"Herzlich willkommen hier in Bitterfeld-Wolfen, wie fühlt es sich für Sie an, hier zu sein?"
"Ich freu mich natürlich."
Für CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel war der kürzliche Ausflug nach Bitterfeld wohl einer der etwas schwierigeren Wahlkampfauftritte. Gilt doch Bitterfeld als AfD-Hochburg. Bereits vorab hatte der AfD Kreisverband Anhalt-Bitterfeld zu massiven Protesten gegen den Auftritt der Kanzlerin aufgerufen. AfD-Anhänger halten Pappbuchstaben - die zusammen den Schriftzug "MERKEL MUSS WEG" ergeben - in die Bitterfelder Luft.
Unter den lautstarken Protestierern ist auch der Bitterfelder AfD-Landtagsabgeordnete Volker Olenicak. 2016 erhielt er 33,4 Prozent der Stimmen und lies die CDU weit hinter sich.
"Ich bin Bitterfelder, ich bin hier geboren, hab hier schon als Kind gespielt. Das ist meine Heimat. Ich bin halt der Meinung, dass wir Deutsche hier in unserem Land um unseren Wohlstand gebracht werden durch solche Leute wie die Frau Kanzlerin."
Man fühlt sich vergessen
Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Früher war es in Bitterfeld nur diesig, neblig, grau. Sie galt mal als die dreckigste Stadt Europas. Davon ist nichts mehr zu sehen, ja nicht mal zu ahnen. Dennoch: Von Aufbruchstimmung ist 27 Jahre nach dem Mauerfall in Bitterfeld-Wolfen wenig zu spüren.
"Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet und gehe mit 550 Euro Rente nach Hause. Da muss ich schon sagen, da kann doch etwas nicht stimmen."
Heidi Schuetz ist 68, steht vor einem China-Laden, der billige Klamotten verkauft. Er befindet sich in der Burgstraße, so etwas wie die Haupteinkaufstraße von Bitterfeld, die auf den meist menschenleeren Marktplatz mündet.
"Also mir ging's zu DDR-Zeiten echt besser, das muss ich echt sagen."
Eine ganze Generation entlassener Industriearbeiter sieht sich bis heute um ihre persönliche Lebensleistung gebracht. Rechts - nein, das sei man nicht, sagen die Leute in Bitterfeld. Und schütteln energisch den Kopf. Man fühle sich vergessen. Horst Kühn hat sein Leben lang in der Filmfabrik Wolfen gearbeitet. Er kenne die psychischen Verwüstungen, sagt er. Als 1990 binnen kürzester Zeit, auf einen Schlag, zehntausende Menschen arbeitslos wurden.
"Einfach von heute auf morgen wurden sie rausgeschmissen. Für die Menschen gibt es dann diese unterbrochenen Biografien, die sich dann auswirken in der Rente und all den Dingen, woran sie heute zu knappen haben."
Gründe, warum die Menschen in der Region Bitterfeld-Wolfen wohl große Sympathien für die Rechtspopulisten von der AfD hegen, vermutet Chemie-Ingenieur Horst Kühn.
"Postdemokratisches Ohnmachtsgefühl"
Einst galt die Region um Bitterfeld-Wolfen als Synonym für marode Wirtschaft, für vergiftete Luft, für verseuchte Böden. Doch das ist lange her. Aus den umliegenden Tagebauen sind Seenlandschaften geworden. Ende der 1990-er Jahre keimte Hoffnung, die Wiederauferstehung einer stolzen Industrieregion. Westberliner Solar-Enthusiasten versprachen ein Klimamärchen: das Solar-Valley. Ein Traum, der 2008 durch die asiatische Konkurrenz geplatzt ist. Damit erlebte Bitterfeld nach der Wiedervereinigung seinen zweiten Niedergang. Zu viel für die Menschen in diesem Landstrich. Sie fühlen sich abgehängt. Vergessen. Ein Erklärungsversuch des Magdeburger Sozialwissenschaftlers David Begrich.
"Das sind Menschen, die haben in den 25 vergangenen Jahren vielfältige biografische und politische Brüche erlebt, dass politische Leitbilder, die sie vor und nach der Wende hatten, zerbrochen sind. Also das postdemokratische Ohnmachtsgefühl ist sehr hoch."
Wirtschaftsaufschwung spüren die Menschen nicht
Bitterfeld wurde im aktuellen Raumordnungsbericht des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung als strukturschwach eingeschätzt. Und das, obwohl die Region in den vergangenen 27 Jahren auch einen Wirtschaftsaufschwung erlebt hat. Im Chemiepark Bitterfeld beispielsweise sind seit 1998 knapp 11.000 neue Jobs entstanden. 360 Firmen haben sich angesiedelt, 4,5 Milliarden Euro wurden investiert. Über allem schwebt das Bayer-Kreuz, denn fast jede Aspirin-Tablette in Europa kommt aus Bitterfeld. Die Arbeitslosigkeit liegt mit acht Prozent im einstelligen Bereich. 1991 lag sie noch bei 20 Prozent.
Die Erfolge kommen bei den Menschen aber wenig an, stattdessen herrscht noch immer das Bild, in Bitterfeld abgehängt und vergessen zu sein. Was auch damit zu tun habe, dass viele der Jobs nur schlecht bezahlt sind, vermutet Friedrich Pittner. Der in Bitterfeld lebende pensionierte katholische Priester beobachtet in der Region ein höchst diffuses Unzufriedenheitsgefühl.
Die Erfolge kommen bei den Menschen aber wenig an, stattdessen herrscht noch immer das Bild, in Bitterfeld abgehängt und vergessen zu sein. Was auch damit zu tun habe, dass viele der Jobs nur schlecht bezahlt sind, vermutet Friedrich Pittner. Der in Bitterfeld lebende pensionierte katholische Priester beobachtet in der Region ein höchst diffuses Unzufriedenheitsgefühl.
"Weil diese Bitterfelder Gegend eigentlich einen guten Ruf hat. Wenn die Schule zu Ende geht, die Kinder bekommen ihren Wunschberuf nicht. Und andere Job-Perspektiven sind zu wenig da."