Wenn deutsche und russische Regierungsvertreter am Samstag in Moskau über die Deeskalation zwischen USA und Iran sprechen, dann geht es dabei zentral um das auf der Kippe stehende internationale Atomabkommen mit dem Iran. "Russland wird gemeinsam mit den Europäern darüber reden, wie man jetzt auf Iran einwirken kann, dass der sich auch weiterhin an das Abkommen hält", sagt Moritz Pieper, Russlandexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, die größtenteils von der Bundesregierung finanziert wird.
Gemeinsame Interessen Russlands, Chinas und der Europäer
Auch Russland habe kein Interesse an einer weiteren Eskalation im Nahen Osten, genau wie China halte es am Atmoabkommen mit Iran fest. Diese Einigkeit bedeutet für die Europäer einen deutlichen Gewinn an Verhandlungsgewicht, meint Pieper. Moskau habe belastbare Gesprächskanäle in Teheran, vielleicht belastbarere als die Europäer, und etwa durch den Einsatz in Syrien auch militärische Kontakte. "Solche Kontakte sind jetzt, gerade wenn man über Deeskalation redet, vielleicht entscheidende", sagt Pieper.
Russland könne Iran zwar nicht allein zur Einhaltung seiner Verpflichtungen motivieren, allerdings habe es "eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Abkommens, war zum Beispiel beteiligt an der Konvertierung einer Urananreicherungsanlage im Iran - was jetzt seit Dezember ausgesetzt ist, aber zumindest hat Russland eine wichtige technische Rolle bei der Umsetzung. Und diese Masse kann es auch einsetzen, um hoffentlich positiv auf den Iran einzuwirken."
Russland will den Nahen Osten nicht gestalten
Barack Obamas Schmähung Russlands als "Regionalmacht" sitze tief - Ambitionen Moskaus als Ordnungsmacht im Nahen Osten sieht Pieper aber nicht. "Nachhaltige Ordnung ist ein Begriff, für den man Geld, Gestaltungswillen und auch so etwas wie normative Anziehungskraft aufwenden müsste." Geld, das Russland nicht habe. "Und auch die Idee, die Region zu gestalten, ist nicht vereinbar mit dem russischen Anspruch, sich gute Beziehungen zu erwarten nicht nur mit Syrien, Iran, Irak, sondern auch Israel, der Türkei, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten."
Russland wolle kein regionaler Hegemon werden, sondern halte sich "die Gesprächskanäle so auf, um nach der jeweiligen Gemengelage so kooperieren zu können, wie es sich aus der Tagespolitik und langfristigen Zielen ergibt". Dabei zieht sich laut Pieper neben dem Anspruch der Augenhöhe mit weltweiten Großmächten ein außenpolitisches Prinzip durch - "gegen von außen oktroyierte Regime Changes".
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Der Konflikt zwischen den USA und dem Iran ist längst ein heißer geworden, ausgefochten mit Waffen auf irakischem Staatsgebiet, mit dem Abschuss nahe Teheran nun auch über dem Iran. So versuchen nun verschiedenste Seiten zu beruhigen, zu vermitteln, darunter auch die Bundesregierung. So fliegen heute Kanzlerin Merkel und ihr Außenminister Heiko Maas zu Präsident Putin nach Moskau, um über die Optionen zu sprechen, denn bei all dem, was sie spaltet, so eint beide Seiten das Festhalten am Atomabkommen mit dem Iran. Am Telefon begrüße ich Moritz Pieper, Politikwissenschaftler und Russlandexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die SWP wird größtenteils von der Bundesregierung bezahlt und berät sie auch. Guten Morgen, Herr Pieper!
Moritz Pieper: Guten Morgen, Herr Dobovisek!
"Moskau hat belastbare Kanäle in Teheran"
Dobovisek: Angela Merkel und Heiko Maas reisen also zu Präsident Putin nach Moskau. Wie wichtig ist ein Gespräch mit ihm, wenn Deutschland, wenn Europa in der Außenpolitik etwas bewegen will?
Pieper: Ja, Sie haben es angesprochen. Russland und die Europäer eint die Feststellung, dass man jetzt alles tun muss, um Deeskalation zu erreichen. Da ist Russland ein wichtiger Partner, weil Moskau eben belastbare Kanäle hat in Teheran – vielleicht belastbarere, als das die Europäer haben, die auf Ebene der politischen Direktoren, auf Ebene der Außenminister, natürlich auch auf Arbeitsebene mit Russland sprechen. Aber Russland hat auch den Vorteil, dass es Militärkontakte hat. Das lässt sich erklären vor dem Hintergrund des gemeinsamen Vorgehens etwa in Syrien, und so Kontakte sind jetzt, gerade wenn man über Deeskalation redet, vielleicht entscheidende.
Dobovisek: Russland sieht sich ja ganz klar als Verbündeter des Iran, Sie sprechen die militärischen Kontakte an. Welche Reaktion erwarten Sie aus Moskau auf den Abschuss des ukrainischen Flugzeugs?
Pieper: Russland hat vorab ja schon die Tötung Soleimanis durch die USA etwa als klaren Völkerrechtsbruch kritisiert, gleichzeitig warnt Putin vor einer Destabilisierung, vor einer Deeskalation der Lage, und diese Position wird sich jetzt auch vermutlich nicht ändern nach der iranischen Zugabe, dass es sich um einen versehentlichen Abschuss des Passagierflugzeugs gehandelt hat. Also dass hier nicht weiter eskaliert werden soll, das wird die russische Seite auch weiterhin betonen, und wie man jetzt auf die iranische Seite zumindest einwirken kann, um eine Zuspitzung der Krise weiter zu verhindern.
Dobovisek: Jetzt steht das Regime in Teheran aber – so hat das auch der CDU-Außenpolitiker Michael Gahler hier bei uns beschrieben – als Lügner da, in den letzten Tagen wurde ja immer dementiert, dass es sich um einen Abschuss handele. Kann Moskau in dieser Situation uneingeschränkt weiter hinter Iran stehen?
Pieper: Erst mal ist, glaube ich, wichtig festzuhalten, dass Russland nicht uneingeschränkt vor oder hinter Iran steht und auch nicht der Partner an der Seite der Iraner ist, wie er auch dargestellt wird. Es gibt durchaus Differenzen, es gibt durchaus Unterschiede in der Regionalpolitik, es gibt russische Differenzen, was die iranische Kooperation innerhalb des Atomabkommens angeht – das vorweg. Und was jetzt natürlich die weitere Reaktion auf die aktuellen Ereignisse angeht, da hat ja zumindest Präsident Trump ja auch angedeutet, dass man nicht daran interessiert ist, dass nun weiter diese Situation eskaliert. Zumindest wird sich Iran wahrscheinlich erhoffen, dass man die Situation unter Kontrolle kriegen könnte dadurch, dass man sich nun kooperativ zeigt und zugibt, dass dieser Abschuss versehentlich passiert ist. Das wird wahrscheinlich auch in russischem Interesse sein, dass man diese zumindest bilaterale Krise zwischen den USA und Iran nicht noch weiter militärisch verschärft.
Interessenkonvergenz zwischen Russland, China und den Europäern
Dobovisek: Der Besuch Merkels und von Heiko Maas in Moskau, der zeigt ja auch ganz klar, im Lösen von Konflikten wie im Iran oder mit Syrien führt kein Weg an Russland vorbei. Also was erwarten Sie von dem Treffen heute in Moskau?
Pieper: Ja, Sie haben es angesprochen, Russland hat gute Beziehungen zu mehreren Regionalmächten beziehungsweise hat sich alle Gesprächskanäle versucht offenzuhalten in den letzten Jahren. Natürlich werden Merkel und Maas mit ihren jeweiligen Counterparts darüber sprechen, wie jetzt die Situation aktuell entschärft werden kann, aber auch wie jetzt das Atomabkommen am Leben erhalten werden kann. Iran hat ja angekündigt, in die letzte, fünfte Phase der teilweisen Aussetzung von Verpflichtungen aus dem Abkommen einzutreten, und Russland wird jetzt gemeinsam mit den Europäern darüber reden, wie man jetzt auf Iran einwirken kann, um sich auch weiterhin an das Abkommen zu halten. Das ist eine Interessenkonvergenz, die Russland und die Europäer und auch China als Signatarstaaten dieses Atomabkommens haben. Das ist ein Interessenpunkt, der heute auch auf der Agenda stehen wird.
Dobovisek: Hat das Überleben des Atomabkommens aus Ihrer Sicht noch eine reelle Chance?
Pieper: Es wird zumindest dargestellt als eine wichtige Sternstunde der Diplomatie, die 2015 natürlich Iran den Weg zur Entwicklung von Atomwaffen verbaut hat und somit auch einen möglichen Krieg oder eine militärische Auseinandersetzung verhindert hat. Und daran will man natürlich festhalten, um auch weitere regionalpolitische Flächenbrände verhindern zu können. Insofern haben Russland und die Europäer ein Interesse, dass man hier zusammen mit Iran weiter kooperiert, um Schlimmeres zu verhindern, und Iran zur Einhaltung seiner Verpflichtungen zu motivieren, ist nicht was, was Russland alleine machen kann. Gleichzeitig hat Russland eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Abkommens, war zum Beispiel beteiligt an der Konvertierung einer Urananreicherungsanlage in Fordo im Iran, was jetzt seit Dezember ausgesetzt ist. Zumindest hat Russland eine wichtige technische Rolle bei der Umsetzung, und diese Masse kann Russland auch einsetzen, um hoffentlich positiv auf Iran einzuwirken.
Russlands außenpolitische Doktrin
Dobovisek: Sie haben, Herr Pieper, die guten Kontakte Russlands in die gesamte Region angesprochen, also nicht nur in den Iran. Könnte der Konflikt zwischen den USA und Iran Russland am Ende sogar nutzen, um sich weiter als Ordnungsmacht zu positionieren?
Pieper: Ordnungsmacht ist ein Begriff, der mehr sein muss als die Präsenz von Militärpolizei. Wir haben es in Syrien etwa gesehen, wo Russland nach dem Einmarsch der Türkei im Oktober 2019, nachdem sich die Amerikaner zurückgezogen haben, sich sozusagen als Puffermacht zwischen die Kurden und die Türkei, aber auch Damaskus stellt. Aber nachhaltige Ordnung ist ein Begriff, für den man Geld, Gestaltungswillen und vielleicht auch so etwas wie normative Anziehungskraft aufwenden müsste, und das sind Erwartungen, die Russland nicht uneingeschränkt wecken will.
Dobovisek: Warum nicht? Warum nicht wecken will?
Pieper: Weil es so etwas wie Geld auch kostet, was Russland einfach nicht hat. Auch die Idee, die Region zu gestalten, ist nicht etwas, was vereinbar ist mit dem russischen Anspruch, Gesprächskanäle zumindest offenzuhalten, sich gute Beziehungen zu erwarten mit nicht nur Syrien und Iran und Irak, sondern auch Israel, der Türkei, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das heißt aber nicht, dass Russland ein neuer regionaler Hegemon werden möchte, sondern sich eben die Gesprächskanäle so aufhält, um situativ oder bedingt nach der jeweiligen Gemengelage kooperieren zu können, wie sich das eben aus der Tagespolitik und langfristigen Zielen ergibt.
Dobovisek: Auf der anderen Seite war es aus Sicht Moskaus eine sagen wir bodenlose Frechheit, als US-Präsident Obama Russland vor sechs Jahren als Regionalmacht bezeichnet hatte – man hatte sich ja bisher immer als Weltmacht gesehen, als Atommacht. Kann es nicht sein, dass das noch nachwirkt und auch auf die Außenpolitik Russlands?
Pieper: Absolut, auf die Außenpolitik generell ist es ein ganz wichtiger Faktor, den Sie ansprechen, und diese Idee, eine Großmacht zu sein, ist auch etwas, was in russischen außenpolitischen Doktrinen immer großgeschrieben wird. Also das schwingt grundsätzlich immer mit und erklärt auch die russische Position teilweise natürlich im Syrienkrieg, dass man sich auf der Grundlage zum Beispiel der Erfahrungen in Libyen 2011 gegen von außen oktroyierte Regime Changes stellen möchte. Das ist eine Position, die Russland immer aufrechterhält neben allen anderen möglichen ökonomischen Gesichtspunkten, aber diese Idee als Großmacht, mit anderen vermeintlichen Großmächten auf Augenhöhe zu sprechen, ist immer was, was ein Prinzip der russischen Außenpolitik geblieben ist.
Kein Anlass, aus G7 wieder G8 zu machen
Dobovisek: Wenn wir jetzt einmal mehr lernen, dass Konflikte wie der mit dem Iran oder auch in Libyen – das haben Sie angesprochen – nicht ohne Russland gelöst werden können, wäre es dann nicht an der Zeit, Russland an den Tisch der Mächtigen zurückzuholen, an den Tisch der G8?
Pieper: Die G8 sind ja zu G7 runtergestuft worden aus einem anderen Grund, der nicht mit Russlands Nahostpolitik zu tun hat, sondern mit Russlands…
Dobovisek: Die Ukraine, die Krim.
Pieper: Richtig, richtig, mit Russlands destruktivem Verhalten in der Ukrainekrise, Annexion der Krim in 2014, Sie haben es angesprochen. Das sind zunächst Gründe, die für die Suspendierung der Mitgliedschaft und die Verhängung anderer Sanktionen gegen Russland gesprochen haben und die weiterhin, sofern sie bestehen, noch aufrechterhalten werden.
Dobovisek: Ja, aber muss Europa die Annexion der Krim und die Ukrainepolitik von Russland schließlich akzeptieren, anerkennen, bevor sich außenpolitisch überhaupt wieder gemeinsam etwas bewegen kann?
Pieper: Nein, das ist eine Auftrennung, die die europäischen Regierungen ganz klar gemacht haben, dass man die Umsetzung der Minsker Vereinbarung festmacht an dem Willen Russlands, hier auch zu kooperieren, gemeinsam mit der Ukraine. Dazu gibt es Normandie-Format Gespräche, zuletzt in Paris im Dezember, und dazu wird ein weiteres Treffen im April stattfinden, und daran macht man die mögliche Aufhebung von Sanktionen fest. Davon abgekoppelt sozusagen steht Russlands Nahostpolitik, wo man, wie wir eben besprochen haben, natürlich auch Möglichkeiten der Kooperation hat und auch nutzen kann, wie man weitere Konflikte deeskalieren kann wie etwa jetzt im Iran.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.