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RWE-Chef Rolf Martin Schmitz
"2040 sind wir klimaneutral"

Das CO2-Problem zeige schneller Auswirkungen als er selbst noch vor zehn Jahren gedacht habe, sagte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz im Dlf. Darauf müsse mit neuen Technologien reagiert werden. Windkraftanlagen hätten jedoch ein Akzeptanzproblem: "Jeder will Erneuerbare, aber bitte nicht zu Hause."

Rolf Martin Schmitz im Gespräch mit Klemens Kindermann |
Rolf Martin Schmitz, Vorstandsvorsitzender von RWE, spricht während einer Pressekonferenz zur Neuaufstellung des Konzerns nach Übernahme der erneuerbaren Energien von Eon und Innogy am 30. September 2019.
Es sei schwierig ein sehr stromintensives Land wie Deutschland mit erneuerbarem Strom zu versorgen - so Rolf Martin Schmitz (picture alliance / Marcel Kusch)
Klemens Kindermann: Herr Schmitz, seit mehr als 120 Jahren steht RWE für Strom aus Steinkohle, aus Braunkohle, aus Atomkraft. Seit einigen Wochen ist jetzt alles anders, Sie fahren eine sichtbare Image-Kampagne. Da sieht man jetzt viel Meer und Wasser, viele Windräder, sogar Zugvögel. Ist RWE jetzt von heute auf morgen ein grünes Unternehmen geworden? Haben wir da irgendwas verpasst?
Rolf Martin Schmitz: Wir sind in die Richtung "mehr Grün" gegangen, so würde ich es formulieren. Das heißt, wir haben nicht die Vergangenheit vergessen oder von uns geworfen oder dergleichen. Wir produzieren noch Strom aus Kernenergie bis 2022. Wir haben den Kohleausstieg in 2038, der für uns natürlich ganz klar bindend ist. Aber wir konnten ja sehen, dass die Technologie sich gewandelt hat – die Erneuerbaren sind mittlerweile sehr preisgünstig geworden. Da haben sicherlich auch die hohen Subventionen in Deutschland dazu beigetragen, dass weltweit jetzt günstiger Sonnenstrom produziert werden kann. Und für uns im Unternehmen war klar, dass wir uns diesen Dingen zuwenden. Dass wir jetzt das Glück hatten, in einer großen Transaktion gleich zum – ja, wirklich – zweitgrößten Betreiber von Offshore-Kraftwerken in der Welt zu werden und zum drittgrößten Erneuerbaren in Europa, da kann man schon sagen, das ist auch ein sehr gelungener Schachzug, kann man so formulieren oder sagen, ein bisschen Glück gehört auch dazu.
"Jede Technologie hat ihre Zeit"
Kindermann: Zu Ihrer Transaktion kommen wir gleich noch. Nochmal festzuhalten: Ihr Unternehmen wird ja über Jahre hinaus noch mit Abstand der größte Emittent von Kohlendioxid in Europa bleiben. Passt das zusammen mit diesem grünen Image?
Schmitz: Wir werden es gar nicht bleiben, weil wir haben in den letzten sechs Jahren bereits unsere CO2-Emissionen um 60 Millionen Tonnen gesenkt, also um 35 Prozent. Das heißt, wir sind sozusagen auf dem absteigenden Ast. Übrigens sind 60 Millionen Tonnen das, was 30 Millionen PKW ausstoßen. Das ist schon viel – aber wir hatten ja auch viel. Wir werden bis 2030 nochmal das Gleiche absenken, dann sind wir bei 70 Prozent Absenkung. Und 2040 sind wir klimaneutral.
Stecker am Tank eines Elektroautos
Autostrom Tankstelle für Elektrofahrzeuge vom Energieunternehmen RWE (picture alliance/imageBROKER / Jochen Tack)
Kindermann: Also, Sie sind jetzt vom Saulus zum Paulus geworden – Sie waren ja mal Dinosaurier des Jahres, vom Naturschutzbund Deutschland, das war erst letztes Jahr. Aber jetzt haben Sie es begriffen?
Schmitz: Ich will es mal anders formulieren. Ich glaube nicht, "vom Saulus zum Paulus geworden" oder umgekehrt, sondern jede Technologie hat ihre Zeit. Wir haben die Kernenergie gebraucht, insbesondere gerade im Süden Deutschlands, damit dort wirklich industrialisiert werden konnte. Günstiger Strom, ohne dass man fossile Energien transportieren musste. Der Aufbau im Ruhrgebiet und im rheinischen Gebiet ist gelaufen und viel Industrie hier, weil wir billige Braunkohle hatten und damit billigen Strom hatten. Und so muss man, glaube ich, sehen: Jede Energieform hat ihre Zeit gehabt und hat da ihre Aufgaben erfüllt. Und darum möchte ich auch immer bei unseren Mitarbeitern sagen: Wir müssen das eine mit Respekt – bitte – verabschieden, wenn wir was Neues beginnen, aber alles zu seiner Zeit hat seinen Sinn und Zweck gehabt. Und wenn wir jetzt eben sehen, wir haben ein C02-Problem, was auch aus meiner Wahrnehmung viel schneller Auswirkungen zeigt als ich es zum Beispiel auch gedacht habe noch vor zehn Jahren, dann müssen wir darauf reagieren, mit Technologien darauf reagieren. Und diese sind jetzt auch da.
"Jedes Jahr zwei bis drei Gigawatt Ökostrom zubauen"
Kindermann: Die ehemalige Seenotretterin und Klimaaktivistin, Carola Rackete, hat Sie ja letzten Sonntag besucht an Ihrem Braunkohletagebau Garzweiler und hat gesagt, die Braunkohleverstromung trage zu Dürre, Überschwemmung, Wirbelstürmen bei. Was antworten Sie ihr?
Schmitz: Also, wenn man sagt, das CO2-Problem – und das ist in keiner Weise anders zu bewerten – führt dazu, dass wir mehr Dürren haben, mehr Überschwemmungen haben, et cetera – ja, das ist richtig. Wir könnten jetzt prozentual promillhaft ausrechnen, wie viel trägt das RWE dazu bei, man muss auf der anderen Seite aber vielleicht auch sehen, dass man einen Veränderungsprozess gestalten muss. Wir betreiben aber jetzt kein Greenwashing – ja –, Sie werden von uns keine grünen Bilder sehen, weil ich das auch persönlich für vollkommen falsch halte.
Kindermann:Zumal, wenn man sich mal die Zahlen anguckt.
Schmitz: Genau, wenn man sich die Zahlen anguckt, gibt es das nicht her.
Kindermann: Wenn man mal schaut, wie viel Ökostrom Sie eigentlich haben – von E.ON bekommen, Innogy –, das ist eine Kapazität von gut neun Gigawatt.
Schmitz: Ja.
Kindermann: Das ist ja, wenn man sich die anderen Erzeugungsarten, die Sie haben – Steinkohle, Braunkohle und ja auch noch Atomkraft –, ist das ja verhältnismäßig wenig.
Schmitz: Ja, im Verhältnis zu diesen nicht mal mehr, wir haben sehr viel Gas auch. Das heißt, unser konventionelles Portfolio sind ungefähr 35 Gigawatt noch – das ist eine abstrakte Zahl. Aber das ist so ziemlich etwas weniger als die Hälfte der Last in Deutschland zu einem Spitzenlastzeitpunkt, und es sind nur neun oder jetzt fast zehn GW – 2,6 sind jetzt im Bau noch, werden jetzt fertig im nächsten Jahr.
Kindermann: GW heißt Gigawatt.
Schmitz: Gigawatt, genau. Entschuldigung, ja, man verwendet immer wieder diese Begriffe. Und das ist im Sinne dessen, was passiert, scheinbar wenig. Wenn man aber sieht, wie groß man mit diesem Portfolio schon ist in der Welt, ist es wiederum viel. Und wir haben ja auch gesagt, wir wollen jedes Jahr zwei bis drei Gigawatt zubauen. Das ist die Kapazität von zwei bis drei Kernkraftwerken. Wenn ich sagen würde, wir nehmen jedes Jahr zwei bis drei Kernkraftwerke in Betrieb, würde jeder sagen: Oh Gott, das ist aber echt viel.
"Jeder will Erneuerbare, aber bitte nicht zu Hause"
Kindermann: Sie haben am Anfang des Gesprächs schon das Tauschgeschäft mit E.ON erwähnt.
Schmitz: Ja.
Kindermann: Sie sind ja durch dieses Geschäft mit einem Schlag auch zu einem der größten Windkraftproduzenten geworden. Werden Sie in neuen Anlagen in Deutschland investieren?
Schmitz: Wir investieren in neuen Anlagen in Deutschland, allerdings in sehr wenige. Und das liegt einfach daran, dass im Moment der Onshore-Bereich, also die Windkraftanlagen an Land, sehr schwierig noch Genehmigungen bekommen. Die Verfahren dauern lang, es gibt viele Einsprüche, das ist das Eine. Das Zweite ist, es fehlen die Flächen, wo man die Anlagen aufsetzen kann. Wir investieren einiges noch im Offshore-Bereich, also auf dem Meer.
Kindermann: Auf See.
Schmitz: Auf See, genau. Und da fehlen aber, um da massiver reinzugehen, die Leitungen jetzt, vom Norden – also vom Meer – Richtung Süden, um transportieren zu können. Und es macht wenig Sinn, eine Anlage zu bauen, die Strom produziert, der Strom aber nirgendwo ankommt. Darum muss man da erst die Leitungen haben. Darum sind wir im Moment in Deutschland in so einer Zwickmühle drin: Wir würden gerne mehr machen, aber die Umgebungsbedigungen lassen es nicht zu.
Kindermann: Die Bundesregierung will die Akzeptanz der Windkraft ja erhöhen.
Schmitz: Ja.
Windpark DanTysk in der Nordsee
Ein Windpark 70 Kilometer vor Sylt. (imago/Lars Berg)
Kindermann: Dazu soll es einen Mindestabstand von 1.000 Metern zwischen neuen Windrädern und Wohnsiedlungen ab fünf Gebäuden geben. Ist das richtig aus Ihrer Sicht?
Schmitz: Das ist der Versuch, Akzeptanz zu gewinnen, um dadurch möglicherweise Genehmigungsverfahren zu vereinfachen. Es schränkt aber den verfügbaren Raum natürlich sehr stark ein. Und es macht es damit nicht einfacher, dass 65-Prozent-Ziel der Bundesregierung, nämlich Strom zu 65 Prozent aus Erneuerbaren Energien zu machen, in 2030 zu erreichen. Da hilft aber auch bei vielem, was wir hier in Deutschland machen, vielleicht der Blick auf den Globus. Also, ich habe einen kleinen Enkel und der spielt so gerne mit dem großen Globus. Und das letzte Mal hat er mich gefragt – der ist drei: ‚Wo wohne ich denn?‘ Und dann habe ich im gezeigt, wo Deutschland ist. Und dann sagte er: ‚Das ist aber klein‘, und da kann ich ihm nur Recht geben. Das heißt, Deutschland ist rein flächenmäßig nicht in der Lage, sich in irgendeiner Art und Weise autark, Energie-autark mit erneuerbarem Strom zu versorgen, weil wir gar nicht mal die Flächen haben, diese Anlagen zu bauen, selbst wenn ich viel Offshore mache, viel Onshore machen. Deswegen muss man sich da immer von lösen. Wir sind ein hochindustrialisiertes, sehr stromintensives und auch dicht bevölkertes Land, da ist es schwierig. Und wenn sie den restlichen Globus sehen, sehen sie, es gibt ganz viel Platz an anderen Stellen.
Kindermann: Deshalb gehen Sie in die USA, gehen nach Großbritannien und lassen Deutschland im Stich?
Schmitz: Nein, wir lassen Deutschland in keiner Weise im Stich. Erstens ist das unser Standort hier, und wir freuen uns, hier in Deutschland oder von Deutschland aus das Geschäft machen zu können. Aber wir müssen natürlich sehen, wo sind denn die Möglichkeiten derzeit, auch große Anlagen zu bauen. Denn wir wollen ja nicht die Dächer mit Photovoltaik bepflanzen, das ist nicht unser Geschäft, oder mal zwei Windkraftanlagen da bauen, drei da. Da gibt es andere, die können das besser. Sondern wir gehen in die großen Maßstäbe rein. Das ist mehr für RWE geeignet, wenn ich das so sagen darf. Und da ist Deutschland im Moment ein schwieriger Markt, weil Leitungen fehlen. Wir würden sehr gerne mehr Offshore machen. Die Auktionen, die hier laufen, sind auch von den finanziellen Bedingungen gut, nur sie finden gar keine Leute mehr, die in die Auktion reinbieten, weil es keine Projekte gibt. Man arbeitet daran, das zu erleichtern. Aber wenn wir nicht dazu kommen, dass die Leute sagen: ‚Ich freue mich, eine Windkraftanlage sehen zu können, und die ist auch nur 500 Meter von mir weg‘, dann wird es schwierig. Also, das ist ein echtes Akzeptanzproblem. Jeder will Erneuerbare, aber bitte nicht zu Hause.
Kindermann: Mentalitätswechsel ist nötig.
Schmitz: Ja. Darum freue ich mich so ein bisschen über Fridays for Future.
Kindermann: Dazu kommen wir auch gleich noch.
Schmitz: Okay. Okay, dann ...
"Das muss irgendeiner entschädigen"
Kindermann: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, mit dem Vorstandsvorsitzenden von RWE, Rolf Martin Schmitz. Und, Herr Schmitz, Sie verhandeln derzeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium über die vorzeitige Abschaltung von Braunkohlekraftwerken. Wie weit sind Sie da?
Schmitz: Wir sind in intensiven Gesprächen, wie man dann so diplomatisch sagt, aber sicherlich noch ein ganzes Stück von Lösungen entfernt.
Kindermann: Man hört, es sei ruppig.
Schmitz: Ach, ruppig, man redet halt direkt miteinander, und das hilft schon mal, auch Dinge schneller zu klären, als wenn man zu diplomatisch vorgeht. Daher finde ich das eigentlich immer, wenn man sachlich, neutral dabei bleibt, ganz in Ordnung.
Kindermann: Wie ist denn da der Zeittakt? Sie hatten mal gesagt, alle 14 Tage trifft man sich.
Schmitz: Ja, es hat am Anfang ja lange gedauert, ehe man so richtig in die Gespräche gekommen ist, weil man möglicherweise vielleicht auf Wahlen im Osten noch Rücksicht nehmen wollte oder dergleichen – ich weiß es nicht. Seitdem aber ist die Taktzahl sehr angestiegen. Wir haben zunächst alle zwei Wochen uns getroffen, jetzt nimmt es bald den Zwei-Tages-Rhythmus an. Man tauscht sich intensiv aus. Und ich gehe davon aus, dann wir da zu einer konsensualen Lösung kommen.
Starkstrommasten in Bayern
Energie / Eon und RWE wollen Energiemarkt neu aufteilen
Es ist ein Strategiewechsel: Die beiden Essener Energiekonzerne RWE und Eon wirbeln den Energiemarkt durcheinander. Der eine konzentriert sich künftig auf die Stromerzeugung, der andere setzt auf die Netze und die Kunden. Die wichtigsten Fragen für Stromkunden im Überblick.
Kindermann: Bis wann?
Schmitz: Wir haben ja auch den Kohlepfad eigentlich vorgeschrieben bekommen, von der Kommission. Eigentlich müsste man es ja nur noch umsetzen. Und da hapert es im Moment ein bisschen dran, dass die Interpretation, was die Umsetzung heißen könnte, verschieden ist. Also, realistisch würde ich sagen, bis Ende des Jahres müssten wir da eine klare Lösung gefunden haben, die dann auch ins Gesetz einfließen kann. Das halte ich für realistisch machbar.
Kindermann: Sie haben ja Entschädigungen in Höhe von 1,2 bis 1,5 Milliarden Euro je Gigawatt abgeschalteter Leistung und der daran hängenden Tagebaukapazitäten gefordert. Werden Sie die bekommen?
Schmitz: Das werden wir sehen, ob wir die bekommen. Es hängt ja davon ab einmal, wie soziale Kosten abgegolten werden, also für unsere Mitarbeiter. Da waren ja im Kohlekompromiss auch Regelungen angesprochen worden, wie sie bei der Steinkohle waren. Wer trägt das? Läuft das durch unsere Kasse? Wird das direkt vom Bund bezahlt? Wir können sehr klar belegen, was es kostet bei uns, denn uns geht es nicht darum, jetzt irgendwie Geld daraus zu gewinnen. Sondern wenn wir die ersten Kraftwerke außer Betrieb nehmen – was jetzt bis Ende 2022 geschehen soll, wo wir ja auch gesagt haben, wir tragen die Hauptlast, ganz klar, als RWE –, dann müssen wir unsere Kraftwerksstandorte umbauen. Weil, ich muss die Fernwärme dann aus anderen Blöcken besichern, ich muss die Blöcke anfahren, die müssen anfahren können aus sich selbst heraus – Schwarzfähigkeit heißt das. Und das kostet ungefähr 500 Millionen Euro. Das muss auf jeden Fall nur irgendeiner entschädigen dann. Das Zweite ist der Tagebau in Hambach, dort soll ja auch der Wald stehen bleiben.
Kindermann: Dazu, Herr Schmitz, kommen wir auch gleich noch – auch im politischen Zusammenhang.
Schmitz: Politisch ja. Aber wenn man das machen will, dann kostet das etwa 1,5 Milliarden mehr als die andere Wiedernutzbarmachung, die wir vorher geplant hatten. Und auch da muss man sagen, das ist durch den Kohleausstieg bedingt. Die Priorität liegt immer bei Gesellschaft und Politik – da haben wir lange genug versucht, gegenzuarbeiten. Das haben wir bei der Kernenergie begriffen, das haben wir bei der Kohle aber längst begriffen – nur, da wollen wir auch fair behandelt werden. Denn wenn man Ihnen das Häuschen wegnimmt, wollen Sie auch dafür entschädigt werden.
Kohlekompromiss "nicht mehr aufschnüren"
Kindermann: Wer mit Kohle Strom erzeugt, der muss sich ja die nötigen Verschmutzungsrechte kaufen.
Schmitz: Ja.
Kindermann: Europaweit gibt es für den CO2-Ausstoß den Zertifikatehandel, wobei der gesamte Ausstoß gedeckelt ist. Wenn Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigt, müssten doch eigentlich gleichzeitig Zertifikate vom Markt weggenommen werden? Ist das im Kohleausstiegsgesetz drin?
Schmitz: Also, Sie haben vollkommen Recht erstmal mit der Anmerkung: Man hätte auch nur die Zertifikate aus dem Markt nehmen können, mit dem gleichen Klimaeffekt. Das ist, soweit ich gesehen habe, jetzt noch nicht im Gesetz drin. Es wird aber darauf verwiesen oder ich habe es gehört, dass man das im Zusammenhang mit der Neuregelung des Zertifikatehandels 2021 dann noch regeln will. Aber das werden wir sehen dann. Nur, Ihre Schlussfolgerung, es macht nur Sinn, den Kohleausstieg national zu machen, wenn man auch CO2-Zertifikate rausnimmt, da haben Sie vollkommen Recht.
Kindermann: Ist das nicht auch in Ihrem Interesse von RWE?
Schmitz: Doch, das ist in unserem Interesse. Denn wir wollen natürlich auch, wenn man schon so viel Geld in die Hand nimmt – insgesamt, ja, viel mehr noch für den Strukturwandel –, dann muss es auch klimapolitisch Sinn machen.
Kindermann:Braunkohle ist ja ein Fixkostengeschäft – Trockenlegung, Bagger, da verdienen Sie kein Geld, wenn sie die Verstromung schneller laufen lassen. Wenn Grünstrom mehr wird und Braunkohlestrom weniger, können Sie dann nicht eigentlich froh sein, dass Sie sozusagen die Komplettabschaltung auch noch finanziert bekommen?
Schmitz: Nein, das nicht. Weil, es ist vollkommen klar: Je mehr grüner Strom ins Netz reinkommt, desto weniger Kohlestrom wird produziert. Und insofern wäre es über die nächsten 30 Jahre ohnehin zu einem kompletten Kohleausstieg gekommen. Jetzt zieht man den aber in einer derartigen Schnelligkeit vor – und das wussten wir am Markt, wir waren darauf eingestellt, wir hatten unsere Planung ja auch für den Kohleausstieg 2045, 2050 alle gemacht –, jetzt zieht man das aber deutlich nach vorne, und dieser Unterschied, der eben nicht über den Markt kommt, sondern durch politische Eingriffe kommt, da erwarten wir schon entsprechende Entschädigung.
Aufnahme des Kohlekraftwerks Datteln 4 im Probebetrieb  vom 27.10.2017 . 
Kohlekraftwerk Datteln 4 im Probebetrieb (Picture-Alliance)
Kindermann: In diesem Referentenentwurf für das Kohleausstiegsgesetz, der seit dieser Woche kursiert, da heißt es ja auch, dass der Weg für das neue Kraftwerk Datteln 4 offensichtlich doch freigemacht werden sollen mit der Begründung: Genehmigte Anlagen dürfen ans Netz gehen. Betreiber ist hier Uniper, also nicht Sie. Aber ich frage Sie nach einer Bewertung: Was bedeutet es, wenn Deutschland, das ja eigentlich, wie Sie auch schon gesagt haben, bis 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen will, wenn jetzt noch ein großes Kohlekraftwerk angefahren wird?
Schmitz: Also, einmal habe ich einen besonderen Bezug zu Datteln 4, weil ich mal der Chef der E.ON-Kraftwerke auch war und genau dieses Kraftwerk damals durch den E.ON-Vorstand gebracht habe, dass es dann gebaut wurde. Das ist schon viele Jahre her, aber da hängt so ein bisschen Herzblut immer noch dran, und es ist halt ärgerlich, dass es so lange jetzt gebraucht hat, das sollte ja eigentlich schon 2011 in Betrieb gehen. Das kann man in zwei Richtungen sehen. Man kann sagen, man will – weil dieses Kraftwerk auch lange laufen wird, damit es in irgendeiner Art und Weise auch Sinn gibt, es jetzt in Betrieb zu nehmen – das nicht, weil man damit CO2 ausstößt von diesem Kraftwerk. Man kann aber auch sagen, okay, ich lasse das jetzt zu, nehme dafür einen ganzen Teil alter Kraftwerke zusätzlich raus. Ja, also man kann es so oder so bewerten. Ob man sagt, ich will ja eigentlich gar nicht bis 2038 gehen, es sollte schon früher die Steinkohle beendet sein und Ähnliches oder ... daher kann ich beide Argumentationen rational mitvollziehen. Und jetzt hat man so entschieden – wie es scheint, jedenfalls. Dann ist es eben auch so.
Kindermann: Sie wollten ja ...
Schmitz: Es ist aber ein Entfernen vom Pfad der Empfehlung der KWSB.
Kindermann: Das müssen Sie auch erklären.
Schmitz: Das ist die Kommission für – die hat so einen komplizierten Namen – Strukturwandel, Beschäftigung und Wachstum.
Kindermann: Also, die Kohlekommission, die Anfang des Jahres alles beschlossen hat.
Schmitz: Die wurde eben einfach "Kohlekommission" genannt, aber der andere Name ist so schön lang und da kommt das Wort "Kohle" gar nicht drin vor. Aber dort wurde ja empfohlen, dass das Kraftwerk nicht mehr in Betrieb geht, aus dem Grunde, weil dort auch gesagt wurde: Das läuft dann am allerlängsten. Man sollte vorsichtig sein, diesen sehr ausgewogenen Vorschlag, den man dort in vielen Sitzungen und Nachtsitzungen geschafft hat, zwischen gesellschaftlichen Gruppen, NGOs, Politik, Gewerkschaften, et cetera, den nicht aufzuschnüren. Wenn man irgendwo aufschnürt, dann bricht der sehr schnell, glaube ich, in sich zusammen. Und das ist jetzt ein Punkt darin: man soll doch bitte vorsichtig sein.
Hambacher Forst stehenlassen "kostet eine Menge Geld"
Kindermann: Jetzt kommen wir zum Hambacher Forst.
Schmitz: Ja.
Kindermann: Bleibt der stehen?
Schmitz: Wir haben klar erklärt, dass er bis 2020 erstmal ... dass wir nicht weiterbaggern dort. Wir haben klar erklärt, dass wir ... also baggern schon, aber nicht den Hambacher Forst wegbaggern. Wir haben klar erklärt, dass wir Lösungen versuchen zu finden, wenn wir ein komplett neue Braunkohleplanung machen, dass der Wald stehenbleiben kann.
Kindermann: Was kostet das?
Schmitz: Das kostet eine Menge Geld.
Kindermann: Können Sie das etwas näher ...
Schmitz: Wir können nicht beziffern jetzt, was das Stehenlassen des Waldes alleine kostet. Sondern die Umplanung jetzt in Hambach insgesamt – weil wir dann ja auch keine Kohle mehr fördern können in dieser Planung –, die Neuplanung dauert zehn bis 15 Jahre – insofern, es muss uns dann auch gestattet sein, den Wald stehen zu lassen. Ich möchte das so deutlich auch sagen, weil das Ganze sehr viel komplizierter wird. Aber die Mehrkosten sind etwa 1,5 Milliarden Euro. Davon entfällt ein Teil auf den Wald, aber das können wir schlecht spezifizieren.
Das Foto zeigt, wie eng das Braunkohle-Abbbaugebiet Hambach an den Hambacher Forst grenzt.
Das Braunkohle-Abbaugebiet Hambacher Forst (dpa-Bildfunk)
Kindermann: Da also Kompromissbereitschaft, beim Hambacher Forst. Bei den Umsiedlungen für den Tagebau Garzweiler auch?
Schmitz: Nein, diese Umsiedlungen sind ja schon deutlich im Gange. Etwa 72 Prozent der Menschen dort haben bereits unterschrieben. Es werden gerade ... oder 65 Häuser sind, glaube ich, schon gebaut, jetzt in Erkelenz-Nord, wie es jetzt heißt, weitere 80 sind im Bau. Das heißt, die Menschen sitzen auf gepackten Koffern. Das ist der eine Grund, warum ich sage: Ich halte es für sozial eigentlich nicht zumutbar, das zu tun. Das Zweite aber ist, 2024 brauchen wir die Kohle, die darunter ist. Denn wir können nicht Hambach zumachen, Garzweiler und dann bis 2038 noch mithelfen, für Versorgungssicherheit zu sorgen. Das funktioniert nicht.
Kindermann: Die Proteste im Hambacher Forst, die sind uns alle noch durch Fernsehbilder im Bewusstsein. Wenn Sie als RWE die neue RWE werden wollen, müssten Sie nicht viel mehr Zeichen der Kompromissbereitschaft auch an die Umweltaktivisten setzen?
Schmitz: Also, man muss bei Umweltaktivisten ja unterscheiden, von wem man redet. Also, wir haben, nehmen wir Fridays for Future – wenn man die als Umweltaktivisten bezeichnen will –, finde ich gut. Es kommt einfach Druck rein. Man kann nicht alle Forderungen erfüllen, aber man wird miteinander reden können und machen. Und die haben sich auch bei den Aktionen friedlich verhalten. Wir haben andere aber, die dann in den Tagebau, wie das so schön heißt, dann einfließen, auf gut Deutsch, unter Einsatz auch von Gewalt, Polizisten überrennen und Ähnliches. Da habe ich weniger Verständnis für. Und dann haben wir eine Reihe von Straftätern, die uns jeden Tag mit Steinen bewerfen – unsere Mitarbeiter –, die gefährliche Aktionen starten – gefährlich für unsere Mitarbeiter – und wo ich überhaupt kein Verständnis für habe. Das sind für mich Straftäter und keine Umweltaktivisten. Und das muss man immer sehr sauber unterscheiden.
"Wir sind verpflichtet, auf die Sonne zu setzen"
Kindermann: Der Ausstieg aus der Kohleverstromung muss durch mehr Tempo bei der Energiewende flankiert werden, sagt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident, Armin Laschet. Wie sehen Sie das?
Schmitz: Ja, er hat vollkommen Recht. Das ist ja das, was Sie auch eben schon ansprachen. Wenn ich etwas abschalte, muss ja was anderes da sein, was den Strom liefert. Das heißt, eigentlich hätte man eine Kommission machen müssen für den Ausbau der Erneuerbaren, wie kriege ich die schneller hin, weil da automatisch die Kohle rausgedrängt würde. Jetzt macht man es umgekehrt. Aber ich kann natürlich nicht sagen, wenn ich die 65 Prozent erneuerbaren Strom in 2030 nicht habe, aber schon alles andere abgeschaltet habe. Wo kommt denn dann der Rest noch her?
Dlf-Politikredakteur Klemens Kindermann (links im Bild), RWE-Vorstandsvorsitzender Rolf Martin Schmitz
Dlf-Redakteur Klemens Kindermann (links im Bild), RWE-Vorstandsvorsitzender Rolf Martin Schmitz (Nils Heider)
Kindermann: Reicht denn das Klimapaket der Bundesregierung?
Schmitz: Das ist schwer zu sagen. Und das Klimapaket würde ich auch eher als einen Einstieg sehen wollen. Man hat jetzt wirklich – und das finde ich sehr gut – gesagt, wir können ja nicht nur den energiewirtschaftlichen Raum sehen, denn wir werden die Klimaziele erreichen, die man uns gesetzt hat, sondern den Verkehr, die Gebäude, Energieeinsparung, all diese Dinge. Und damit man da was macht, hat man dem jetzt einen Preis gegeben. Man kann darüber streiten, ob dieser Preis zu niedrig ist – wahrscheinlich ja –, aber manchmal muss man mit Kompromissen anfangen, muss dann nach einem Jahre sehen, was hat es bewirkt, schärft das nach, et cetera.
Kindermann: Glauben Sie denn, dass durch die CO2-Bepreisung überhaupt Lenkungseffekte erzielt werden können?
Schmitz: Wenig, bei 10 Euro die Tonne, ansonsten aber schon. Und man will ja perspektivisch auf einen Emissionshandel auch gehen, weil man da ja viel zielgenauer gehen kann. Insofern, es ist immer so einfach, über alles zu schimpfen – das halte ich hier für falsch. Weil allein schon die grundsätzliche Entscheidung, wir bepreisen jetzt auch oder später auch, machen Emissionshandel für die anderen Bereiche, ist eine sehr gute Entscheidung.
Kindermann: Am 02. Dezember beginnt die nächste Weltklimakonferenz in – ja, jetzt – Madrid.
Schmitz: Jetzt in Madrid, genau.
Kindermann: Als weltweiter Stromanbieter, der künftig immer mehr grüne Energien umsetzen will, wie sind Ihre Erwartungen an den Klimagipfel?
Schmitz: Also, ich würde mir wünschen, dass man die Ziele, die man vereinbart hat, bestätigt. Man muss nicht wieder neue Ziele vereinbaren und noch Eins draufsetzen. Sondern dass man einfach sagt, um auch Verlässlichkeit reinzubringen, dass man sagt: ‚Wir haben uns doch klar committed vor ein paar Jahren, das bestätigen wir jetzt wieder und gehen diesen Weg weiter‘. Weil ich glaube, dieses Commitment ist schon hart genug. So einfach sind Wünsche.
"Szenarien können sich schnell verändern"
Kindermann: Hätten Sie denn gedacht, wenn man so die Naturereignisse in der letzten Zeit sieht, hätten Sie gedacht, dass der Klimawandel so schnell kommt?
Schmitz: Nein. Also, ganz klar gesagt: Nein. Denn bis jetzt haben wir ja nur einen moderaten CO2-Anstieg, und ich bin selbst auch überrascht worden, auch trotz Studiums von Klimamodellen und ähnlichen Dingen, dass sich das doch so stark schon auswirkt. Es sind lokale Phänomene, die man dort hat, aber sie sind da. Und ich will vielleicht den Bogen auch – wenn Sie mir gestatten, Herr Kindermann – ein bisschen größer machen, denn ich bin ja Maschinenbau-Ingenieur und da lernt man Thermodynamik und so was. Wenn man die Welt sich so anguckt – und wir nennen das als Ingenieure, "da machen wir eine Bilanzhülle drum" –, das ist bei uns die Atmosphäre und das Einzige, was durch diese Atmosphäre zu uns ankommt an Energie, ist Sonne. Und wenn es uns nicht gelingt, auf lange Sicht, auf längere Sicht, das ins Gleichgewicht zu bringen, dass man nur das nimmt, was ankommt und nicht das, was über Jahrmillionen Jahre in Kohle gebundene Sonne ja ist und in Öl und Gas, dann wird das nichts auf die lange Sicht. Und das war für mich eigentlich schon im Studium Antrieb. Ich habe lange Zeit gedacht, wir kriegen es mit der Kernenergie hin – Schneller-Brüter-Konzept und Ähnliches –, das ist es nicht geworden. Da kann vielleicht noch mal was kommen und kann helfen, aber man muss ja alle Alternativen sehen. Darum sind wir – egal ob Klimawandel kommt oder nicht – auf jeden Fall verpflichtet – der Klimawandel verschärft nur das Tempo –, auf jeden Fall verpflichtet, wenn es wirtschaftlich gangbar ist, auf die Sonne zu setzen.
Kindermann: Ist da nicht diese Vision ein bisschen ... Wenn ich da was dagegen setzen darf. Weltweit gibt es jetzt Kohlekraftwerke in Planung, mit einer Leistung von 579 Gigawatt, hauptsächlich in Asien. Das heißt, wenn wir hier in Deutschland Kohleausstieg machen, ist das vielleicht am Ende völlig witzlos?
Schmitz: Nein, denn wir zeigen ja damit, dass es geht und dass man eine Umsteuerung auf andere Energieformen machen kann. Jetzt muss man auch sehen, dass Asien auch – insbesondere China – nicht nur die meisten Kohlekraftwerke baut, sondern die bauen auch die meisten Kernkraftwerke und die meisten Erneuerbaren Anlagen. Die müssen halt alles machen, was sie nur machen können, weil das Wirtschaftswachstum so hoch ist und der Energiehunger der Bevölkerung so hoch ist. Wenn die Kohle bauen zu nah an den Städten, ersticken sie, deswegen machen sie Kernenergie und Erneuerbare, aber an anderen Stellen – wie sie halt alles brauchen – machen sie auch Kohle. Das ist jetzt eine Erklärung, das wird dadurch aber nicht besser.
Greta Thunberg (M), zu Besuch bei Klimaaktivisten im Hambacher Forst, in der Nähe eines Braunkohletagebaus.
Kein Klimaexperte sondern eine junge Schülerin wurde zur Symbolfigur im Kampf gegen den Klimawandel: Greta Thunberg (M) zu Besuch bei Klimaaktivisten im Hambacher Forst. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
Kindermann: Die Internationale Energieagentur hat jetzt gesagt, Öl, Kohle, Gas, die bleiben in den nächsten Jahren mit 80 Prozent die wichtigsten Energiesäulen. Was ist das für eine Aussicht für Sie, die Sie ja in die Erneuerbaren gehen wollen?
Schmitz: Das ist ein Faktum, was man, glaube ich, zur Kenntnis nehmen muss. Jetzt habe ich allerdings schon sehr viele 20-Jahres-Szenarien gesehen, die hinterher ganz anders gekommen sind. Manchmal braucht es gewisse Triggerpunkte, damit sich Dinge verändern – wie wir jetzt zum Beispiel merken, dass der Klimawandel schneller Auswirkungen zeigt, als vielleicht viele von uns gedacht haben. Und solche Triggerpunkte können dann auch solche Szenarien schneller verändern.
Kindermann: Herr Schmitz, jetzt muss ich Ihnen noch eine Frage zum Schluss stellen. Es würde mich wirklich interessieren, wenn sich die Gelegenheit böte, würden Sie sich denn mit Greta Thunberg treffen?
Schmitz: Ich würde mich sicherlich mit ihr treffen, denn ich bewundere sie als Mensch. Also ich hätte nicht den Mut, in einem Segelboot über den großen Ozean zu schippern, da gehört nun wirklich viel Mut dazu. Und ja, warum nicht, gerne.
Kindermann: Was würden Sie Ihr denn sagen?
Schmitz: Ich würde, ehrlich gesagt, mich über alles mit ihr gerne unterhalten, aber nicht über Klima.
Kindermann: Über Kohle aber schon?
Schmitz: Das hängt damit zusammen. Aber ich würde gerne erfahre, was sie als Mensch so antreibt.
Kindermann: Herr Schmitz, vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.