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Sachbücher über Polarforschung
Expeditionen ins Eis - gestern und heute

Wie fühlt es sich an, bei klirrender Kälte, vom Eis umschlossen in tiefster Dunkelheit festzusitzen? Was treibt Polarforscher an, die unwirtlichen Regionen am Nord- und Südpol zu erkunden? Welche Eindrücke und Erkenntnisgewinne wiegen die enormen Risiken ihrer Abenteuer auf? Drei aktuelle Sachbücher liefern Antworten.

Ralf Krauter im Gespräch mit Dagmar Röhrlich und Michael Lange |
Die Spitze eines Gletschers mit Blauem Eis, aufgenommen am im Kongsfjord bei Ny-Ålesund auf Spitzbergen (Norwegen) vom Flugzeug aus.
Die Spitze eines Gletschers, aufgenommen am im Kongsfjord bei Ny-Ålesund auf Spitzbergen in Norwegen. (dpa / Jens Büttner)
Mitte Oktober ging die aufwendigste Arktis-Expedition aller Zeiten zu Ende. An Bord des deutschen Forschungseisbrechers ‚Polarstern‘ waren Hunderte Wissenschaftler monatelang vom Packeis eingeschlossen durchs Nordpolarmeer gedriftet. Das historische Vorbild ihrer Mission MOSAiC: Die legendäre Expedition des norwegischen Polarforschers Fridtjof Nansen vor 125 Jahren, dessen Crew drei Jahre in der Arktis verbrachte.
In "Eingefroren am Nordpol" schildert MOSAiC-Expeditionsleiter Markus Rex seine Erlebnisse an Bord der ‚Polarstern‘. Die Tagebuchaufzeichnungen Fridtjof Nansens mit dem Titel "In Nacht und Eis" rufen den dramatischen Überlebenskampf seiner Mannschaft von 1893-1896 eindrücklich ins Gedächtnis. Und die österreichische Ärztin Carmen Possnig beschreibt in ihrem Reisebericht "Südlich vom Ende der Welt", was ihr während eines einjährigen Aufenthalts in einer Forschungsstation in der Antarktis widerfahren ist.
Die Cover der Bücher von Markus Rex "Eingefroren am Nordpol", Fridtjof Nansen "In Nacht und Eis: Die norwegische Polarexpedition 1893-1896" und Carmen Possnig "Südlich vom Ende der Welt".
Die besprochenen Bücher: "Eingefroren am Nordpol", "In Nacht und Eis" und "Südlich vom Ende der Welt". (Ralf Krauter, Deutschlandradio)
Markus Rex: Eingefroren am Nordpol
Eine Rezension von Dagmar Röhrlich
Als die Fram am 24. Juni 1893 Christiana verließ, das heutige Oslo, ging es darum, den Nordpol zu erreichen, zu beweisen, dass es eine transpolare Eisdrift gibt und zu schauen, ob sich dort unbekanntes Land verbirgt. Es war eine Expedition am Rande des damals Machbaren, ein sehr ambitioniertes Unterfangen. Beides gilt auch für die MOSAiC-Expedition mehr als 120 Jahre später. Ihr Ziel: das "komplexe Räderwerk" des arktischen Klimageschehens besser zu verstehen. Schließlich ist die Arktis "das Epizentrum des Klimawandels", wie Buchautor Markus Rex schreibt.
Der Potsdamer Atmosphärenphysiker Markus Rex war der Leiter der einjährigen Expedition, bei der die Polarstern während der arktischen Winternacht monatelang an "ihrer" Heimateisscholle festgefroren war. Sein Bericht "Eingefroren am Nordpol" beschreibt eindringlich und mitreißend die bislang größte Arktisexpedition überhaupt: die Schönheit der Polarnacht, die Forschungsarbeit, das Leben an Bord und nicht zuletzt auch die Begegnungen mit den Eisbären. Auch SARS-CoV-2 taucht auf: Das Virus hätte fast das Ende der Expedition bedeutet.
Ein Eisberg in Süd-West-Grönland im August 2014.
Klimawandel - Arktis-Eis schmilzt immer schneller
Gigantische Eismassen werden in den nächsten Jahrzehnten abschmelzen und damit den Meeresspiegel anheben. Dabei könnte der Beitrag grönländischer Gletscher drei- bis viermal so hoch ausfallen wie angenommen, sagte Ingo Sasgen im Dlf.
Schollenrisse und neugierige Eisbären
Die Forscher an Bord der Polarstern waren die Ersten, die während der Polarnacht von Bord eines Schiffs aus so nah am Nordpol moderne Wissenschaft betrieben. Sie errichteten auf "ihrer" Eisscholle mehrere "Städte", etwa Met City für die Meteorologen, Ocean City für die Ozeanografen oder Balloon Town für den Betrieb des Fesselballons. Dutzende Messstationen wurden so über das Eis verteilt – und mussten immer wieder gerettet werden, wenn die Scholle wieder einmal riss. Oder wenn die Eisbären zu neugierig wurden: Dann halfen Stolperdraht und Leuchtraketen. Im Übrigen waren ständig bewaffnete Patrouillen unterwegs, um die Mannschaft zu schützen. Und zum Glück kamen weder Menschen noch Eisbären zu Schaden – auch dass ein großer Fortschritt gegenüber der Frühzeit der Arktisexpeditionen.
Markus Rex Enthusiasmus steckt beim Lesen des Buchs einfach an. Geschickt verbindet er sachliche Eintragungen in sein Logbuch mit persönlichen Erlebnissen, Abenteuern und der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Etwa wenn er zu Beginn der Reise die Polarlichter beschreibt und erklärt, warum sie wahrscheinlich in der langen Winternacht nicht allzu viele davon sehen werden: Er erzählt, wie er das Himmelsspektakel vom Peildeck aus verfolgt, davon, wie er es auf Spitzbergen zum ersten Mal sah und um es alleine zu genießen die Forschungsstation verließ – der Eisbären zum Trotz. Und eingeschaltet in diese Erzählung erfährt Leser viel über die Entstehung des Phänomens, die Wanderung des magnetischen Nordpols und was die elfjährigen Zyklen des Sonnenwinds damit zu tun haben.
Die Schönheit der Arktis
"Eingefroren am Nordpol" ist als Expeditionsbericht nicht weniger spannend als die vergangener Jahrhunderte, auch wenn Wissenschaft und Technik heute vieles erleichtern. Deshalb kann dieses Buch auch etwas verdeutlichen, was früher in den Beschreibungen des Überlebenskampfes unterging: die Schönheit der Arktis, einer Landschaft, die einen nie wieder loslässt. Und die bedroht ist – durch den Menschen. Und so bleibt nur zu hoffen, dass die Erkenntnisse aus der MOSAiC-Expedition Grundlage werden, um richtigen politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen im Kampf gegen den Klimawandel zu treffen.
Eingefroren am Nordpol
Das Logbuch von der »Polarstern«.
Die größte Arktisexpedition aller Zeiten
Von Markus Rex
Bertelsmann Verlag, 320 Seiten, 28 Euro
Tauender Permafrost im norwegischen Spitzbergen
Tauender Permafrost - Erderwärmung um 3 Grad
Einer neuen Klimastudie zufolge, steuern wir unaufhaltsam auf eine drei Grad wärmere Welt zu. Der Grund: Tauender Permafrost beschleunigt den Klimawandel – egal wie stark wir die Treibhausgasemissionen jetzt noch reduzieren.
Fridtjof Nansen: In Nacht und Eis. Die norwegische Polarexpedition 1893-1896
Eine Rezension von Dagmar Röhrlich
Das Buch ist ein Klassiker: "In Nacht und Eis" von Fridtjof Nansen. Nun ist dieser Bericht über die historische Vorlage zur MOSAiC-Expedition in vierter Auflage wieder aufgelegt worden. Was für ein Unterschied: Heute ein faszinierendes Hightech-Unternehmen, ein internationales Projekt, an dem 20 Nationen und - neben der Polarstern, noch sechs weitere Eisbrecher und Forschungsschiffe beteiligt waren. Damals – die Fram, ein Holzschiff, speziell konstruiert, damit das Eis es nicht zerdrückt, ein Dreimastschoner, verstärkt mit einer Dampfmaschine.
1893 war es ein ungeheures Wagnis, sich im Packeis einfrieren zu lassen: Zu viele Schiffe waren schon von den mächtigen Eisschollen zerquetscht worden. Und es war eine Zeitungsnotiz über ein solches zerquetschtes Schiff, die Nansen auf die Idee zu seiner Expedition brachte: Die Jeannette war vor Sibirien gesunken und ihre Trümmer an der Südwestküste Grönlands angespült worden. Sie musste also quer durchs Polarmeer getrieben sein. Und diese Strömung müsste für Forschungszwecke zu nutzen sein – und um vielleicht den Nordpol zu erreichen, wenn man sich ihr nur überließ und mit ihr statt gegen sie arbeitete.
Eine größtenteils erfolgreiche Expedition
So begann im Oktober 1893 die Eisdrift der Fram und der 13 Männer an Bord. Die Expedition war in vielen Punkten erfolgreich. So konnten nicht nur nachgewiesen werden, dass die transpolare Drift tatsächlich existiert, sondern auch, dass sich am Nordpol kein unbekanntes Land verbarg: Unter dem Packeis war nichts als Tiefsee. Nur den Pol konnte sie nicht erreichen. Und deshalb packte Nansen die Ungeduld. Er versuchte zusammen mit dem Hundeführer Fredrik Hjalmar Johansen das Ziel zu Fuß zu erreichen. Sie kamen weit, mussten jedoch 400 Kilometer vor dem Ziel umkehren und sich auf den sehr gefährlichen Rückweg zum Archipel Franz-Joseph-Land machen. Doch sie überlebten – und auch die Fram und ihre Besatzung kamen glücklich zurück.
Fridtjof Nansen gab nach seiner Rückkehr einen zweibändigen Bericht heraus. Die Neuauflage von Detlef Brennecke in der Edition Erdmann beruht auf einer gekürzten Fassung ohne den wissenschaftlichen Teil, der ist nur rudimentär vertreten. Geblieben ist eine höchst spannende Erzählung, die sich vor allem darum dreht, welche Entbehrungen Menschen auf sich nehmen, um ein Ziel zu erreichen, das Auf und Ab ihrer Stimmungen, depressive und euphorische Phasen – aber auch eine äußerst abstoßende Grausamkeit gegenüber den Tieren, namentlich den Schlittenhunden.
Dass der wissenschaftliche Teil fehlt, dagegen hätte Nansen wohl nicht viel gehabt, denn er hat nie verhehlt, dass es ihm vor allem um das Abenteuer gegangen war, darum den Pol zu erreichen. Wer sich dafür interessiert, was es damals eigentlich hieß, Forschung zu betreiben und wie mühsam es war, die Ergebnisse zu erzielen, die heute durch die moderne Technik kein Problem mehr sind, dem sei empfohlen, im Internet die digitale Ausgabe des vollständigen, übersetzten und bebilderten Berichts bei der Edition Gutenberg online zu lesen.
In Nacht und Eis: Die norwegische Polarexpedition 1893–1896
Von Fridtjof Nansen, Herausgeber Detlef Brennecke
Verlagshaus Römerweg, 320 Seiten, 24 Euro
Das auf einer Eisscholle eingefrorene Forschungs-Schiff "Polarstern" drifttet ein Jahr lang durch das Nordpolarmeer.
Ende der MOSAIC-Mission - Die Polarstern ist zurück aus der Arktis
Die größte Arktis-Expedition aller Zeiten ist zu Ende: Die Crew des Forschungseisbrechers ‚Polarstern‘ hatte sich monatelang im Packeis einfrieren lassen, um auf den Spuren Fridtjof Nansens übers Nordpolarmeer zu driften.
Carmen Possnig: Südlich vom Ende der Welt
Eine Rezension von Michael Lange
Monotone Eismassen, extreme Minustemperaturen und monatelange Dunkelheit. Für die meisten Menschen ist die Antarktis kein Traumziel. Carmen Possnig aus Österreich sieht das anders. Sie sucht die Abgeschiedenheit am Rand der Welt ebenso wie die Herausforderungen einer Überwinterung in einem Land, in dem sich die Sonne viele Monate nicht blicken lässt.
Die junge Ärztin hat sich für ein Forschungsprogramm der europäischen Weltraumorganisation beworben und darf die Reise in den Süden antreten. Schließlich erreicht sie die Forschungsstation Concordia, zwei turmartige Gebäude mitten auf dem Festland der Ostantarktis. In acht langen Wintermonaten ist sie gemeinsam mit 12 weiteren "Überwinterern" von der Außenwelt abgeschnitten. Staunend, aber ohne Pathos gelingt es ihr, die kalte Einöde um sie herum zu beschreiben. Neugierig nimmt sie alles in sich auf.
Das Leben in einer Antarktistation gestern und heute
Anschaulich und lebendig schreibt sie über den Ablauf ihrer medizinischen Experimente und weitere wissenschaftliche Projekte, die innerhalb und außerhalb der Station stattfinden, ohne in die Details zu gehen. Als Neuling in der Antarktis versteht sie selbst nur ansatzweise, was in den zahlreichen Forschungsprojekten abläuft. Vieles ist Routine geworden in Jahrzehnten Antarktisforschung. Vor gut hundert Jahren war das noch anders. Als die ersten Pioniere in die Antarktis vordrangen, wusste niemand, wer lebend zurückkehren würde. Immer wieder vergleicht Carmen Possnig in kleinen Rückblicken die Abenteuer der Pioniere wie Scott oder Shackleton mit dem Leben in einer Antarktisstation von heute.
Kein Expeditionsbericht, sondern persönliche Erlebnisse
Im Mittelpunkt aber steht der Alltag in der Station, das tägliche Miteinander der zusammengewürfelten Truppe aus nur zwei Frauen und 11 Männern. Außer der Autorin stammen alle "Überwinterer" aus Frankreich oder Italien. Niemand kann dem anderen aus dem Wege gehen. Immer wieder brechen Konflikte auf, die in der Isolation langsamer heilen als sonst. Carmen Possnig schaut ganz genau hin. Mit treffenden Worten beschreibt sie die verschiedenen Charaktere, ihre Marotten und Eigenheiten, bleibt aber diskret.
"Südlich vom Ende der Welt" ist kein Expeditionsbericht. Das Buch beschreibt persönliche Erfahrungen und Erlebnisse. Dabei gelingt es der Autorin, nicht nur ihre Beobachtungen, auch ihre Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. So entsteht beim Lesen Eindruck, dabei zu sein, bei einem der letzten Abenteuer der Menschheit.
Südlich vom Ende der Welt
Mein Jahr in der Antarktis
Von Carmen Possnig
Ludwig-Verlag, 304 Seiten, 22 Euro
Außerdem empfiehlt das Sachbuch-Trio folgende Bücher:
Licht im Dunkeln - Schwarze Löcher, das Universum und wir
Von Heino Falcke und Jörg Römer
Klett-Cotta-Verlag, 377 Seiten, 24 Euro

Der Astrophysiker Heino Falcke hat einen jahrzehntelangen Traum verwirklicht. Mit einem weltumspannenden Verbund von Radioteleskopen gelang es ihm gemeinsam mit Kollegen, den Ereignishorizont eines kosmischen Massemonsters sichtbar zu machen. Das erste Bild von einem Schwarzen Loch machte 2019 weltweit Furore. In seinem sehr persönlich gefärbten Erlebnisbericht "Licht im Dunkeln: Schwarze Löcher, das Universum und wir" schildert der Professor von der Radboud-Universität Nimwegen was ihn antreibt und wie steinig und aufregend der Weg zum Durchbruch war.
Dlf-Rezensent Ralf Krauter urteilt: "Ein toller, sehr persönlich gefärbter Erlebnisbericht über einen Meilenstein der Astronomie. Das Buch kommt mit Blick auf den diesjährigen Physiknobelpreis für den Max-Planck-Direktor Reinhard Genzel und zwei weitere Jäger Schwarzer Löcher genau zur rechten Zeit. Perfekte Lektüre für alle, die mehr über die massivsten und rätselhaftesten Objekte im Kosmos wissen wollen." (Ralf Krauter)
Die erste Reise um die Welt. An Bord mit Magellan
Von Antonio Pigafette
Erstmals vollständig übersetzt und kommentiert von Christian Jostmann
WBG Edition, 238 Seiten, 28 Euro

Im August 1519 legten im Hafen von Sevilla im Auftrag des spanischen Königs fünf Schiffe ab. Sie standen unter dem Kommando des portugiesischen Generalkapitäns Fernando Magellan. Der Auftrag: den westlichen Seeweg zu den Molukken zu finden. Schließlich wurden die Gewürze von dort mit Gold aufgewogen. Was niemand ahnte: Aus der Expedition sollte die erste Weltumsegelung werden. Bei der wissenschaftlichen Buchgesellschaft ist nun erstmals der vollständig übersetzte und von dem Historiker Christian Jostmann kommentierte Reisebericht des Zeitzeugen Antonio Pigafetta erschienen. Der handelt nicht nur von den Abenteuern und Gefahren, sondern auch von der Fauna und Flora an Land und den Gebräuchen und Sprachen der Menschen. Das Buch ist ein interessantes Zeugnis aus einer Zeit, als die ersten Schritte einer frühem "Globalisierung" unternommen wurden. Sehr lesenwert. (Dagmar Röhrlich)
Bücher, die die Welt veränderten
Die bedeutendsten Werke der Naturwissenschaften von Archimedes bis Stephen Hawking
Von Brian Clegg
Haupt-Verlag, 272 Seiten, 36.00 Euro

Schreiben überwindet Zeit und Raum. Während Könige ihre Macht mit Reichtum und Armeen erobern oder festigen, basiert die Macht der Wissenschaft auf dem geschriebenen Wort. Nur so konnten Gelehrte auf den Kenntnissen früher Generationen aufbauen. Kenntnisreich und mit vielen Beispielen beschreibt der Sachbuchautor Brian Clegg, wie sich die Bedeutung von naturwissenschaftlichen Schriften entwickelte und im Laufe der Jahrhunderte veränderte. Das beginnt mit geritzten Strichlisten auf Knochen und endet mit populären Sachbüchern, die Entwicklungen der Wissenschaft kritisch unter die Lupe nehmen. Und dazwischen erläutert Clegg die großen Werke der Wissenschaftsliteratur von Aristoteles und Archimedes über Darwin und Einstein zu Rachel Carson und Stephen Hawking. Ein Buch zum Stöbern mit zahlreichen farbigen Abbildungen. (Michael Lange)