Susanne Luerweg: Ein wunderbarer Neger, so bezeichnete Joachim Herrmann von der CSU Roberto Blanco in einer Talkshow, Katar sein das Krebsgeschwür des modernen Fußballs sagte Ex Funktionär Theo Zwanziger und die Kollegen von der AfD wollen wir erst gar nicht mit ihrer unendlich langen Liste an unflätigen, teils menschenverachtenden Sprüchen zitieren. Allerdings erinnern wir gerne noch einmal an das Jahr 2016 als sich Heerscharen junger Menschen plötzlich mit Lyrik beschäftigten, um herauszufinden inwiefern Jan Böhmermanns Gedicht Herrn Erdogan betreffend tatsächlich Kulturgut oder doch eher fiese Schmähkritik war. All dies zusammen gefasst, kann man in dem Buch von Jan Skudlarek nachlesen. "Der Aufstieg des Mittelfingers."
Herr Skudlarek, sind die Menschen tatsächlich schlimmer geworden oder war der Mittelfinger nicht einfach immer schon da?
Jan Skudlarek: Sicherlich war er schon immer da. Aggressive oder auch demütigende Kommunikation ist sicherlich ein Teil ein des menschlichen Kommunizierens, der schon immer da war. Aber heute mit neuen technischen Mitteln die wir haben, ist es schon so, dass es so wirkt. Man kann heute einfach viel leichter Leute erreichen. Internet ist das Stichwort. Und so auch viel leichter Leute beleidigen.
"Manche Leute lassen dann im Internet die Sau raus"
Luerweg: Ist dann Donald Trump der fleischgewordene, gestreckte Mittelfinger dank Twitter?
Skudlarek: Auch ohne Twitter. Er war ja auch ohne Twitter schon ein fordernder Zeitgenosse wenn man es nett ausdrückt und Großmaul wenn man es weniger nett ausdrückt. Also er war die letzten Jahrzehnte immer schon jemand, der sehr aggressiv, sehr egoman seine Perspektive auf die Welt, seinen Blickwinkel vertreten hat. Und das auch gegen andere, und das auch gegen andere in einem aggressiven Ton. Jetzt hat er Twitter gefunden und Twitter ist natürlich für Leute wie Trump das optimale Tool, weil es einen relativ einfachen Zugang zur Öffentlichkeit bedeutet. Es gibt keinen Zwischenschritt, kein Medium, keinen Redakteur, kein Chefredakteur, der denkt, vielleicht können wir das so nicht publizieren. Nein, man veröffentlicht selber, in Eigenregie zu seinen Anhängern.
Luerweg: Aber da gibt es ja auch noch andere Tools. Ein Beispiel in ihrem Buch. Die Grünenpolitikerin Renate Künast, die zusammen mit einer Reporterin mal Menschen aufgesucht hat und plötzlich vor der Tür stand, die sie auf Facebook beleidigt haben. Und dann haben alle gesagt: 'Huch, Sie sind ja ganz nett' und 'Habe ich doch nicht so gemeint'.
Skudlarek: Also das ist vielleicht die wichtigste Trennlinie, die ich ausmachen konnte. Nämlich das "Verkörpertsein", also mit Menschen in einem Raum körperlich anwesend sein und sich gegenüber stehen, in die Augen schauen etc. versus "Entkörpertsein" habe ich es genannt, nämlich zum Beispiel im Internet dann. Weit weg sein, keinen körperlichen Zugang haben und somit vielleicht auch eine ganz andere Hemmschwelle. Also die körperliche Hemmschwelle ist eine andere als die Entkörperte. Und manche Leute lassen dann im Internet die Sau raus.
Luerweg: Und wie Sie so schön schreiben, da werden zivilisierte Menschen zu Monstern.
Skudlarek: Ja, das ist natürlich ein wenig drastisch, aber sie benehmen sich auf jeden Fall unter aller Kanone und fühlen sich auch oft dabei im Recht.
"Man kann sich als Bürger gegen Beleidigungen wehren"
Luerweg: Aber dieser gestreckte Mittelfinger im Internet, der generiert natürlich Klicks. Klicks sind die Ware unseres Zeitalters und die Aufmerksamkeitsökonomie, die will ja auch befeuert werden. Also, wie wollen wir dem jemals wieder Einhalt gebieten?
Skudlarek: Jetzt gerade gab es ja schon einen juristischen Vorstoß. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das NetzDG, das auch stark in der Kritik steht. Seine Gegner sagen, es würde Meinungsfreiheit beschneiden und freien Ausdruck hemmen, weil es die Plattform dazu anhält gegen so aggressives und diffamierendes und eben auch justiziables Gerede vorzugehen. Es ist nämlich so, dass wir ein Gesetz dagegen haben. Man kann sich als Bürger gegen Beleidigungen wehren. Man kann sich im Sinne seiner Ehre einen Anwalt suchen und jemanden anzeigen bei der Staatsanwaltschaft wegen Beleidigungen oder auch wegen Volksverhetzung. Das ist auch ein wichtiger Punkt, der heutzutage im Netz oft auftaucht.
Und es ist schon so, denke ich, dass die Plattformen animieren müssen etwas zu tun, denn der Tonfall ist hier und da doch sehr toxisch geworden und eine sehr, sehr laute Minderheit kontaminiert die ganze Stimmung und das ganze Gesprächsklima für die gesamte Mehrheit.
Luerweg: Liegt es nicht vielleicht auch daran, um mal den scheidenden Bundestagspräsidenten Norbert Lammert zu zitieren, dass wir einfach nicht mehr genug debattieren? Und im Grunde genommen ständig die Sacheben verlassen, um auf der Beziehungsebene ganz persönlich zu werden.
Skudlarek: So scheint es zu sein. Also das ist auf jeden Fall effektvoller und man greift schneller zu aggressiven Registern, zeigt jemandem den Mittelfinger im übertragenen Sinne, statt sich sachlich mit jemandem auseinanderzusetzen. Das kostet ja auch Mühe. Sachliche Diskussion braucht ja auch Sachkenntnis. Man muss sich auskennen, man muss sich mit einer Sache beschäftigt haben. Jemandem ein 'Fick Dich' oder was auch immer entgegenzuschleudern oder 'Du hast ja keine Ahnung, Du Arsch'. Das passiert dauernd und kostet eben wenig. Und das tun Leute untereinander privat und eben auch als Endkonsument gegenüber Personen der Öffentlichkeit, wie Politikern. Und das erleben wir Tag für Tag bei Twitter, bei Facebook, bei solchen Plattformen. Und es ist nicht verkehrt, dass wir da jetzt vielleicht gegensteuern wollen.
"Die Kunstwelt ist eine eigene Sphäre"
Luerweg: Aber was ist mit der Kunstfreiheit, wenn wir jetzt noch mal an das Gedicht von Jan Böhmermann denken. Also wir müssen ja auch ein bisschen aufpassen, wo wir die Trennlinien ziehen, um die Demokratie nicht letztendlich auszuhöhlen und zu sagen: 'Das darfst du alles nicht'.
Skudlarek: Absolut. Ich bin ja selber als Schriftsteller auch Künstler und sehe mich ganz klar im Sinne der Kunst- und der Meinungsfreiheit. Beides ist ein sehr hohes Gut, das ich keineswegs im engeren Sinne gefährdet sehe. Die Kunstwelt und was wir künstlerisch tun ist noch mal eine eigene Sphäre, sowohl philosophisch, als auch juristisch. Und so wird sie auch von den Gerichten behandelt.
Wir konnten das sehen am Werk von Böhmermann oder auch an anderen Fällen, wie zum Beispiel den wo eine populistische Politikerin in einer Satire-Sendung "Nazi-Schlampe" genannt wurde. Das ist dann laut gerichtlicher Begründung letztendlich doch noch in den Satirekontext gefallen, weil es eben in Anführungsstrichen nicht normale Kommunikation war. Weil es keine einfache in Anführungsstrichen Beleidigung war, sondern eben dieser Kunstkontext, der alles in einen anderen Rahmen setzt.
Luerweg: Also der Kontext ist entscheidend.
Skudlarek: Immer. Das vertrete ich auch in meinem Buch und das sicherlich das wichtigste beim Verständnis von Beleidigungen, Man muss schauen was passiert vorher, was passiert da, was danach. Wer redet mit wem, was sind die Motive. Was ist die Situation. Deswegen kann man nicht, so wie es heutzutage auch gerne geschieht, einfach sagen: 'Ja, aber wieso darf ich das denn jetzt nicht sagen. Vor drei Jahren hat das Y doch auch so gesagt.' Da muss man dann schauen: 'Ja das kann vielleicht sein, dass Menschen ähnliche Wörter benutzen, aber Wörter wirken anders je nach Kontext und der Ton macht die Musik.' Es kommt wirklich darauf an wie man es sagt. Wer man ist. Das spielt tatsächlich eine Rolle, obwohl wir alle die gleichen Rechte haben, grundsätzlich alle die gleiche Behandlung verdienen ist das nicht auszublenden.
Luerweg: Der Autor Jan Skudlarek über die Verrohung der Sitten und sein Buch "Der Aufstieg des Mittelfingers". Das Buch ist im Rowohlt-Verlag erschienen. Danke für das Gespräch.
Skudlarek: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jan Skudlarek: "Der Aufstieg des Mittelfingers"
Rowohlt-Verlag, Hamburg 2017. 256 Seiten, 9,99 Euro.
Rowohlt-Verlag, Hamburg 2017. 256 Seiten, 9,99 Euro.