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Russlanddeutsche
Von rechten Gruppen politisch benutzt

"Achtung! Das ist Krieg! Eine 13-jährige wurde in Berlin vergewaltigt." So begann vor knapp zwei Wochen ein Whatsapp-Aufruf zu einer Demonstration in Berlin, dem rund 500 Russlanddeutsche folgten. Anmelder der Veranstaltung war Heinrich Groth, Vorsitzender des Internationalen Konvent der Russlanddeutschen. Er sieht jetzt seine Chance.

Von Katharina Heinrich |
    Hunderte Russlanddeutschen demonstrieren in Villingen-Schwenningen gegen Gewalt und für mehr Sicherheit in Deutschland.
    Hunderte Russlanddeutschen demonstrieren in Villingen-Schwenningen gegen Gewalt und für mehr Sicherheit in Deutschland. (dpa / Marc Eich)
    Berlin vor zehn Tagen. Etwa 500 Russlanddeutsche demonstrieren, weil sie glauben, dass die Polizei eine Vergewaltigung vertuschen will. Schon Tage zuvor suggerierten ihnen das Mitglieder der NPD bei einer nichtgenehmigten Demonstration in Marzahn-Hellersdorf, dem Wohnort des angeblichen Opfers. Der Aufruf zur Demonstration vor dem Bundeskanzleramt wurde in russischer Sprache über Whatsapp und in russischsprachigen sozialen Netzwerken verbreitet. Dort stand zu lesen: "Achtung! Das ist Krieg! Eine 13-jährige wurde in Berlin vergewaltigt. Die korrupte Regierung und ihre Hunde, die Polizei, versuchen mit allen Mitteln, dies zu vertuschen. Die Presse schweigt schon seit einer Woche. Am Sonntag, den 24.1., von 14.00 und 16.00 Uhr, geht die gesamte russischsprachige Bevölkerung auf die Plätze, zu den Rathäusern aller Städte in Deutschland. Ob Groß oder Klein, alle gleichzeitig."
    Der Aufruf lässt an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. Denn weiter hieß es: "Wer dies ignoriert, der hat diese Vergewaltigung auf seinem Gewissen. Das ist die erste friedliche Warnung an die Regierung. Wir befinden uns am Wendepunkt. Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten und Deutschland verteidigen, werden wir wie Ratten zerquetscht, jeder in seinem eigenen Loch. Postet diese Nachricht, damit innerhalb einer Woche alle Bescheid wissen."
    Mitbegründer der russlanddeutschen Autonomiebewegung
    Die Berliner Demonstration hatte Heinrich Groth angemeldet. Der 66-Jährige ist Vorsitzender des sogenannten Internationalen Konvents der Russlanddeutschen. Auch er glaubt, dass die Berliner Behörden den Fall vertuschen wollten. Aber nicht mit ihm, sagte er zu einem Journalisten: "Mit der ganzen Erfahrung, die ich habe und dem gesellschaftlichen Netz, ist es alles so schnell und so hoch gekommen, dass sie das Ganze nicht stoppen können."
    Heinrich Groth hat Erfahrung im Organisieren. In den 90er-Jahren gehörte er in der Ukraine zu den Mitbegründern der russlanddeutschen Autonomiebewegung Wiedergeburt. Als er vor 15 Jahren nach Deutschland kam, schrieb er für "Ost-West- Panorama", eine Zeitschrift aus NRW, die sich den Belangen der Aussiedler widmete. 2008 geriet sie in Verruf. Denn es kam heraus, dass die Redaktion einerseits Artikel der NPD abdruckte, während andererseits die Bundesregierung in der Zeitschrift für Integration warb. Der Herausgeber, ein CDU-Politiker, verließ daraufhin die Partei. Die Zeitung erscheint bis heute in unregelmäßigen Abständen.
    Das russische Fernsehen greift den Fall auf
    Heinrich Groth gründet daraufhin den bereits erwähnten Konvent, einen Verein. 2006 kandidierte er auf der Liste der nationalkonservativ ausgerichteten Deutschen Partei in Marzahn-Hellersdorf für den Bezirksrat. Er wollte bei den dort lebenden 30.000 Spätaussiedlern punkten, bekam aber gerade mal 500 Stimmen. Auch sein Verein kommt nicht an. In einem Bericht der Mitgliederversammlung beschreibt er die Lage so: "Das Aktionsfeld unserer Vereinigung wurde immer kleiner. Parallel dazu wurde unsere gesellschaftliche Tätigkeit immer schwächer (...) Dieses schwache gesellschaftliche Engagement der Russlanddeutschen hat damit zu tun, dass sie das, was sie geeint hat, verloren haben. Neu konsolidierende Ideen haben sie weder im euroasiatischen Raum, noch in den Staaten, in denen sie heute leben, entwickelt."
    Heinrich Groth sieht jetzt die Chance, Einfluss auf die 3,5 Millionen in Deutschland lebenden Russlanddeutschen und Deutsch-Russen nehmen zu können. Und antiwestlich eingestellte russische Medien greifen seine Aktion gerne auf, um der Bundesregierung von Angela Merkel zu schaden. Dafür werde der Fall des angeblich vergewaltigten Mädchens genutzt, meint dieser Aussiedler aus Berlin, der namentlich nicht genannt werden will: "Ich meine, wenn es den ersten Kanal, das russische Fernsehen nicht gegeben hätte, dann hätte auch keiner erfahren von dem Fall Lisa. Ich glaube, diese Gruppe hat einfach profitiert von dem Fall, von dem Gefühl der Gerechtigkeit unter den Russlanddeutschen. (...) Das Problem ist nur, dass der Fall völlig falsch dargestellt wurde und einfach benutzt wurde, eine erfundene Geschichte, die dann auf die Straßen geführt hat."
    Die meisten Aussiedler halten sich von der Politik fern
    Einige Russlanddeutsche sind politisch naiv. Sie lassen sich von den russischen Medien beeinflussen und von deutschen Demonstrationsorganisatoren vereinnahmen - ohne es zu merken, meint Paul Robertus. Der Manager kommt aus einer deutsch-russischen Familie, die seit über 20 Jahren in Deutschland lebt. Regelmäßig verfolgt Robertus die Politik in deutschen und russischen Medien. Die meisten Aussiedler halten sich von der Politik fern, sagt er und erklärt warum: "Ich denke, es ist gesellschaftlich bedingt. Denn wir haben schon immer als eine etwas besondere Volksgruppe in der Sowjetunion einen deutlich benachteiligten Status gehabt. Und zwar sowohl gesellschaftlich als auch staatlich. Für uns waren alle staatlichen Organe immer Feinde gewesen, persönliche Feinde, persönliche Gegner. Die haben in uns Gegner des Staates gesehen und so mussten wir in einer Verteidigungsposition beharren."
    Nur zehntausend der rund dreieinhalb Millionen Aussiedler gingen in den letzten Wochen auf die Straßen - aus dem Gefühl heraus, in der deutschen Gesellschaft nicht anerkannt zu sein; und in der diffusen Angst, womöglich wieder Opfer zu werden. Die politisch Unerfahrenen haben sich, so wird nun klar, vom russischen Medien, den deutschen Rechten und dem Internationalen Konvent der Russlanddeutschen instrumentalisieren lassen.