"Hätten amerikanische Flugzeuge so gebombt wie Russland in Aleppo, hätte ich gerne das Geheul der Amerika-kritischen Gesellschaft in Deutschland gehört und das Geschrei der Friedensbewegung, die jetzt mal wieder die Schnauze hält", so Naumann. Die russischen Angriffe bezeichnete er als an der "Grenze zur Völkerrechtswidrigkeit". Das gleiche Vorgehen habe er in Tschetschenien erlebt, sagte er im DLF.
Selbst habe er als Nato-General von Russland "genau das gleiche Vorgehen in Tschetschenien erlebt". Verantwortlicher sei auch damals Wladimir Putin gewesen. "Alles wurde plattgebombt, bis sich nichts mehr regte." Diese Denke sei in Russland "offenbar immer noch präsent". Der Kreml führe seinen Einsatz rücksichtlos durch und erreiche dadurch politische Vorteile, so Naumann: Gegenüber dem in der Region entstandenen Eindruck einer US-Regierung, die Ägyptens Machthaber Hosni Mubarak im Stich gelassen habe, zeige Moskau, dass es an Assads Seite stehe.
Schuld an der "fast unlösbaren Situation in Syrien" habe allerdings der Westen. Dieser habe zu lange dem Morden des Assad-Regimes zugeschaut und trage deshalb eine "gewisse Mitverantwortung" für die Entwicklung in dem Land. Die Hauptverantwortung trage die US-Regierung, die - wie den Einsatz chemischer Waffen des Regimes - "alles mitgekriegt", aber nicht eingegriffen habe.
Jetzt hoffe er, dass Washington Daten über Flugeinsätze vorlege und das "Lügengespinst aus Moskau" entlarve, sagte der frühere Nato-General mit Blick auf die russischen Angriffe in Syrien.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Wird das noch etwas mit einer Waffenruhe in Syrien in dieser Woche? Am Wochenende wurde eine solche Feuerpause vereinbart. Bislang ist davon allerdings noch nicht besonders viel zu sehen. Wir hören, dass die Kämpfe unvermindert weitergehen. Gestern außerdem die Nachricht, dass mehrere Schulen und Krankenhäuser im Norden Syriens bombardiert wurden. Die USA sagen, es waren russische Raketen, die da abgefeuert wurden, aber aus Moskau kommt Widerspruch.
Am Telefon ist Klaus Naumann, General außer Dienst, in den 90er-Jahren Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Schönen guten Morgen, Herr Naumann.
Klaus Naumann: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Naumann, Schüsse auf Krankenhäuser und auf Schulen, kann das eine militärische Strategie sein?
Naumann: Nein. Das ist völkerrechtswidrig und wenn ich das vergleiche mit meiner Situation als Vorsitzender im Militärausschuss im Kosovo-Konflikt: Hätte ich es gewagt, einen derartigen Vorschlag in den NATO-Rat zu bringen, wäre ich sofort rausgeschmissen worden. Und abgesehen davon hätten wir einen derartigen Vorschlag niemals gemacht, weil es nach unserer Rechtsauffassung schlicht unzulässig ist, derartige Ziele zum Gegenstand militärischer Luftangriffe zu machen.
Armbrüster: Was ist dann Ihre Theorie? Wer steckt dahinter?
"Wir haben genau das gleiche Vorgehen in Tschetschenien erlebt"
Naumann: Wenn man das Vorgehen Russlands in und um Aleppo in den letzten Wochen, soweit einem das aus der Entfernung möglich ist, beobachtet hat, dann hat man schon den Eindruck, dass ein Einsatz gewählt wird, der in hohem Maße rücksichtslos ist, an der Grenze zur Völkerrechtswidrigkeit. Genaueres könnte man natürlich nur sagen, wenn man wirklich präzisere Informationen hätte. Die habe ich nicht. Aber der Verdacht drängt sich auf. Und was man nun hört aus Moskau, das ist die Fortsetzung der meisterlichen Propagandawelle, mit der Moskau uns ja seit zwei Jahren überschwemmt und die in Deutschland ja ganz besonders Wirkung gezeigt hat. Ich füge nur an, Herr Armbrüster: Hätten amerikanische Flugzeuge in irgendeinem Konflikt der letzten Zeit so bombardiert, wie die Russen in Aleppo, dann möchte ich das Geheule der deutschen amerikakritischen Öffentlichkeit hören und das Geschrei unserer Friedensbewegung, die diesmal mal wieder die Schnauze hält.
Armbrüster: Na ja, das kann man ja so nicht sagen. Die Empörung über diese Bombardierung ist ja doch sehr groß und bislang ist ja auch noch nicht ganz klar, wer tatsächlich dahinter steckt.
Naumann: Ja, das wird man, ich nehme an, sehr schnell darlegen können. Für die amerikanischen Flugzeuge gibt es klare Nachweise, wann und wo sie geflogen sind. Ich hoffe, dass das Pentagon die auf den Tisch legt und damit das Lügengespinst aus Moskau entlarvt.
Armbrüster: Wenn tatsächlich Russland hinter diesen Angriffen stecken sollte, ist dies dann eine deutliche Veränderung im Vorgehen des russischen Militärs, oder kennen Sie so etwas durchaus auch noch aus Ihrer aktiven Zeit als General?
Naumann: Wir haben das gleiche Vorgehen, genau das gleiche Vorgehen in Tschetschenien erlebt. Der Verantwortliche damals hieß Wladimir Putin. Dort wurde glattgebombt, bis sich nichts mehr rührte. Und das ist eine Linie, die im Denken des russischen Militärs offensichtlich nach wie vor präsent ist.
Armbrüster: Wenn man sich das dann alles vor Augen hält, wie groß sehen Sie die Chancen noch für eine Waffenruhe, die ja eigentlich im Laufe dieser Woche eintreten sollte in diesem Konflikt?
Russland sammelt Bonuspunkte in der Region
Naumann: Ich nehme an, die Chancen sind begrenzt. Das Ziel, das Moskau und Assad verfolgen, ist, den Ring um Aleppo zu schließen, damit man dieses letzte Zentrum des Widerstands unter Kontrolle bekommen kann, und dem wird man wohl alles andere unterordnen. Wenn das erreicht ist und damit sozusagen ein Ring geschlossen ist, der auch dem Islamischen Staat, dem sunnitischen Islamischen Staat das weitere Vordringen erschweren wird, dann wird man vielleicht über eine zeitlich begrenzte, aber immer brüchige Waffenruhe nachdenken.
Armbrüster: Das heißt, Moskau hatte von Anfang an gar kein Interesse an einer möglichst raschen Waffenruhe? Dem russischen Militär ging es vor allem darum, möglichst schnell Hoheit über den Großraum Aleppo zu gewinnen?
Naumann: Ja, der Einsatz, den Putin seit September macht, ist gut geplant, wird geschickt und entschlossen und rücksichtslos durchgeführt, und er hat im Gegensatz zu den Amerikanern, die keine Bodentruppen gegen den Islamischen Staat zur Verfügung haben, die wirkungsvoll sind, die Reste der syrischen Armee und die Milizen, die aus dem Iran und aus dem Libanon zur Hilfe geeilt sind. Das ist eine durchaus sinnvolle Maßnahme einzugreifen. Man darf nicht vergessen, dass Moskau damit auch einen gewaltigen politischen Vorteil erreicht. Es zeigt, dass es seinem Verbündeten Assad zur Seite steht, und im ganzen Mittleren Osten wird man dieses entschlossene Eingreifen als politischen Bonuspunkt sehen und das vergleichen mit dem im Stich lassen von Mubarak durch die Amerikaner, wie das in der arabischen Welt gesehen wird.
Armbrüster: Zeigt sich denn hier vielleicht auch, dass es ein Fehler war für die Amerikaner und generell für den Westen, in diesem Konflikt selbst nicht viel früher einzugreifen, möglicherweise aufseiten der Rebellen, der Aufständischen?
Naumann: Ich denke, dass das Zögern des Westens - und hier gebe ich die Hauptverantwortung den Vereinigten Staaten von Amerika - diesen Konflikt in die gegenwärtige fast unlösbare Situation gebracht hat. Ich erinnere daran, dass Präsident Obama von roten Linien gesprochen hat. Es wurden C-Waffen eingesetzt, chemische Waffen eingesetzt. Es passierte nichts, die rote Linie wurde rosarot, bis sie ganz im Sand verlief. Das hat man alles mitgekriegt. Man hat gemerkt, dass der Westen nicht zu seinem Wort steht, und das Ergebnis ist die Ausweitung des Konflikts.
Armbrüster: Wie hätte man denn eingreifen sollen, wenn man mal solche Planspiele im Nachhinein machen kann?
"Wir haben dem Morden dort viel zu lange zugesehen"
Naumann: Ich denke, wenn man damals, als die chemischen Waffen eingesetzt wurden, wie es der amerikanische Präsident ja angedroht hatte, tatsächlich Stellungen des syrischen Regimes und die Lager der chemischen Waffen aus der Luft angegriffen hätte, dann hätte möglicherweise das Regime einen Stoß erhalten, den es nicht überstanden hätte. Aber das ist jetzt posthume Klugscheißerei. Wir wissen das nicht. Und man kann nur sagen, wir haben viel zu lange dem Morden dort zugesehen. Wir haben nichts getan, haben damit sicher eine gewisse Mitverantwortung. Man hätte auch zu einem früheren Zeitpunkt - jetzt ist es zu spät - über Flugverbotszonen und über Schutzzonen nachdenken können, was natürlich immer bedeutet, dass man gerade bei Schutzzonen dann auch Bodentruppen einsetzen muss. Aber jetzt ist das nicht mehr erreichbar, auch die Flugverbotszonen nicht. Insofern sind die Vorschläge aus Ankara ein bisschen blauäugig.
Armbrüster: Herr Naumann, ich erinnere mich, wenn Sie darüber reden, an Interviews, die ich und die wir auch hier im Deutschlandfunk immer wieder in den vergangenen Jahren geführt haben, auch als der Krieg in Syrien gerade ausgebrochen war, wo es immer wieder hieß, auf keinen Fall eingreifen in diesen Konflikt, wenn wir da eingreifen, dann ziehen wir alle anderen möglichen Mächte mit in diesen Krieg rein, und das wird ein Flächenbrand. Deshalb sollten wir uns da alle raushalten. - Stimmte das alles nicht? War das nicht wahr?
Naumann: Ich denke, wir haben uns vermutlich verkalkuliert und haben fehleingeschätzt die Entschlossenheit der Mächte in der Region, die ja einen Stellvertreterkrieg um die Vorherrschaft am Persischen oder Arabischen Golf austragen. Das sind in erster Linie Saudi-Arabien und der Iran, die diesen Konflikt als Stellvertreterkrieg befeuert und unterstützt haben. Und vermutlich haben wir die Entschlossenheit, das durchzustehen und durchzufechten, und das Konfliktpotenzial, das im Gegensatz zwischen Schia und Sunna steckt, doch unterschätzt.
Armbrüster: ... sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der ehemalige NATO-General Klaus Naumann. Vielen Dank, Herr Naumann, für Ihre Zeit und für das Interview heute Morgen.
Naumann: Bitte sehr, Herr Armbrüster.
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