Straßenbahn-Fahren wie früher. In Naumburg im südlichen Sachsen-Anhalt ist es möglich. Und ein echtes Erlebnis. Jedes Mal wenn ich in Naumburg bin, gehört eine Fahrt mit der Oldtimer-Straßenbahn dazu. Ist ein Muss, ein echter Hit.
Es quietscht, ruckelt und zuckelt. Die Sitz-Bänke der alten Triebwagen sind aus hartem Holz. Die Fahrscheine werden vom Fahrer verkauft, der sie auch altmodisch knipst. Man fühlt sich fast wie in einer Filmkulisse. Nur: In Naumburg ist das der ganz normale öffentliche Nahverkehr.
Fahrer: Ich sage mal, man kennt fast jeden Fahrgast…
Autor: Und die fährt noch. Alles analog hier?
Fahrer: Das hier ist alles mechanisch, Sie hören es ja. Alte Technik.
Autor: Und die funktioniert…
Fahrer: Selbstverständlich. Ich sage immer, ein Tröpfchen Öl an die richtige Stelle und die läuft noch weitere hundert Jahre…
Das Cockpit ist aus der Zeit gefallen: Neben Kippschaltern, bunten Lämpchen, gibt es eine massive schwarze Drehkurbel, mit der man Gas gibt und bremst. Straßenbahn-Fahrer Mario Wiesner ist stolz, nennt es Straßenbahn fahren wie früher.
Andreas Messerli, einer von zwei Geschäftsführern der Naumburger Straßenbahn, nickt: "Man kann bei uns nicht in die Straßenbahn einsteigen ohne ein Wort zu sagen. Der Fahrer begrüßt einen nämlich, fragt nach dem Fahrschein. Und wenn man keinen hat, dann kauft man ihn nicht am Automaten, wo man mühsam erst das System verstehen muss, sondern man spricht mit dem Fahrer."
Die Straßenbahn-Wagen stammen aus den 1950er- bis 1970er-Jahren. Seit Juli fährt auch ein Straßenbahn-Wagen von 1928 im Linienverkehr. Man fühlt sich direkt in die 1930er-Jahre versetzt, in die Zeit von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz".
Bahn-Chef Andreas Plehn ist glücklich, heute die alte Bahn fahren zu dürfen: "Es ist nicht so häufig, er wird im Monat einmal eingesetzt. Da trifft es jeden Fahrer mal. Da ist es schon eine Ehre, dass man so einen alten Wagen mal fahren darf."
Der Einstieg ist etwas mühselig, man muss mehrere Stufen erklimmen. Dann Klinke drücken und Tür aufschieben. Die Renovierung des alten Triebwagens Nummer 17 - des sogenannten "Lindner"-Wagens - hat 18 Jahre gedauert.
Kleinster Straßenbahnbetrieb Deutschlands
"So bitte alle mal einsteigen….." Mit einer einzigen Linie von gerademal knapp drei Kilometern ist die Naumburger Tram, der kleinste Straßenbahnbetrieb Deutschlands. "Ich sage mal, das sind wenigstens noch richtige Straßenbahnen. Die kann man anfassen, da kann man was bewegen. Richtige Handarbeit. Die modernen Straßenbahnen sind ja so ausgerüstet, da müssen sie ja nichts mehr selber machen. Da sitzen sie da, müssen nichts machen. Und die Fahrer werden immer dicker…."
Das Besondere daran: Das Streckennetz haben die Naumburger Bürger mit 100.000 Euro zum beträchtlichen Teil selbst gezahlt, erzählt Andreas Messerli.
Vorher war er bei der Schweizerischen Bundesbahn. Jetzt gilt er als der Retter eines Straßenbahn-Traums, der historischen Naumburger Straßenbahn, 1991hatte man sie bereits stillgelegt. Seit 2007 fährt sie wieder: "Nostalgiker kommen hier voll auf ihre Kosten. Das passt ja auch zur Stadt. Auch das Stadtbild ist aus Renaissance- und Barock-Zeiten. Der Marktplatz ist ja einer der Schönsten in Mitteldeutschland. Und da passen die historischen Wagen gut dazu."
Auch finanziell passt alles. Im ersten Halbjahr 2018 gab es einen neuen Fahrgast-Rekord. 85.000 Fahrgäste hat die Bahn bis Ende Juni bereits befördert, eine Steigerung um 20 Prozent zum Vorjahr. Und die Tendenz ist steigend, zumal der Naumburger Dom seit neuestem UNESCO-Weltkulturerbe ist und noch mehr Touristen in die Stadt locken wird. "Tolles Massenverkehrsmittel. Umweltfreundlich. Dass sehr viele Menschen gleichzeitig von A nach B bringen kann."
Es ist ein echtes Vergnügen, sich ruckelnd und zuckelnd durch die engen Straßen Naumburgs fahren zu lassen. Vielleicht auch ein Grund, warum man der Tram irgendwann den Spitznamen Wilde Zicke gegeben hat.
Also: Wer nach Naumburg fährt, nicht nur den Dom, die wunderschöne Stifterfigur Uta bestaunen, nicht nur das Wohnhaus von Nietzsche besuchen. Sondern auch die Straßenbahn. Ist wie früher, nur dass die Leute keine Hüte mehr tragen.
Und wenn man dann drin sitzt, meine Empfehlung: Kurz die Augen schließen. Versprochen: Der Kopf-Film kommt ganz von selbst.