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Krieg in der Ukraine
Viele Russlanddeutsche schockiert und besorgt über das Vorgehen Moskaus

Der Angriffskrieg der Regierung in Moskau gegen die Ukraine hat auch bei vielen Russlanddeutschen für Entsetzen und Verunsicherung gesorgt.

    Ukrainische Soldaten suchen in Kiew am Morgen des 26. Februar nach nicht detonierten Geschossen.
    Ukrainische Soldaten suchen in Kiew am Morgen des 26. Februar nach nicht detonierten Geschossen. (AFP / Sergei SUPINSKY)
    Man fühle sich „sehr betroffen“, teilte die „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“ mit. „Das Unvorstellbare“ sei eingetreten. Russlands Regierung habe die Ukraine angegriffen und nun herrsche Krieg mitten in Europa. „Wir sind zutiefst erschüttert darüber, dass durch politische Machtspiele ein Keil zwischen die beiden Länder und die Menschen getrieben wird.“
    Das Deutsch-Russische Forum spricht vom Überfall russischer Truppen auf die Ukraine und von einem schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts. Die Anwendung militärischer Gewalt gegen die Ukraine könne durch nichts gerechtfertigt werden. Auch der Vorstand der Deutsch-Russischen Juristenvereinigung [pdf] äußerte sich „bestürzt“ über den von Russland gegen die Ukraine geführten Krieg. Man missbillige diesen, heißt es und weiter: „Wir können keinerlei völkerrechtliche, politische oder sonstige Gründe erkennen, die es erlauben, die Friedensordnung in Europa zu zerstören. Auch die Verfassung der Russischen Föderation erlaubt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht.“

    "Aggressive Handlungen der russischen Führung nicht mit den Menschen aus Russland gleichsetzen!"

    Zugleich sind viele Menschen mit Wurzeln in Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken in Sorge. Der Bundesverband russischsprachiger Eltern verurteilte die russische „Aggression“ und äußerte sich solidarisch mit dem „ukrainischen Volk“. Gleichzeitig ruft der Verband dazu auf, „die aggressiven Handlungen der russländischen Führung nicht mit der Position der russischsprachigen Menschen in Russland und über die Grenzen hinaus gleichzusetzen.“ Man glaube fest daran, dass Eltern und Familien, unabhängig davon woher sie kommen, keinesfalls Krieg und Tod wünschten.
    Der Kreml im Juli 2021
    Der Kreml im Juli 2021 (picture alliance / Zoonar | Bruno Coelho)

    Warnung vor russischen Falschnachrichten und Propaganda

    Der Verein „Deutsch-Russischer Austausch“ sorgt sich vor den Auswirkungen von russischer Falschnachrichten beziehungsweise Propaganda. Er ruft seine Mitglieder zur Vorsicht auf: „Dringend bitten wir Sie, solche Medien zur Informationen über die Lage zu nutzen, die vom Kreml unabhängig sind.“ Dabei verweist der Verein auf mehrere internationale Medien mit einem russischen Angebot in kyrillischer Schrift wie die BBC oder die Deutsche Welle. Weiter heißt es: „Teilen Sie die Wahrheit über die Geschehnisse mit Ihren Angehörigen, Freunden, Kollegen und Nachbarn.“ Die russischen Behörden haben nach den Worten des DRA einen „umfassenden und nicht provozierten Krieg gegen die Ukraine entfesselt und alle Regionen des Landes angegriffen.“

    Antikriegsstellungnahme von Russlanddeutschen in Russland nach einem Tag offline

    Auch Russlanddeutsche in Russland sind offenbar in großer Sorge. Man sei zutiefst betroffen von der aktuellen Situation in der Ukraine, teilte die Selbstorganisation der Russlanddeutschen anlässlich eines Treffens der Führungsgremien am Wochenende in Moskau mit. „Wir erklären einstimmig, dass wir Russlanddeutschen, wir Bürger Russlands, überzeugte Gegner jedes Krieges sind. Jeder Krieg bedeutet Schmerz, Angst, Zerstörung und Verlust auf beiden Seiten. Er bringt schwere Folgen mit, unschuldige Opfer und tragische Schicksale mit sich. Die Wunden bleiben über viele Jahre. Die Russlanddeutschen haben am eigenen Leib erfahren, wie es ist, ‚Geisel‘ politischer Umstände zu sein.“ Die Mitteilung auf der Seite lässt sich inzwischen nicht mehr aufrufen.

    Mirgrationsforscher Jannis Panagiotidis warnt vor Gleichsetzung alles Russlanddeutschen

    Der Mirgrationsforscher Jannis Panagiotidis von der Uni Wien, betonte die Vielfalt der Russlanddeutschen. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte der frühere Professor für Russlanddeutsche Migration und Integration an der Uni Osnabrück, vorliegende Studiendaten würden keinesfalls Annahmen untermauern, dass Russlanddeutsche „Moskaus langer Arm in Deutschland“ wären. Es gebe unter ihnen nicht mal eine dominierende Weltsicht, geschweige denn eine gemeinsame. Panagiotidis beobachtete stattdessen unter den Jüngeren in dieser so heterogenen Community inzwischen ein Gefühl, „Scheidungskinder“ zu sein. Bei aller Sympathie für den einen Elternteil, wollten sie den Kontakt zum anderen nicht verlieren.
    Porträtfoto von Jannis Panagiotidis
    Der Migrationsforscher Jannis Panagiotidis (Deutschlandradio / Julia Smilga)

    "Es ist nicht das russische Volk, das den Krieg führt."

    Brandenburgs Ministerpräsident Woidke warnte davor, lange aufgebaute Kontakte zwischen der Zivilgesellschaft in Russland und Deutschland abreißen zu lassen. Viele, die sich für gute Beziehungen mit Russland eingesetzt hätten, seien heute "tief enttäuscht, verbittert und frustriert", sagte der SPD-Politiker als Vertreter der Bundesländer in der heutigen Sondersitzung des Bundestags sprach. Es sei notwendig, die Menschen zu ermuntern, sich weiter für starke Kontakte in die russische Zivilgesellschaft einzusetzen. Es sei nicht das russische Volk, das den Krieg führe. Man müsse weiter versuchen, "auch wenn es schwierig ist, Brücken zu bauen". Tue man das nicht, habe der russische Präsident Putin gewonnen, führte Woidke aus.