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Russlands Opposition auf verlorenem Posten

Im Dezember wird in Russland ein neues Parlament gewählt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Opposition keine Chance hat. Doch aufgeben wollen die Nachwuchspolitiker nicht - und kämpfen, so gut es geht, weiter gegen das autoritäre Führungsduo Medwedew und Putin.

Von Gesine Dornblüth | 18.07.2011
    Wladimir Wolochonskij kommt etwas zu spät zur Verabredung. Er ist ausnahmsweise zu Fuß unterwegs.

    "Mir wurden gerade die Autoreifen mit einem Messer zerstochen. Außerdem habe ich bemerkt, dass mich ein Mann beschattet.
    Ich hatte vor, eine Broschüre über Putin und Korruption in der Stadt zu verteilen. Und ich wollte die Broschüren mit dem Auto ins Zentrum bringen. Das wollte wohl jemand verhindern."

    Wolochonskij vermutet den Geheimdienst hinter dem Vorfall. Der 32-jährige ist einer der Vorsitzenden der Bewegung "Solidarität" in St. Petersburg. Die Oppositionsgruppe bezeichnet sich als sozialdemokratisch. Sie hat etwa 40 aktive Mitglieder. Wolochonskij, im Hauptberuf Psychologie-Dozent, ist seit vier Jahren politisch aktiv. Gemächlich schlendert er durch die Fußgängerzone. Rotes Pflaster, renovierte Fassaden, Boutiquen, Cafés. Touristen flanieren. Ein Fotomodell posiert vor einem Springbrunnen. Die Regierung unter Premierminister Putin brüstet sich damit, den Russen Wohlstand und Stabilität gebracht zu haben. Wolochonskij schüttelt entschieden den Kopf.

    "Wir leben jetzt besser als vor 20 Jahren, das stimmt. Aber zugleich hat man das Gefühl, dass der Wohlstand jeden Moment wieder vorbei sein kann. Denn alles hängt von einer Person ab: von Putin. Er hat eine Machtvertikale aufgebaut. Das heißt, er sitzt weit oben und entscheidet alles. Im Ergebnis wenden sich die Leute mit jedem noch so kleinen Problem an ihn persönlich. Nehmen wir an, morgen geht der kleine Springbrunnen dort kaputt. Da ärgern sich die Leute und schreiben einen Brief an Putin. Andere schicken ihm eine Videobotschaft, weil der Müll bei ihnen im Hof nicht oft genug abgeholt wird."

    Putin hilft dann gewöhnlich publikumswirksam vor laufenden Fernsehkameras. Die Kritik an dieser Art des Regierens wächst. Das belegen Umfragen innerhalb der Bevölkerung. Die Umfragewerte der Regierungspartei "Einiges Russland" sinken ebenso wie die von Putin und Präsident Medwedew. Insbesondere die neu entstehende Mittelschicht ist mit dem starren, autoritären Regierungsstil Putins nicht einverstanden. Ansatzweise spürt das auch der Petersburger Oppositionelle Wladimir Wolochonskij.

    "In den letzten Jahren hat sich die Situation stark geändert. Wenn die Leute früher gehört haben, dass ich mich in der politischen Opposition betätige, haben sie gesagt: was für ein Schwachsinn. Heute finden die meisten Leute gut, dass überhaupt einer das macht."

    Für einen Regierungswechsel wird das aber nicht reichen, da macht sich Wolochonskij keine Illusionen. Das Regime werde notfalls mit unfairen Methoden dafür sorgen, dass es an der Macht bleibt. Gerade erst hat das Justizministerium dem oppositionellen Parteienbündnis "Parnas" die Zulassung verweigert. "Parnas" steht für "Partei der Volksfreiheit". Das Bündnis wird daher nicht an der Parlamentswahl Ende des Jahres teilnehmen können. Wolochonskij wundert das nicht.

    "Ich erwarte von der Parlamentswahl, wie viele meiner Freunde, noch mehr Stimmenfälschungen als in den vergangenen Jahren und kolossalen Druck auf die Wahlkommissionen, damit die Regierungspartei 'Einiges Russland' die Wahl gewinnt. Und wir erwarten, dass der Staatsapparat Druck auf die Geschäftswelt ausüben wird, um Geld für den Wahlkampf einzutreiben. Wir werden versuchen, dagegen zu kämpfen, aber wir machen uns keine Illusionen, wie die Wahl ausgehen wird."

    Wladimir Wolochonskij will versuchen, zumindest bei der Wahl für das Petersburger Stadtparlament zu kandidieren. Das wird zeitgleich mit der Duma am 4. Dezember gewählt.

    "Ich weiß selbst nicht, woher ich die Motivation nehme. Vielleicht sind ja doch Veränderungen möglich. Vor langer Zeit, 1991, hatten wir einen Putsch in Russland. Ich war damals gerade in München, ich war 12 Jahre alt, und meine Mutter fragte mich, ob wir nicht in München bleiben sollten, angesichts dieses Albtraums in unserem Land. Aber ich habe damals gesagt: Wir müssen zurückkehren. Denn ich wollte in Russland leben. Und auch jetzt denke ich, ich sollte ein paar Jahre lang versuchen, etwas zu verändern. Wenn es nicht gelingt, kann ich das Land immer noch verlassen."