Premierminister Alexis Tsipras. Der linksradikale Regierungschef brüskiert gerade die Europäische Union und wendet sich zugleich demonstrativ Moskau zu. In der russischen Hauptstadt freut man sich über jeden Verbündeten, denn seit der Annexion der Krim und des Krieges in der Ost-Ukraine befindet sich Russland in einer internationalen Isolation.
Aber nicht jeder ist willkommen. Die Partei "Rodina" - "Heimat" - will Einreiseverbote gegen Ausländer verhängen, die sich russlandkritisch geäußert haben. So wählerisch man gegenüber kritischen Besuchern ist, so gastfreundlich zeigte sich "Rodina" Ende März in Sankt Petersburg. Die vom Kreml gegründete Partei hat zu einem "Forum der Konservativen" an die Newa eingeladen. Einige russische Medien sprachen von einem Treffen der Ultrarechten, Neonazis. Fjodr Birjukow von "Heimat" wies dies zurück:
"Die europäischen Führer und die Obama-Administration in Washington umarmen und küssen die wahren Faschisten des 21. Jahrhunderts. Die von der Kiewer Junta. Sie begrüßen die Vernichtung der Russen im Südosten der Ukraine. Wir treten als Friedenstruppe auf. Denn der Krieg im Donbass ist nicht nur ein Genozid, sondern ein Krieg, den die US-Administration gegen Europa losgetreten hat, gegen jede europäische Nation. Deswegen schlage ich vor, ein internationales konservatives Koordinationsorgan zu gründen. Das muss profaschistische internationale Organisationen verändern. Die Vereinten Nationen zum Beispiel, die ebenfalls den Terrorismus und Faschismus in der Ukraine begrüßen oder die OSZE, die ihre Aufgaben in der Ostukraine nicht erfüllt. Für den Frieden freier Völker, für die Freiheit, für die Nationen, für die Heimat."
Vor dem Holiday Inn in Sankt Petersburg protestieren Studenten. Vielleicht ein Dutzend, es sind mehr Polizeifahrzeuge da als Demonstranten. Die Polizisten umzingeln die Demonstranten so nahe, dass sie jedes Wort der Diskussion verstehen, die eine junge Frau mit einem Vertreter des Ultra-Rechten-Forums führt.
"Warum setzen sie Verbrecher mit Migranten gleich?", fragt sie. Er: "Das machen wir nicht.""Was verstehen Sie unter nationalen Interessen?" "Das sind wirtschaftliche Interessen, von Migranten rede ich nicht, ich spreche von der geopolitischen Katastrophe, die der Zerfall der Sowjetunion war."
"Russland ist unser Freund, Amerika unser Feind"
Im Saal macht sich der Ultra-Nationalist Chris Roman aus Belgien über die wenigen Petersburger, die gegen die Veranstaltung vor das Holiday Inn gekommen sind, lustig. Wie auch über die kritische Journalistin Anna Politkowskaja, die ermordet wurde, den jüdischen russischen Unternehmer Boris Beresowski und den vor einem Monat erschossenen Oppositionspolitiker Boris Nemzow.
"Politkowskaja, Beresoski, Nemzow - ich weiß, wo sie jetzt sind: in der Hölle. Vor Kurzem traf ich einen ehemaligen deutschen Soldaten, der mir sagte: Hätten wir doch damals lieber die USA überfallen als Russland. Ich habe ihm recht gegeben. Der Feind heute ist die westliche Demokratie. Amerika will Russland überfallen. Ich möchte mein künftiges Leben nicht mit den USA verbringen, sondern mit Russland. Russland ist unser Freund, Amerika unser Feind. Ich danke Russland, dass es die Kraft gefunden hat, einen dritten Weltkrieg zu verhindern."
Die meisten Sprecher wenden sich mit offen fremdenfeindlichen, rassistischen Aufrufen an das Publikum im Saal. Keiner widerspricht, keiner relativiert, man bestärkt sich vielmehr gegenseitig. Vertreter von elf nationalistischen Parteien in Europa haben sich an der Newa versammelt. Im Februar gründeten sie die sogenannte "Allianz für Frieden und Freiheit". Ihr gehören die NPD an, die belgische Partei "Nation", die "Dänische Partei", die italienische "Forza Nuova", die spanische "Democracia Nacional", die griechische "Chrysi Avgi" - "Goldene Morgendämmerung",die "Svenskarnas Parti" aus Schweden sowie Einzelpersonen wie das ehemalige Front-National-Mitglied Olivier Wyssa aus Frankreich, Nick Griffin aus Großbritannien oder der bereits zitierte Chris Norman aus Belgien.
Alle sind rechtsextrem, gegen fast alle wurden Gerichts- bzw. Verbotsverfahren geführt oder erwogen, unter anderem gegen die NPD. Deren Europa-Abgeordneter Udo Voigt erklärt, was die in Sankt Petersburg versammelten Ultra-Rechten verbindet.
"Zunächst einmal haben wir ja offensichtlich einen gemeinsamen Feind: Der gemeinsame Gegner, das sind die Globalisten, das ist das Bankenkapital, das sind die Spekulanten. Das sind eben die, die an der Wall Street sind. Wir sind ja nicht gegen ein Europa, wir wollen aber kein Europa nach dem Muster der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern wir streben einen Staatenbund an, den wir das Europa der Vaterländer nennen. Das ist unser Gegenmodell und da gehören Russland und die Ukraine mit dazu, aber auf keinen Fall die raumfremde Macht USA, die heute in Europa über die NATO bestimmend ist. Und auf keinen Fall die Türkei, die gehört nicht zu Europa."
Voigt hat Ende vorigen Jahres sieben Mitglieder der Partei "Goldenen Morgenröte" aus Griechenland im Gefängnis besucht. Ihnen werden Geldwäsche, Mord und organisierte Kriminalität vorgeworfen. NPD wie auch Goldene Morgenröte sind bekannt für ihren Ausländerhass. Er verbindet sie. Den Schulterschluss zwischen Russland und Griechenland begrüßt Voigt, der langjährige ehemalige NPD-Vorsitzende nicht nur, er findet ihn ausbaufähig.
"Ich warte eigentlich auf den Tag, dass Putin den Griechen anbietet, in die Eurasische Union zu kommen, weil ihm dann gelingen würde, politischen Einfluss gerade in den westeuropäischen Staaten zu gewinnen und das würde einer mehrkularen Weltordnung entsprechen. Wir würden uns freuen, wenn dadurch die monokulare Weltordnung der USA dadurch durchbrochen werden könnte."
Wenn Udo Voigt mehrkular sagt, meint er multipolar. Verfechter einer multipolaren Weltordnung ist vor allem Russland, das sich von US-amerikanischer Vorherrschaft bedroht sieht. Der Kreml ist bei der Wahl seiner Freunde nicht zimperlich. Dass die Ultrarechten ihm als nützliche Idioten dienen könnten, befürchtet Voigt von der NPD nicht.
Während der Kreml der grünen Europa-Abgeordneten Rebecca Harms die Einreise verwehrt, ist der NPD-Politiker Voigt ein gern gesehener Gast in Russland. Das Forum der sogenannten Konservativen findet mit Wissen von Präsident Wladimir Putin statt, ist der russische Politologe Emil Pain überzeugt.
"Nichts im heutigen Russland geschieht ohne Wissen des Kremls. Das ist umso interessanter, weil heutzutage niemand in Russland irgendeine Initiative von sich aus entwickelt. Die religiösen Vereinigungen, zum Beispiel die muslimischen, haben genau verstanden, dass der Regierung diese Veranstaltung gefällt, die Proteste dagegen ganz klar nicht."
Doch für den Kreml ist rechts nicht gleich rechts. Die ausländischen Gäste waren handverlesen und hatten vor allem ein Kriterium zu erfüllen: Es durfte sich keinesfalls um Kritiker Russlands handeln. Der Kreml protegiert rechtspopulistische Parteien in Europa mehr oder weniger offen. Der französische Front National hat russischen Hackern zufolge einen Millionenkredit bekommen als Belohnung dafür, dass Marine Le Pen das Krim-Referendum nach der Annexion billigte.
Die russische Oppositionsgruppe "Anonymus international" hat über 1.000 Webseiten von Timur Prokopenko gehackt. Das ist der Chef der Abteilung Inneres in der Präsidialadministration. In einem E-Mail-Wechsel haben die Hacker die Vereinbarung gefunden, dass die Parteichefin für ihr politisches Wohlverhalten belohnt werden sollte. Der 9-Millionen-Kredit war im vorigen November an den Front Nationale ausgezahlt worden, was Marine Le Pen zugab. Die für ihren Rassismus und Fremdenhass bekannten Politiker durften aus Europa ebenso wie aus den USA nach Russland einreisen.
Umstrittener US-Autor Jared Tailor fand Gleichgesinnte in Petersburg
Zum Beispiel auch der in Amerika heftig umstrittene Autor Jared Tailor. Taylor ist Verfasser von Schriften, in denen er die seiner Meinung nach drohender Überfremdung seines Landes durch nicht weiße Einwanderer beklagt. Er rief Europa auf, nicht die vermeintlichen Fehler der Vereinigten Staaten zu wiederholen, und fand in Petersburg Gleichgesinnte.
"Weil sie wollen, dass Europa europäisch bleibt. Sieht man sich die Türken in Deutschland an, dann erkennt man, dass deren Assimilation sehr schwierig ist. Ich hätte es lieber, wenn die Vereinigten Staaten mehrheitlich weiß und europäisch wären. Aber in den USA sind es inzwischen zu viele, die wir zurückschicken müssten. Aber in einigen Ländern Europas wäre das möglich, in Deutschland zum Beispiel. Das ist eine Frage der Entschlossenheit und Geschlossenheit."
Der Schotte Jim Dowson von der sogenannten Liga für Leben, einer Organisation gegen Abtreibung und Verhütung, weist den Vorwurf zurück, das Forum der Ultra-Rechten in Sankt Petersburg würde Nazis oder Neonazis versammeln. Den Kämpfern in der Ostukraine galt sein Lob, weil sie angeblich gegen Faschisten vorgingen.
"Den jungen bewaffneten Männern, die für Freiheit in Donezk kämpfen, zolle ich meinen Respekt. Gott segne sie. Ich höre immer, wir seien Nazis, Nazis. Mein Vater hat gegen Nazis gekämpft, Millionen Russen sind im Kampf gegen Nazis gestorben. Die Europäische Union sind Nazis. Gehen Sie nach Brüssels, da sind Gebäude mit hunderten von ihnen. Barack Obama ist ein weiterer Nazi. Die Rettung seid Ihr, Ihr mutigen Russen, Euer Glaube und Euer Führer. Weil Wladimir Putin versteht, dass die Rechte der Mehrheit wichtiger sind als die Launen und Perversionen von Minderheiten. Der Londoner Polizeichef ist ein Homosexueller, Vorgesetzter von 600 Polizisten."
Fremdenhass, Rassismus, Homophobie
Fremdenhass, Rassismus, Homophobie, der angebliche Kampf für christliche Werte vereinte die Teilnehmer des Forums der selbst ernannten Konservativen. Mit Konservatismus haben ihre politischen Vorstellungen aber rein gar nichts zu tun, konstatiert der Moskauer Professor.
"Die Verfahrensweise ist ziemlich simpel: Erst wird allen Angst eingejagt und danach beschwichtigt man. Man verweist auf die vielen bösen Geister ringsherum und auf den, der alle davor bewahren kann. Man tritt nicht für Konservatismus ein, sondern gegen alles was neu ist. Und damit erreicht man eine Unterstützung nicht von 85 Prozent, sondern sogar von 100 Prozent."
Die in Sankt Petersburg versammelten Putin-Freunde wehrten sich vehement dagegen, dass man sie als Neo-Nazis bezeichnete, obwohl sie offen intolerant gegen Minderheiten sind, Gewalt gegen Andersdenkende unterstützen. So ziemlich jeder, der sie oder Moskau kritisiert, wird als Faschist bezeichnet. Für den Geschichtswissenschaftler Nikolaus Katzer vom Deutschen Historischen Institut in Moskau zeugt die in Russland inzwischen inflationäre Verwendung des Faschismusbegriffs von fehlender Aufarbeitung der Vergangenheit. Der Historiker beobachtet zudem eine beängstigende Instrumentalisierung von Geschichte sowohl in der russischen Politik als auch in den russischen Medien.
"In einem sehr breiten Trend, der sich gegen das Militärbündnis NATO richtet, der dann antiwestliche Stimmungen schürt, auch den Antiamerikanismus in Deutschland aufnimmt und bündelt in einer solchen isolierten Betrachtung einzelner Ereignisse. Natürlich ist das besorgniserregend. Wir beobachten ja insgesamt in Europa, auch in der Auseinandersetzung mit Griechenland, dass oft sehr kurzschlüssig historische Sachverhalte in die aktuelle Debatte eingespeist werden, also etwa die Frage der Reparationen. Das kann ja durchaus ein legitimes Anliegen sein, das aber jetzt in diese aufgeheizte Stimmung einzuspeisen, ist natürlich gefährlich. Also das macht mir schon Sorgen."
Wenn der Kreml das Ultrarechten-Treffen auch nicht ausdrücklich gebilligt hat, so hat er es doch nicht verhindert und sich erst recht nicht davon distanziert. Wladimir Putin ordnete Ende März die Schaffung einer staatlichen Agentur an "Für interreligiöse und ethnische Harmonie". Sie soll die Opposition daran hindern, ethnische Konflikte für ihren Kampf gegen die herrschende Regierung auszunutzen. Wie angeblich in der Ukraine.
Kosaken, die sich als Bewahrer der russischen Tradition verstehen
Die Kreml-Lesart, der Krieg in der Ostukraine sei ein Konflikt zwischen Ukrainern und Russischstämmigen, hält sich auch unter den russischen Kosaken hartnäckig. Kosaken zeigen sich gern in Uniform und Pelzkappen, die sie auch in geheizten Räumen auf dem Kopf behalten. Sie verstehen sich als Bewahrer der russischen Traditionen. De facto sind sie eine paramilitärische Organisation mit vielen regionalen Ablegern.
"Eine unsere Aufgaben ist der Nachwuchs. Wir führen die Kinder an den Sport heran, vor allem die aus den sozial schwachen Familien. Sie lernen reiten bei uns. Das könnten sie sich sonst nicht leisten. Es ist einfach, eine Waffe zu nehmen und über die Grenze zu spazieren. Aber sehr viel schwerer, sich um die Erziehung von Kindern zu kümmern, sie an die Armee heranzuführen, sie auf den Wehrdienst vorzubereiten."
Alexej Kapustin und Anna Schilajewa sind Kosaken aus Sankt Petersburg. Die junge Unternehmerin will eine Frauenabteilung gründen. Die Kosaken müssen die Armee unterstützen, findet sie, auch wenn die russischen Streitkräfte in den zurückliegenden Jahren modernisiert wurden und keineswegs mehr unterfinanziert sind. Die Waffen, die gegen die ukrainischen Verbände verwendet werden, sind schon deshalb leicht als russische auszumachen, weil sie viel moderner sind als die veraltete sowjetische Militärtechnik, mit der die ukrainische Armee vorliebnehmen muss. Dass Kosaken aus ganz Russland in den Donbass ziehen, bestätigt sie wie auch Kapustin:
"Unsere Männer und Brüder kämpfen dort. Wir haben Kuban-Kosaken, Donezker, vom Baikal, aus Twersk, aus Orenburg, vom Amur, aus dem Ural, aus Sibirien. Aus all diesen Streitkräften nehmen unsere Leute an den Kämpfen teil."
"Wir verheimlichen nicht, dass wir dort kämpfen, im Gegenteil, wir sagen das ganz offen. Wir sind keine Soldaten, wir kämpfen dort freiwillig. Wir kämpfen in Lugansk und wir waren auch auf der Krim. Wir haben gerade einen von uns begraben. Er war als Scharfschütze in Debalzewo."
Dass Russland somit Kriegspartei ist, stört die Kosaken nicht, dass sie auf ukrainischem Territorium kämpfen, weckt keinerlei Unrechtsbewusstsein. Alexej Kapustin ist im Gegenteil davon überzeugt, einen gerechten Krieg gegen Faschisten zu führen. Für Emil Pain ist das Muster, mit der der Kreml die russische Bevölkerung hinter sich bringt, die Militarisierung des Landes betreibt, klar erkennbar.
"Das wichtigste sind die Gefahren, die Bedrohungen, die von Amerika ausgehen, selbst wenn die so wenig wahrscheinlich sind wie eine Revolution. Man spricht permanent von einem Überfall Amerikas auf Russland. Der Wandel Putins setzte 2004 bis 2007 ein und diese neue Richtung verstärkte sich noch einmal 2012. Jetzt ist etwas anders im Gang: Es geht um eine Mobilisierung der Gesellschaft. Der Ölpreis steigt nicht, der Gaspreis auch nicht, somit erfüllen sich auch nicht die Versprechen der Regierung für ein besseres Leben. Das muss man kompensieren und das geschieht, indem man den Menschen Angst macht."
Die Gefahr, dass Moskau den Westen spaltet, in dem er bestimmt Kräfte an sich bindet, ist nicht von der Hand zu weisen. Über die Schulden-Krise ist Europa seit Jahren zerstritten, der Krieg in der Ukraine hat zusätzlich tief polarisiert, doch noch agiert die EU geschlossen. Russland hat große Sympathien verspielt. Die will sich Moskau zurückholen und setzt dabei auf Kräfte, antiamerikanisch, vermeintlich konservativ. Vor allem aber radikal, rechts - und linksextrem. Weil sie es den europäischen Regierungen schwermachen, sind sie Russlands Verbündete.