Wind faucht über den See, draußen sind ein paar Surfer unterwegs, am Uferweg laufen Jogger, Vögel zwitschern. Pure Idylle am Großen Goitzsche-See. Ein einstiges Tagebauloch, Teil einer Gewässerlandschaft zwischen Leipzig und Bitterfeld. Doch mit der Ruhe könnte es bald vorbei sein. Denn unter der Wasseroberfläche, im tiefem Grund des Sees sollen nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 500 und 900 Tonnen des so beliebten Bernsteins lagern, das jetzt ein Unternehmen aus Rheinland-Pfalz fördern will. Erste Probebohrungen gab es bereits.
"Das Problem ist der feste Schluff, da müssen wir sehen, dass wir den mit Hydrotechnik abarbeiten und dann mit dem Airlift nach oben holen."
Die Augen leuchten bei dem Mit-Fünfziger Hans Werner Müller. Wenn nur nicht der Schluff, die zwei Meter dicke Schlammschicht wäre, unter der sich das Bernstein verbirgt. Müller ist der Geschäftsführer der Eurasia Amber GmbH aus Idar-Oberstein. Mit einer Art Riesenstaubsauger hat er Fingerkuppen- bis faustgroße Bernsteine in verschiedenen Ockertönen aus 70 Meter Tiefe nach oben gefördert.
"Man kann kleine Anhänger machen, man kann kleine Kettchen machen. Da gibt es ganz, ganz viele Variationen."
Bernstein in urzeitlichen Wäldern
Seit ca. 23 Millionen Jahren lagert der Bernstein in der Gegend um Bitterfeld. Einst befanden sich hier urzeitliche Wälder.
"Bernstein ist das fossile Harz von prähistorischen Bäumen."
Erklärt der aus Kiel stammende Uwe Holz. Archäologe und Direktor des Bitterfelder Heimat-Museums, wo im Keller viele der Bernsteinschätze lagern.
"Und es ist so erhalten geblieben, weil dieses Harz, sehr schnell ins Wasser gekommen ist – im Prinzip unter Luftabschluss - und einfach nicht verrottet ist."
Begonnen hat August der Starke mit der Förderung. Später hat die DDR - das ist die Story schlechthin - das Bernstein richtig industriemäßig abgebaut. Rund 30 Tonnen jährlich. An der Ostsee wurde er dann als Bernsteinschmuck verkauft, das er allerdings aus Bitterfeld kam, das wussten damals nur die Wenigsten. 1993 wurde die Förderung eingestellt.
Tourismus soll angekurbelt werden
Eine Idee, an die man sich erinnert, um die Goitzsche, als den weltweit einzigen Bernstein-See zu vermarkten. Um Touristen in die Bitterfelder Gegend zu locken, die die meisten Menschen noch als dreckigste Region Europas im Kopf haben. Die Rede ist von 500.000 Menschen, die kommen könnten, so der 45jährige Bitterfelder CDU-Landtagsabgeordnete Lars-Jörn Zimmer. Er ist zugleich der Vorsitzende des Tourismusverbandes Sachsen-Anhalt.
"Mit dem Bernstein muss es uns gelingen, die Tourismus-Intensität zu erhöhen, die Leute zum Wiederkommen zu animieren. Das ist die große Kunst vor der wir stehen und das ist die große Aufgabe."
Doch es gibt auch große Bedenken gegen die Pläne eines möglichen Bitterfelder Bernstein-Förder-Rausches. Nicht nur, weil mit einer Art Mini-Bohrinsel die Ruhe gestört, das Wasser aufgewühlt, der See dreckig würde; sondern weil man auch nicht weiß, wie sich der Grund der Bergbaufolgelandschaft verhält. Denn durch die Bohr-Erschütterungen könnten Ufer-Böschungen abrutschen, könnten Erdrutsche ausgelöst werden, so Lars-Jörn Zimmer, weshalb er als erstes alle Risiken abgeklärt haben will..
"Sollte es da irgendwo, nur das eine Quäntchen Zweifel geben, kann dort nicht abgebaut, gebohrt, geschippt oder geschabt werden."
Schätzungen, wonach 2017 mit der Förderung begonnen werden könne, seien völlig illusorisch. Sagt zumindest der Bitterfelder Lars Jörn Zimmer.
"Also hier wollen wir etwas schaffen, was ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal ist. Aus der Region heraus und nicht für die Region aufgesetzt."
Besitzer der Bitterfelder Goitzsche ist nicht etwa die Kommune, sondern der Pharmahersteller Merckle, der den See 2013 für 2,9 Millionen Euro gekauft hat. Um den See zu vermarkten, um eine Rendite zu machen, komme der Bernstein gerade recht, ist hinter vorgehaltener Hand zu hören. Verwalter Ingo Jung, der in der Gegend durch sein bisweilen selbstherrliches Auftreten als Goitzsche-Graf bezeichnet wird, war nicht bereit über die Risiken, die Folgen der Bernsteinförderung zu sprechen, ein Interview lies er kurzerhand platzen. Auch wer nun die Förderlizenzen bekommen werde, dazu wollte er nichts sagen.
Anwohner und Nachbarn reagieren darauf zuweilen irritiert.
"Inzwischen gibt es viele Bergbauseen. Und jeder muss zusehen was er draus macht. Wenn man hier mal mit dem Bernstein mal anfängt, gut. Werden kaum Arbeitsplätze entstehen, eher hobbymäßig. Darf nicht stören."
In sozialen Netzwerken diskutiert man bereits die Ansprüche ehemaliger Grundstücksbesitzer. Dessen Grund und Boden zu DDR-Zeiten zugunsten der Braunkohle weggebaggert wurde, dessen Grundstücke, die jetzt auf dem Grund des Goitzsche-Sees liegen - heute aber - durch den Bernstein - um ein Vielfaches mehr wert wären.