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RWE plant weitere Rodungen
"Ein Affront gegen die Kohlekommission"

Der Energiekonzern RWE torpediere durch die geplanten Rodungen für den Tagebau Hambach in Nordrhein-Westfalen die Arbeit der Kohlekommission, sagte Kommissionsmitglied Reiner Priggen im Dlf. Er könne verstehen, dass der BUND drohe, diese zu verlassen. Es sollten vorerst keine Fakten mehr geschaffen werden.

Reiner Priggen im Gespräch mit Christine Heuer |
    Ein Waldarbeiter fällt im Hambacher Forst in Kerpen (Nordrhein-Westfalen) einen Baum.
    RWE will seine Rodungen im Hambacher Forst im Oktober 2018 fortsetzen (Henning Kaiser/dpa)
    Christine Heuer: Heute ab zehn Uhr tagt die Kohlekommission in Berlin. Mit dabei wird sein Reiner Priggen. Er war grüner Landespolitiker in Nordrhein-Westfalen, lange Zeit Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Landtag, und er ist jetzt Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW. Und wie gesagt, er ist Mitglied der Kohlekommission. In Berlin ist er uns zugeschaltet aus unserem Hauptstadtstudio. Guten Morgen, Herr Priggen.
    Reiner Priggen: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Wir haben gerade in den Nachrichten gehört, dass der BUND jetzt wegen des Hambacher Forsts mit dem Ausstieg aus der Kohlekommission droht. Aber Sie bleiben noch ein bisschen, oder?
    Priggen: Na ja. Ich kann den BUND gut verstehen. Der leistet in Nordrhein-Westfalen eine hervorragende Arbeit, was die Braunkohle angeht. Und es ist tatsächlich so: Die Kommission arbeitet unter extremem Hochdruck. Ich bin wirklich jetzt wöchentlich in Berlin. Wir bemühen uns, diesen engen Zeitrahmen, der uns gesetzt ist – bis Ende des Jahres sollen wir fertige Ergebnisse haben -, tatsächlich zu schaffen. Und da ist das ein Affront. Anders kann man das gar nicht nennen.
    Weil die grundsätzliche Frage, die Ministerpräsident Laschet eben angesprochen hat, ist ja das eine. Aber dass jetzt die Reste des Hambacher Waldes gefällt werden müssen, um die Chemieindustrie in Nordrhein-Westfalen zu erhalten, das will uns doch keiner ernsthaft erzählen. Und es wäre völlig normal, wenn man ein so schwieriges Thema behandelt, dass man dann auch ein Stück weit ein Moratorium macht, ein Stück weit unterbricht und sagt, in der Zeit schaffen wir keine Fakten, bis ihr das Ergebnis vorlegt. Die drei Monate jetzt, die werden keine Rolle spielen für das, was RWE da machen muss.
    Heuer: Wer soll denn so ein Moratorium erlassen, Herr Priggen?
    Priggen: Normalerweise wäre doch, wenn Sie schwierige Verhandlungen haben, dass sich alle, die beteiligt sind, darauf verständigen und sagen, um die Verhandlungen zum Erfolg zu bringen – das wird ja wirklich nicht einfach -, machen wir keine Fakten, spitzen wir nicht zu. Ich habe gestern in den Vorbesprechungen auf die Sitzung heute gehört, dass die LEAG in Ostdeutschland in der Lausitz selbstverständlich keine weiteren Umsiedlungen macht. Das hat die zugesagt. Die wartet das Ergebnis ab. Und ich bin überzeugt davon, RWE muss jetzt nicht den Rest dieses Hambacher Waldes wegmachen. Das muss nicht sein.
    "Affront gegen die Kommission, weil man das Ergebnis da nicht möchte"
    Heuer: Aber RWE sagt, es geht um Strom, und letztlich geht es um Arbeitsplätze. Sie selber haben auch noch mal Armin Laschet erwähnt, den wir im Beitrag gehört haben. Der sieht das ja genauso. Ist das denn alles nur vorgeschoben? Das sind doch gute Gründe.
    Priggen: Nein. Niemand von denen, die hier sitzen und in der Kohlekommission arbeiten, glaubt, dass wir in den nächsten drei, vier, fünf Jahren aus der Kohleverstromung aussteigen können. Es geht nicht um einen sofortigen Ausstieg. Dafür sind die Prozesse zu langfristig. Aber dass es nicht 2045 sein wird, dass man nicht alles das mehr ausschöpft, was da theoretisch möglich wäre, das ist auch klar. Das ist auch der Auftrag der Kommission. Wir sollen das Enddatum festlegen. Wir sollen Reduktionen für 2020, 2030 festlegen, und dann wird nicht mehr alle Kohle gebraucht werden.
    Und ob ich dann tatsächlich den Wald, den ganzen Wald dort noch abholzen muss, ob ich das alles noch brauche, das müsste man dann im Detail gucken, und dass noch auf Jahre hinaus Strom aus Braunkohle gemacht wird, ist uns allen klar. Aber ob ich jetzt wirklich die Reste dieses mal 4.000 Hektar großen Waldes kaputt machen muss, das bezweifle ich. Das ist ein Affront gegen die Kommission, weil man das Ergebnis da nicht möchte.
    Heuer: Wie sehr belastet das eigentlich die Kommission? Streiten Sie sich da ungefähr so beherzt wie Naturschützer und RWE im Hambacher Forst, oder wie muss man sich das vorstellen?
    Priggen: Na ja. Wir haben heute die dritte Sitzung und es ist eine sehr schwierige Problematik insgesamt, weil in der Kommission natürlich Industrievertreter, Gewerkschaften, Naturschützer alle da sind. Sicherlich gibt es Leute, die sehr viel schneller einen Ausstieg wollen, und es wird andere geben, die sagen, wir können das erst in 15, 20, 25 Jahren machen. Dazwischen eine Lösung zu finden, die dann die Strukturen überall berücksichtigt – und wir reden nicht nur über NRW; wir reden auch über die Lausitz, wir reden über Mitteldeutschland -, da Kompromisslinien zu finden, ist nicht einfach.
    Aber ich habe den Eindruck, es bemühen sich jedenfalls die, die in der Kommission sind. Dann sollte man von außen wirklich nicht das torpedieren und kaputt machen, weil das schlägt natürlich durch. Wir wollen im Oktober mit der Kommission ins rheinische Revier. Meinen Sie, wir wollen da den größten Polizeieinsatz, den Nordrhein-Westfalen in den letzten zehn Jahren hat, besichtigen? Wir wollen uns informieren mit der Kommission vor Ort. Wir gehen in die Lausitz, nach Mitteldeutschland und im Oktober ins rheinische Revier. Da muss man doch nicht vorher da die Kettensägen laufen lassen.
    Heuer: Sie haben auch gerade schon gesagt, es könne Ihnen niemand sagen, dass das nun so dringend nötig sei mit den Rodungen. Was unterstellen Sie RWE eigentlich, wenn das nicht nötig ist, wenn das ein Affront ist, eine Provokation? Welches Motiv sehen Sie denn da bei RWE?
    Priggen: Ich verstehe es erst mal nicht. Ich verstehe es nicht, weil natürlich haben sie Möglichkeiten, die Prozesse so zu steuern, dass sie tatsächlich ein Stück weit später, wenn es unbedingt notwendig wäre, das machen. Dass das jetzt, während die Kommission intensiv arbeitet, durchgeführt werden muss, kann ich nicht anders sehen als Affront gegen die Kommission.
    Heuer: Aber mit welchem Grund, Herr Priggen? Was halten Sie da für plausibel?
    Priggen: Das einzige, was mir einfällt: Die Kommission hat den Auftrag, Reduktionen für 2020 und 2030 festzulegen und ein Enddatum. Und es ist allen, die sich mit der Materie beschäftigen, klar: Die Braunkohle ist der dreckigste Stromerzeuger. Nordrhein-Westfalen ist das größte Förderland für Braunkohle weltweit, Deutschland insgesamt, noch mehr wie China und Russland, und wir müssen das reduzieren, weil das ist der Löwenanteil unserer Emissionen, und das geht. Da müssen wir ein Stück weit runter und wer diesen Prozess nicht will, wer das ablehnt, wer meint, er kann da bis 2045 weitermachen, der muss genauso arbeiten, wie RWE das bis jetzt uns gegenüber gemacht hat. Insofern kann ich nur appellieren.
    Heuer: Sie glauben, die wollen Fakten schaffen?
    Priggen: Das ist ja offensichtlich das Ziel.
    "Mir leuchtet nicht ein, dass es jetzt sein muss"
    Heuer: Nicht nur im Hambacher Forst, sondern energiepolitisch auf längere Sicht?
    Priggen: Im Hambacher Forst wollen sie zumindest Fakten schaffen. Sie haben das ja bisher auch immer geschafft. Sie haben 50.000 Menschen im rheinischen Revier aus ihren Dörfern umsiedeln lassen. Bis jetzt sind sie immer durchgekommen bis auf Holzweiler - das haben wir retten können. Jetzt versuchen sie es da auch wieder und mir leuchtet nicht ein, dass es jetzt sein muss.
    Heuer: Annalena Baerbock, die Vorsitzende Ihrer Partei, der Grünen – Sie waren ja aktiver Landespolitiker, sind immer noch in der Partei -, hat heute gesagt: Wenn RWE rodet im Oktober, dann ist die Legitimation der Kohlekommission dahin. Ist das so? Kann RWE die Kohlekommission aushebeln oder zumindest deren Glaubwürdigkeit so erschüttern, dass das Gremium nicht mehr so viel Wert ist?
    Priggen: RWE macht durch eine solche Aktion die Arbeit natürlich unglaublich schwer. Das ist doch der entscheidende Punkt. Wenn wir uns bemühen um Lösungen und um Kompromisse – wissen Sie, das ist doch, als ob Sie Tarifverhandlungen haben. Da gibt es auch so was wie eine Friedenspflicht. Wer gleichzeitig dann solche Fakten schafft, der torpediert doch diese Prozesse. Das ist doch sowieso nicht einfach. Deswegen ist das, was Annalena Baerbock sagt, richtig, und ich kann auch nur an die Bundesregierung appellieren, uns da zu unterstützen, die Kommission zu unterstützen, dass sie vernünftig arbeiten kann. Mir kann wie gesagt wirklich keiner erklären, dass das jetzt sein muss und dass es nur diese eine Alternative gibt. Da gibt es auch Lösungen, etwas gepuffert vorzugehen. Niemand muss dieses Jahr die Bäume da fällen.
    Heuer: Fakten geschaffen, Herr Priggen, haben ja seinerzeit die Grünen. Wenn der Wald nämlich so wichtig ist, dann stellt sich die Frage, wieso die Grünen die Abholzung mitbeschlossen und mitgetragen haben in NRW.
    Priggen: Ich verstehe überhaupt nicht, dass Sie dieser Propagandameldung immer wieder unterliegen.
    Heuer: Ach so! Sie waren nicht in der rot-grünen Landesregierung?
    Priggen: Doch, da gebe ich Ihnen recht. Da sind Sie klasse informiert.
    Heuer: Gut.
    Priggen: Aber ich habe auch nachts am Tisch gesessen, als wir darüber geredet haben, ob tatsächlich Holzweiler, 1.500 Menschen noch aus ihrer Heimat müssen. Und wir haben uns nur unterhalten über den Tagebau Garzweiler und ob dieser Ort gerettet werden kann. Natürlich hätte ich gerne auch weitere Tagebaue, auch die Verkleinerung, das was wir in der Kommission jetzt machen, auch damals schon diskutiert. Aber da müssen Sie die Kräfteverhältnisse sehen, mit denen sie arbeiten, und wir haben nie beschlossen, dass sie bis 2045 arbeiten dürfen.
    Heuer: Aber die Rodung haben Sie schon mitbeschlossen.
    Priggen: Nein!
    "Über Hambach und Garzweiler noch mal reden"
    Heuer: Das hat die SPD Ihnen nicht zugestanden. Den Betriebsplan haben Sie mitbeschlossen.
    Priggen: Nein. Wir haben über den Tagebau Hambach an der Stelle überhaupt nicht verhandelt. Wir haben nur Garzweiler verkleinert. Das war das, was wir da machen konnten und machen mussten.
    Und jetzt noch mal: Nachdem das gemacht worden ist, ist Paris, das Weltklimaabkommen beschlossen worden, einstimmig im Bundestag, und jetzt müssen wir unsere Zielperspektiven in Nordrhein-Westfalen noch mal neu justieren. Niemand kann doch jetzt so tun, als ob diese ganzen Prozesse nicht weitergelaufen wären.
    Garzweiler ist verkleinert worden, darüber bin ich auch froh. Da sind über 1.500 Menschen, denen die Vertreibung erspart geblieben ist. Aber trotzdem müssen wir jetzt über Hambach und auch über das, was bei Garzweiler überhaupt an Kohle noch nötig ist, noch mal reden. Das ist die Konsequenz aus dem Klimaabkommen. Man kann nicht immer auf der einen Seite so tun, als ob man Paris unterstützt, und wenn es dann konkret wird, wird gesagt, wir machen bis 2045 weiter. Das geht nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.