere Institutionen. Von da ab drohten russischen Staatsbürgern, die mit der DGO zusammenarbeiteten, bis zu sechs Jahre Haft – auch wenn die Tätigkeit im Ausland war. Mit der Listung als extremistische Organisation erhöhte sich die Strafandrohung auf zwölf Jahre Haft. Damit soll jeder Kontakt verhindert werden. Durch diese Eskalation wird gezielt das Wissen darüber, was in Russland vor sich geht, eingeschränkt.

    Wie reagiert Deutschland auf das russische Vorgehen?

    Der frühere FDP-Bundestagsabgeordnete und jetzige deutsche Botschafter in Moskau, Alexander Graf Lambsdorff, protestierte gegen die „völlig ungerechtfertigte“ Einstufung der DGO als "extremistische Organisation". Er forderte Russland auf, das so schnell wie möglich rückgängig zu machen.
    Die deutsche Seite machte laut Lambsdorff deutlich, dass die DGO seit vielen Jahrzehnten eine der wichtigsten Organisationen der Osteuropakunde sei. „Die DGO hat wesentlich dazu beigetragen, in Deutschland die Grundlagen für die Politik der Verständigung mit der Sowjetunion und für die langjährigen gutnachbarschaftlichen Beziehungen zu deren Nachfolgestaaten zu schaffen.“

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