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Russlands Corona-Impfstoff
Virologe: Impfkritische Haltung könnte weiter befeuert werden

Russland hat den weltweit ersten Corona-Impfstoff zugelassen. Doch dabei sei eine wichtige Testphase weggelassen worden, kritisierte der Virologe Stephan Becker im Dlf. Durch so ein Vorgehen könnte die impfkritische Haltung von Teilen der Bevölkerung verstärkt werden.

Stephan Becker im Gespräch mit Christiane Kaess |
Russlands Impfung gegen COVID-19
Der russische Impfstoff wurde vom staatlichen Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelt (Symbolfoto) (imago)
Weltweit gibt es einen Wettlauf um einen Corona-Impfstoff. Nun spricht Russland von der ersten staatlichen Zulassung. Die Ankündigungen der Regierung werfen viele Fragen auf. Dass es für den Impfstoff eine Zulassung gebe, bevor eine klinische Phase-3-Studie gemacht worden sei, habe ihn schon erstaunt, sagte Professor Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität in Marburg, im Dlf. "In der Phase 3 wird dann ja untersucht, ob der Impfstoff auch wirksam ist." Der Wissenschaftler hatte den Impfstoff gegen die Schweinegrippe mitentwickelt.
Fläschen mit russischem Coronavirus-Impfstoff
Russischer Impfstoff - Zugelassen – aber nur wenig getestet Russland hat einen Impfstoff gegen das Coronavirus zugelassen. Der Impfstoff wurde bislang jedoch nur an wenigen Probanden getestet, unter anderem an Soldaten. Das bringt Risiken mit sich – ein Überblick.

Christiane Kaess: Herr Becker, ist das die positive Meldung, auf die die Welt gewartet hat?
Stephan Becker: Nicht so ganz, würde ich sagen. Es ist natürlich ein Zeichen, dass Russland eben einen Impfstoff entwickelt gegen COVID-19, und das ist ja sicherlich sehr gut. Aber das Verfahren, das hier gewählt worden ist, die Zulassung, bevor man eine klinische Phase-3-Studie gemacht hat, das ist schon erstaunlich.
Kaess: Was fehlt Ihnen da?
Becker: Um das wirklich zu beurteilen, haben wir bisher einfach noch viel zu wenig Daten. Wir wissen nicht, wie diese ersten klinischen Studien ausgegangen sind, wir wissen das nur durch Pressemitteilungen und Pressekonferenzen, aber darüber hinaus wissen wir so gut wie gar nichts. Es wird gesagt, der Impfstoff ist sicher, hat wenig Nebenwirkungen und scheint doch irgendwie eine Art von Immunität auszulösen, aber wie das genau aussieht, das ist wissen wir nicht.
Kaess: Was bedeutet das, wenn die Phase 3 fehlt?
Becker: In der Phase 3 wird dann ja untersucht, ob der Impfstoff auch wirksam ist. Man kann in den ersten klinischen Phasen untersuchen, ob er sicher ist, ob er eine Immunität auslöst, aber ob diese Immunität dann auch geeignet ist, einen Schutz gegen das Virus hervorzurufen, das weiß man erst nach einer klinischen Phase-3-Studie.
Das Foto zeigt eine Spritze und im Hintergrund den Schriftzug COVID-19
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"Diese Kontrolle braucht man eigentlich"
Kaess: Was ist so kritisch daran, wenn diese Phase 3, ich sage es mal direkt ganz laienhaft, einfach direkt an der breiten Bevölkerung ausprobiert wird?
Becker: Das sind dann nicht mehr so wirklich kontrollierte Bedingungen, die man in einer klinischen Studie hat. Man weiß dann nicht mehr genau, wer geimpft wird, wann geimpft wird, wie die Nebenwirkungen sind. Man kann es nicht mehr so genau kontrollieren. Diese Kontrolle braucht man eigentlich, um eben diese Schutzwirkung auch wirklich zu dokumentieren.
Der Direktor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität in Marburg, Stephan Becker.
Der Direktor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität in Marburg, Stephan Becker. (dpa / picture-alliance / Frank May)
Kaess: Welches Risiko geht man dann da in Russland ein, was könnte da passieren?
Becker: Hinsichtlich der Nebenwirkungen weiß ich nicht so genau, ob man da große Nebenwirkungen erwarten muss. Wenn der Impfstoff gut produziert ist, also qualitativ hochwertig, dann werden sich die Nebenwirkungen wohl im Rahmen halten. Aber das für mich größte Problem ist eigentlich die sowieso schon recht impfkritische Haltung von Teilen der Bevölkerung, die durch so ein Vorgehen sicherlich noch befeuert wird.
Kaess: Glauben Sie, in Deutschland würde das viel kritischer aufgenommen werden von der Bevölkerung als offenbar jetzt in Russland?
Becker: Ich weiß nicht, wie die russische Bevölkerung sich dazu stellt, dazu habe ich keine Kenntnis, aber in Deutschland wäre das sicherlich ein Grund für viele Leute, zu sagen, dass sie sich mit so einem Impfstoff nicht impfen lassen möchten.
"Ich sehe das nicht positiv"
Kaess: Herr Becker, als Sie das heute gehört haben, was haben Sie denn im ersten Moment gedacht? Hat Ihnen das auch irgendwie Druck gemacht, zu sagen, jetzt müssen wir aber auch einen Zahn zulegen?
Becker: Auf keinen Fall. Also, es legen alle momentan schon einen Zahn zu, wir sind in einer unglaublichen Geschwindigkeit unterwegs bei der Impfstoffproduktion. Und das löst natürlich bei manchen auch ein Unwohlsein aus, weil man denkt, okay, wenn es so schnell geht, wie kann man das dann wirklich sicher machen. Ich glaube, dass viele dieser Impfstoffprojekte wirklich gut gemacht werden und dass man davon ausgehen kann, dass die Tests dann sicher sind und der Impfstoff ebenfalls sicher ist, wenn er eine Zulassung bekommt, auch wenn das schnell gemacht wird. Aber so ein Beispiel wie jetzt aus Russland, das wirft dann schon Fragezeichen auf.
Kaess: Aber hoffen Sie nicht auch irgendwo, dass Sie eventuell als Forscher oder überhaupt die Forschung in Deutschland und in anderen Ländern von den Erfahrungen in Russland profitieren könnten?
Becker: Das ist natürlich immer super, wenn man von anderen Erfahrungen profitieren kann. Aber jetzt für mich ist das Risiko hier einfach zu groß. Ich sehe das nicht positiv.
"Man macht ja einen Test, weil man nicht genau weiß, was rauskommt"
Kaess: Sagen Sie uns noch, wo steht die deutsche Forschung und was halten Sie für realistisch, wann ein Impfstoff auf den Markt kommen könnte, der auch in Deutschland dann wirklich in der breiten Masse angewendet wird?
Becker: Wir haben, wenn ich das richtig sehe, drei verschiedene Impfstoffkandidaten momentan in Deutschland laufen. Das sind zwei mRNA-Impfstoffe und ein vektorbasierter Impfstoff. Die mRNA-Impfstoffe sind ein Stück weit schneller als der vektorbasierte Impfstoff, an dem ich auch beteiligt bin. Und die mRNA-Impfstoffe sind in der klinischen Phase 2, kommen wahrscheinlich jetzt irgendwann in die klinische Phase 3. Ich denke, dass wir eine Zulassung für diese Impfstoffe, wenn die klinischen Prüfungen erfolgreich sind, das ist wirklich ein Wenn, dass wir das Anfang, Mitte nächsten Jahres sehen werden.
Kaess: Warum ist das Wenn für Sie noch so groß, wo sind da noch die Stolpersteine?
Becker: Na ja, irgendwie macht man ja einen Test, weil man nicht genau weiß, was rauskommt. Wenn man es genau wüsste, müsste man den Test nicht machen. Insofern ist das immer ein gewisses Risiko, dass nicht das herauskommt, was man erwartet – und das ist natürlich das Wenn.
Kaess: Und da geht es dann vor allem um die Wirksamkeit oder um die Nebenwirkungen?
Becker: Da geht es für mich in erster Linie um die Wirksamkeit, weil wir bei Impfungen gegen respiratorische Infektionen noch nicht so viel akute Erfahrungen haben, dass die wirklich zu 100 Prozent wirksam sind, das ist eigentlich kaum ein Impfstoff, aber bei den respiratorischen Infektionen ist sicherlich momentan noch relativ wenig Erfahrung da, und deswegen ist das für mich momentan noch ein gewisses Risiko.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.