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Russlands Osten ist weit weg

Ein großer Teil der russischen Erdölförderung kommt aus dem menschenleeren Sibirien. Und dort schaut kaum jemand hin, wenn Leitungen ein Leck bekommen. Manche Umweltschützer versuchen trotzdem, den Blick auf die Schattenseiten des schwarzen Goldes zu lenken.

Von Thorsten Jabs |
    Engagement und Resignation sind bei Vladimir Chubrov, dem Leiter des Bereichs Energie bei Greenpeace Russland, gleichzeitig zu spüren, wenn er vor der großen Landkarte steht und auf die wichtigsten Ölfelder des Landes zeigt. Auf die Provinz Petchoara im Nordwesten, auf die Insel Sachalin im Pazifik nördlich von Japan und auf die Tyemen-Provinz in Westsibirien. Dort liegen die Samotlor-Ölfelder. Sie gehören zu den größten der Welt. Seit Mitte der 60er-Jahre wird hier das schwarze Gold gefördert. Vor zehn Jahren war Chuprov selbst in Samotlor:

    "Was ich gesehen habe, war ein großer Ölteppich über 100 Kilometer. Man kann sagen, dass die durchgehend lecken Pipelines dafür verantwortlich sind und dass es keine Ideen gibt, wie das Öl zurückgewonnen oder das Auslaufen gestoppt werden kann, weil die Tausende Kilometer von Pipelines ausgewechselt werden müssten. Und ich weiß nicht, ob die Ölfirmen den Willen oder die finanziellen Mittel dafür haben."

    Nichts habe sich seitdem geändert, sagt Chuprov. Häufig würden die großen Ölfirmen, versuchen, Beobachtern den Zugang zu den Gebieten zu erschweren und die Berichterstattung zu beeinflussen. Er zählt Beispiele auf, in denen die Bevölkerung versucht hat, ihrem Unmut Gehör zu Verschaffen – meist ohne Erfolg wie er sagt:

    "Selbstverständlich muss die Regierung große Unternehmen beschützen, aber in Russland ist diese Balance absolut gebrochen. Die lokalen Gemeinden haben keinen Schutz und keine Rechte. Wenn ein großes Unternehmen oder eine lokale Regierung neue Anlagen bauen will, die die Umwelt verschmutzen, dann hat die Bevölkerung keine Chance. Ich kenne keine Gemeinde, die gewinnen könnte, sie haben niemals gewonnen."

    Eine der größten Schwierigkeiten: Westsibirien ist Permafrostgebiet, das heißt, der Boden ist zwölf Monate im Jahr gefroren, nur im Sommer taut die Oberfläche auf. Flüssigkeiten können nicht versickern. Wissenschaftler beobachten bereits, dass sich die Permafrostgrenze nach Norden verschiebt. Das könnte enorme Folgen für die Pipelines haben. Denn generell gilt in diesen Gebieten: Bauen ist eine Herausforderung, weil Gebäude oder Pipelines verankert werden müssen. Diese Verankerungen könnten jedoch Wärme in den Boden leiten, wenn das falsche Material verwendet wird. Zwar gilt Russland als Land mit viel Erfahrung auf diesem Gebiet. Fraglich ist jedoch, ob das auch für veraltete Pipelines gilt.
    TNK-BP ist nach Rosneft und Lukoil der drittgrößte Ölkonzern in Russland – 2003 entstanden durch eine Fusion von russischen Unternehmen und BP-Russland. Vor zwei Monaten hat der Konzern erklärt, er habe sieben neue Ölfelder in Samotlor entdeckt und bereits mit der Förderung begonnen. Permafrost erfordere strenge Anforderungen in Konstruktion und Unterhalt, um Öl zu fördern, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme. Außerdem habe man bereits Erfolge erzielt:

    "TNK-BP wendet derzeit erfolgreich ein Pipeline-Unversehrtheits-Management-Programm an. Es beinhaltet unter anderem den Einsatz von neuen Technologien, um die den technischen Zustand der Pipelines zu verbessern, und zwar im Hinblick auf Korrosion, neue Diagnosetechniken, Aufarbeitung oder Reparaturen. Die Einführung des Programms hat dazu geführt, dass die Zahl der Lecks in den vergangenen fünf Jahren um 70 Prozent zurückgegangen sind."
    Nach Einschätzungen des Leiters der Abteilung für Klimawandel des Staatlichen Hydrologischen Instituts in St. Petersburg, Oleg Anisimov, ereignen sich in Westsibirien pro Jahr 35.000 Ausrüstungsfehler und Unfälle, die mit Gas- oder Ölpipelines zu tun haben. Er warnt vor möglichen Schäden an baulichen Anlagen, falls die Permafrostgebiete dauerhaft wärmer werden. Es wäre die größte Naturkatastrophe, der sich Russland stellen müsste. Mit dieser Aussicht scheint sich Vladimir Chuprov bereits abgefunden zu haben. Doch seine Kollegen und er würden weiter kämpfen – wie Seeleute auf der Titanic, die um den Untergang wissen, aber Zeit für das Überleben der Menschen gewinnen wollen.