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Saakaschwili in Bedrängnis

Ein kalter Wind fegt an diesem 9. April durch die Straßen der georgischen Hauptstadt Tiflis. Trotzdem sind etwa 60.000 Georgier dem Aufruf der Opposition gefolgt und demonstrieren vor dem Parlamentsgebäude. Sie fordern nicht Geringeres als den Rücktritt des Präsidenten. Sie schwenken Fahnen der Oppositionsparteien und rufen "Mischa, geh".

Von Gesine Dornblüth |
    "Mischa", das ist der Spitzname des Staatsoberhauptes Micheil Saakaschwili. "Mischa" sagt man in Georgien auch auf russisch zu einem Teddybären. An der Rednertribüne ist so ein mannsgroßes Plüschtier befestigt. Es trägt Pampers. Eine Anspielung auf die nach Ansicht der Opposition infantile und unreife Politik Saakaschwilis.
    Der 9. April ist in Georgien ein wichtiger Gedenktag. Die Georgier erinnern sich an die Ereignisse des 9. April 1989. Damals war Georgien noch Teil der Sowjetunion, doch die Menschen demonstrierten bereits für die Loslösung von der UdSSR. Am Ende des Tages gab es zwanzig Tote. Die Sowjetmacht hatte die Demonstranten mit Giftgas auseinander getrieben. Zwei Jahre später, 1991, erneut am 9. April, erklärte sich Georgien für unabhängig.
    Die Opposition hat das symbolträchtige Datum ganz bewusst gewählt, um die Enttäuschung der Bevölkerung über Präsident Saakaschwili zu zeigen. Ärger, der sich über Monate aufgestaut hatte.
    Besonders wichtig ist dafür der August letzten Jahres. Da
    marschierten russische Truppen in Georgien ein. Nach Ansicht der Opposition hatte Saakaschwili die Invasion ausgelöst, als er die von Georgien abtrünnige Region Südossetien angreifen ließ. Südossetien grenzt an Russland und wird von der russischen Regierung unterstützt.
    Für viele war die Eskalation der Höhepunkt der Fehlleistungen des Präsidenten. Prominente Politiker brachen danach mit ihm. Zum Beispiel der damalige Botschafter Georgiens bei den Vereinten Nationen, Irakli Alasania. Er reichte seinen Rücktritt ein, kehrte nach Georgien zurück und gründete mit anderen Parteien die "Allianz für Georgien", ein gemäßigtes Oppositionsbündnis. Alasania ist einer der Organisatoren der derzeitigen Massenproteste:

    "Die Situation, in der wir uns jetzt befinden, die politische und die wirtschaftliche Krise, waren vermeidbar. Die jetzige Krise ist das Ergebnis der Politik des Präsidenten in den letzten eineinhalb Jahren. Unsere Regierung ist auf russische Provokationen hereingefallen. Das hat zur Invasion und zur Besetzung von nahezu einem Drittel Georgiens geführt. Dafür muss Saakaschwili die Verantwortung übernehmen, sonst können wir diese Krise nicht überwinden."
    Doch Saakaschwili denkt bisher gar nicht daran, die Verantwortung für die August-Ereignisse zu übernehmen. Vielmehr steht er auf dem Standpunkt, er habe im August eine russische Invasion aufgehalten und Georgien verteidigt. Zurzeit untersucht eine Kommission der EU die Ursachen des Krieges im August. Ergebnisse werden im Sommer erwartet.
    Doch nicht nur der Krieg im August vergangenen Jahres hat die Menschen gegen den Präsidenten aufgebracht. Georgien befindet sich mitten im Reformprozess von einer ehemaligen Sowjetrepublik zu einer funktionierenden demokratischen und marktwirtschaftlichen Gesellschaft.
    Viele Georgier haben den radikalen Umbau des Wirtschaftssystems durch die Regierung Saakaschwili schmerzhaft zu spüren bekommen und ihre Arbeit verloren. Sie sind frustriert und verärgert. Verärgert sind auch die demokratischen Kräfte in Georgien, die einst auf die Reformen Saakaschwilis gehofft hatten. Denn er hat nach seiner Machtübernahme Medien unterdrückt, Einfluss auf Richter genommen, die Kritik Andersdenkender ignoriert.
    Und Saakaschwili soll die Parlamentswahl im Mai beeinflusst haben, aus der seine Partei, die "Nationale Bewegung für ein siegreiches Georgien", mit 80 Prozent der Sitze als überwältigender Sieger hervorging. Wahlbeobachter der OSZE haben damals eine Reihe von Unregelmäßigkeiten festgestellt.

    Die Menschen haben also viele Gründe, unzufrieden zu sein. Doch radikal sind die wenigsten. Die meisten gehen mit gemischten Gefühlen demonstrieren. Denn sie sind zwar gegen Saakaschwili, aber nicht für die Opposition. Der Bauunternehmer Alexander Sutiaschwili bringt es auf den Punkt. Er will sich hinter keine Führungsperson mehr stellen.

    "Wir brauchen einen grundlegenden Wechsel des politischen Systems. Jetzt ist alle Macht in den Händen Saakaschwilis. Seine Partei hatte mal 90 Prozent Zustimmung, und wozu hat das geführt? Wir brauchen ein Mehrparteiensystem, in dem sich die politischen Kräfte gegenseitig kontrollieren."
    Die Bevölkerung vertraut den Oppositionspolitikern allerdings ebenso wenig wie der Regierung. Denn die meisten hatten schon einmal leitende Posten in der Regierung. Das bekam auch Nino Burdschanadse bei ihrem Auftritt bei der großen Demonstration am 9. April zu spüren. Sie wurde ausgepfiffen.
    Einst hatte Burdschanadse gemeinsam mit Saakaschwili die so genannte Rosenrevolution angeführt. Dann wurde sie Parlamentspräsidentin. Vor einem Jahr trat sie zurück, nachdem ihre Vertrauten schlechte Listenplätze bei der Parlamentswahl bekommen hatten. Solange sie im Amt war, kritisierte sie Saakaschwili mit keinem Wort. Bauunternehmer Alexander Sutiaschwili:

    "All diese Leute da oben auf der Bühne: 99 Prozent der hier Versammelten wollen die nicht mehr sehen. Diese Leute wollen sich doch nur ihren Besitz sichern, den sie mit schmutzigen Geschäften erworben haben. Nino Burdschanadse war doch schon unter Schewardnadse an der Macht. Was hat sie denn gemacht, außer an ihrem Ruf zu arbeiten und Geschäfte zu machen?"
    Die Losungen der Redner ähneln einander. Sie reden von "Diktatur", von "Demagogie", von "Lügen". Sie geben sich kompromisslos und wollen erst weichen, wenn Saakaschwili zurückgetreten ist.

    Doch es gibt durchaus Georgier, die den Präsidenten noch immer bewundern, ihren "Mischa". Diese Menschen leben vor allem in der Provinz, und es sind häufig jene, die besonders unter dem Krieg im August vergangenen Jahres gelitten haben.
    Knapp eine Autostunde von Tiflis entfernt, direkt an der Autobahn, liegt die Siedlung Tserowani: Weiße und hellgrüne Häuschen, in immer gleichen Abständen, eines wie das andere - insgesamt zweitausend. Die Straßen dazwischen sind zwar noch Schotterpisten, aber die Bewohner legen bereits kleine Vorgärten an. Hier und da blühen Tulpen.
    Die Siedlung ist im Herbst letzten Jahres entstanden. In ihr wohnen Vertriebene des Südossetienkrieges. Tsitsino Jelaschwili lockert gerade den Boden auf, entfernt Steine, um Kartoffeln zu pflanzen. Auch sie wurde vertrieben, doch den Präsidenten, Micheil Saakaschwili, unterstützt sie nach wie vor.

    "Wer arbeitet, macht Fehler. Nur wer nicht arbeitet, macht keine. 30 Jahre wurde nichts im Land getan, und wie viel hat Saakaschwili in vier Jahren geschafft! Unser Haus, aus dem wir vertrieben wurden, steht noch. Trotzdem hat er sich sofort darangesetzt und innerhalb weniger Monate all den Menschen hier Unterkunft verschafft."
    Insgesamt wurden im August 2008 rund 24.000 Georgier aus Südossetien und dem zweiten abtrünnigen Gebiet, Abchasien, vertrieben. Die Häuser, in denen sie jetzt leben, wurden teils mit staatlichen, teils mit internationalen Hilfsgeldern errichtet.

    "Schauen Sie, wir sind schon komplett eingerichtet. Wir können wirklich nicht klagen. Das hier ist das Wohnzimmer, und wir haben zwei Schlafzimmer. Wir mussten für nichts bezahlen, und wir bekommen sogar Lebensmittel, Pflanzkartoffeln und Saatgut."
    Die Vertriebenen richten sich ein, doch zugleich wollen sie nichts lieber als zurück in ihre Heimat.
    Das ist allerdings nicht abzusehen. Denn Südossetien betrachtet sich als einen unabhängigen Staat. Und Russland hat Südossetien mittlerweile als solchen anerkannt und baut seine Truppenpräsenz auf südossetischem Gebiet aus. Die EU hat eine Mission entsandt, die das Geschehen im Konfliktgebiet beobachten soll. Doch nicht einmal die EU-Beobachter dürfen zurzeit nach Südossetien.
    Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien gestalten sich schwierig. Georgien hat im vergangenen August die diplomatischen Beziehungen zu Russland abgebrochen und beabsichtigt nicht, diese bald wieder aufzunehmen. Denn Russland ist für die Georgier ein Aggressor, erläutert Giorgi Kandelaki, Abgeordneter der Regierungspartei und stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im georgischen Parlament.

    "Russland hat 20 Prozent unseres Gebietes besetzt. Die russische Armee hat ethnische Säuberungen an einer wesentlichen Zahl von Georgiern und Osseten begangen. Und Russland verstößt gegen das von der EU ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen, das verlangt, dass die Konfliktparteien ihre Truppen auf die Positionen vor Kriegsbeginn zurück ziehen."
    Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat bestätigt, dass die russische Armee zusah, als Südosseten georgische Häuser plünderten und Zivilisten töteten.
    Schon vor dem Krieg hatte Russland eine Menge getan, um Georgien zu schaden. So hatte Russland eine Visapflicht für Georgier eingeführt, die Einfuhr georgischer Produkte untersagt und legal in Russland lebende Georgier ausgewiesen. Der Krieg im August und die anschließende Anerkennung Südossetiens und Abchasiens seien nur der Höhepunkt dieser Aggression gegen Georgien gewesen, meint der Abgeordnete Giorgi Kandelaki von der Regierungspartei:

    "Und zu guter Letzt sagt die russische Regierung ganz offen, dass sie die Regierung Georgiens loswerden möchte. Unter diesen Umständen ist es sehr schwer, über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu sprechen. Vielmehr sollte die internationale Gemeinschaft und die demokratische freie Welt Druck auf Russland ausüben."
    Einige Oppositionspolitiker meinen jedoch, es reiche nicht, Russland für alles Schlechte verantwortlich zu machen. Formelhaft Abchasien und Südossetien zurückzufordern, führe zu nichts.
    Einer der konstruktivsten Kritiker der georgischen Regierung ist Davit Usupaschwili von der Allianz für Georgien:

    "Georgien ist zu klein und zu schwach, um eine unabhängige Politik gegenüber Russland zu machen. All diese Äußerungen Saakaschwilis in den letzten paar Jahren, die darauf zielten, Russland zu verprellen, zu zeigen, dass er selbst ein großer Demokrat und Putin ein Diktator aus dem 19. Jahrhundert ist, oder dass die georgische Armee stärker und besser ausgerüstet ist als die veraltete russische Armee - all das muss ein Ende haben. Um Probleme zu lösen, braucht man diplomatische Beziehungen. Mit dem neuen Präsidenten in Moskau, dem neuen Präsidenten in Washington und der EU, die, ob sie will oder nicht, mehr und mehr in den Kaukasus involviert wird, glaube ich, dass der Prozess in Richtung einer Normalisierung der Beziehungen mit Russland gehen sollte."
    Diplomatische Beziehungen aufzubauen, bedeute aber nicht, dem Westen den Rücken zu kehren. Nach wir vor findet sich in Georgien keine politische Kraft, die Georgien Russland annähern möchte.
    Präsident Saakaschwili verbreitet jedoch, die Proteste der Opposition würden von Russland finanziert. Das hat er bei früheren Gelegenheiten auch schon getan. Im Zentrum dieser Behauptungen steht dieses Mal seine ehemalige Mitstreiterin, die zurückgetretene Parlamentspräsidentin, Nino Burdschanadse. Die weist jegliche Kontakte mit Russland weit von sich.

    "Ich habe keine Beziehungen nach Russland. Niemand aus der Opposition könnte Russland so viel geben, wie es Saakaschwili bereits getan hat. Saakaschwili hat Russland 20 Prozent des georgischen Territoriums geschenkt. Ihm hat es Russland zu verdanken, dass es jetzt Militärstützpunkte auf georgischem Gebiet aufbauen kann. Kein Oppositioneller nützt Russland so wie Saakaschwili."
    Doch nicht alles, was Saakaschwili in den fünf Jahren seiner Präsidentschaft auf den Weg gebracht hat, ist negativ. Unter seiner Regierung kürte die Weltbank Georgien zum "Reformland Nr. 1". Das war vor zwei Jahren. Saakaschwili hat mit der Korruption aufgeräumt und dafür gesorgt, dass Gehälter und Renten ausgezahlt werden. Der Krieg im vergangenen Jahr hat die Wirtschaft zwar zurückgeworfen, doch die Regierung behauptet, dass es bereits wieder bergauf gehe. Der Abgeordnete Giorgi Kandelaki:

    "Wir sind sehr froh, dass wir in diesem Jahr trotz allem noch ein Wirtschaftswachstum erwarten. Zwar ein sehr kleines, aber das ist außerordentlich. Wir werden unsere Wirtschaft jetzt noch weiter öffnen, noch mehr Freihandel zulassen und das Land noch attraktiver für ausländische Investoren machen. Das funktioniert."
    Ein Schwerpunkt der Wirtschaftsentwicklung der Regierung liegt in der Hafenstadt Poti.
    Ein Besuch vor Ort. Im Sumpf neben dem Hafen von Poti paaren sich Frösche und Kröten. Einige Kühe und Pferde weiden zwischen Pfützen und Müll. Im Herbst hatte sich hier die russische Armee eingegraben. Sie hat Gräben, Erdhaufen und Minen hinterlassen. Inzwischen ist das Gelände geräumt.
    Ein Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten will hier schon bald den Grundstein für die erste Freie Wirtschaftszone im gesamten Kaukasus legen. Ausländische Industriebetriebe, die sich hier ansiedeln, müssen keine oder nur niedrige Steuern zahlen. Der Stadt Poti soll das, nach Angaben der Investoren, fünf- bis siebentausend Arbeitsplätze bringen.
    Bisher haben aber erst zwei Investoren sicher zugesagt, berichtet Schalwa Beraia, der Manager des arabischen Unternehmens. Er ist dennoch optimistisch:

    "Natürlich ist es schwer, den Investoren zu versichern, dass es hier sicher ist, dass die Russen nicht noch einmal einmarschieren. Denn das ist die Hauptsorge der Interessenten. Aber wir hoffen, dass das nicht wieder passiert."
    Die Bewohner von Poti jedoch sind skeptisch. Ein Mann äußert sich, er möchte aber anonym bleiben.

    "Uns wurde schon so viel versprochen. Arbeitsplätze vor allem, aber die sehe ich bisher nicht. Im Gegenteil: Seit August sind in Poti Leute entlassen worden. Ich würde deshalb gern zu den Protesten nach Tiflis fahren. Aber wenn das bekannt wird und die jetzige Regierung sich hält, dann kann es sein, dass ich später Probleme bekomme, dass ich meine Arbeit verliere. Die Menschen hier haben Angst."
    Zurück nach Tiflis. Mittlerweile belagern die Demonstranten die Residenz des Präsidenten. Sie haben Zelte aufgeschlagen und symbolisch Käfige aufgestellt: Gefängniszellen für Saakaschwili. Kacha Kukava von der Konservativen Partei, einer der Anführer der radikalen Opposition, gibt sich kämpferisch:

    "Wir werden die Proteste bis zum Rücktritt von Präsident Saakaschwili fortsetzen. Niemand weiß, wann das sein wird, in zwei Tagen oder in zwei Wochen. Aber es steht fest, dass wir so lange ausharren werden. Wir werden uns im Rahmen der georgischen Verfassung bewegen, wir werden keine Gewalt anwenden, sondern diese Art von friedlichen Protesten fortführen: Zelte, Blockaden, Kundgebungen. Tag und Nacht. Das wird reichen."
    Die EU hat beide Seiten zum Dialog aufgefordert. Opposition und Regierung sind dazu bereit, doch wie dieser Dialog stattfinden und welche Themen dabei diskutiert werden sollen, darüber herrscht Uneinigkeit. Die Opposition will auf jeden Fall mit Saakaschwili über seinen Rücktritt reden, der aber schließt diesen kategorisch aus. Demonstrativ zeigt er sich nach Mitternacht in Tifliser Restaurants. Er spielt auf Zeit.