"Polizei ist ganz wenig da, das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen", sagt ein Mann um die 60. Blauer Jogginganzug, breites Kreuz, krummer Rücken, zerfurchte Hände. Wegen der fehlenden Polizisten wünschen sich andere in Bad Bibra im südlichen Sachsen-Anhalt die DDR zurück.
"Gibt wenig Polizisten hier. Stimmt. Früher gab es den ABV. Der wusste wenn etwas ist, hat sich drum gekümmert. So was wäre nicht schlecht."
Zur Erklärung: Der ABV – der Abschnittsbevollmächtigte - das war der schnüffelnde und geschwätzige Volkspolizist, der alles im Blick hatte, alles Verdächtige weitermeldete.
Vorbeikommende Passanten nicken. Diese Zeiten sind allerdings vorbei. Stattdessen hat der CDU-Innenminister Sachsen-Anhalts, Holger Stahlknecht, die Idee von befristet angestellten Hilfspolizisten ins Gespräch gebracht. Stahlknecht plant, dass bis Ende 2016 250 dieser Hilfspolizisten einsatzfähig sein sollen. Bewerben kann sich jeder, der einen Realschulabschluss und ein sauberes Führungszeugnis vorweisen kann. Und die Hilfspolizisten sollen auch eine Schusswaffe tragen dürfen.
"Ich mach es mal bildlich: Man kann nicht rufen 'stehen bleiben oder ich schieße!', das ist nicht zulässig, aber zur Eigenwehr in Notwehrsituationen. Also wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht oder gerade stattfindet. Dass derjenige auch die Waffe benutzen kann, um sich selbst zu schützen."
"Da ist eine Schusswaffe das falsche Instrument"
Die Hilfspolizisten sollen Flüchtlingsunterkünfte bewachen, Schwerlasttransporte begleiten, den Verkehr kontrollieren. Dass die schnell ausgebildeten Hilfspolizisten allerdings mit Schlagstock, Pfefferspray und Pistole künftig unterwegs sein dürfen, dafür erntet Innenminister Stahlknecht von der Opposition harsche Kritik. Einer der Wortführer ist der innenpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Sebastian Striegel:
"Das ist nicht besonders wirklichkeitsnah, die Situationen in denen die Beamten eingesetzt werden sollen, zum Beispiel an Flüchtlingsunterkünften. Da können sie schnell unter großem Stress in die Situation kommen, dass sie sehr schnell Entscheidungen treffen müssen. Und da ist eine Schusswaffe das falsche Instrument. Und eine Schusswaffe in der Hand von jemand, der daran nur eine sehr eingeschränkte Ausbildung erfahren hat, ist überhaupt nicht das richtige Instrument."
Striegel kritisiert den Innenminister, dass er per Ministererlass, also am Landtag vorbei, die Hilfspolizisten einstellen wolle, für das es seines Erachtens laut Polizeigesetz überhaupt keine gesetzliche Grundlage gebe. Ähnlich sieht es Rüdiger Erben, der innenpolitische Sprecher der SPD in Sachsen-Anhalt.
"Die Polizei pfeift in weiten Teilen auf dem letzten Loch. Man kann auch sagen, kriecht auf dem Zahnfleisch. Und es ist überall durchgedrungen, dass man schnell etwas machen muss, qualitativ und quantitativ was machen muss."
Erben zweifelt - mit Blick auf das monatliche Salär eines Hilfspolizisten von etwa 1.400 Euro netto - dass man auf die Schnelle überhaupt 250 Hilfspolizisten finden werde.
Nach einer internen Statistik des Innenministeriums wird in Sachsen-Anhalt nur noch jede zweite Straftat aufgeklärt. 1.700 unbearbeitete Haftbefehle sollen auf den Tischen der Beamten liegen. Ein weiteres Thema sind die Überstunden, so stehen bei den Beamten der Landesbereitschaftspolizei laut Innenministerium 116.000 Überstunden auf dem Zettel – 30.000 mehr als im gesamten Vorjahr. Bei allen Polizeibehörden zusammen tragen die Beamten etwa 282.000 Überstunden vor sich her. Für Uwe Petermann, den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, eine Folge des Personal-Entwicklungskonzeptes der Landesregierung. Waren 2014 noch 6.100 Polizisten beschäftigt, seien es jetzt nun nur noch 5.900, sagt er. Im kommenden Jahr soll die Zahl auf 5.800 Beamte sinken. Das bedeute, statistisch gesehen kommen weniger als 8,8 Polizisten auf 100.000 Einwohner. Damit liege Sachsen-Anhalt unterhalb des Bundesdurchschnitts.
"Wenn ich die Bundesländer Revue passieren lasse, dann haben nahezu alle Bundesländer in diesem Jahr tatsächlich die Einstellung von neuem Personal deutlich erhöht. Mecklenburg-Vorpommern 100 mehr als in den Vorjahren, in Sachsen 250 mehr, in Nordrhein-Westfalen 1.000 - außer Sachsen-Anhalt, wir stellen 20 Hilfspolizisten ein.
Die frühestens im Herbst 2016 kommen sollen, von den restlichen 230 sei gar nicht klar, ob sie jemals kommen, so Gewerkschafter Petermann. Er nennt das Vorhaben ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver, nachdem die Landesregierung die Polizei über Jahre hinweg systematisch an die Wand gefahren habe. Und er fordert, statt Hilfspolizisten einzustellen, solle man aus anderen Behörden Beamte in den Innendienst der Polizei beordern, damit Polizeibeamte draußen auf den Straßen ihren Dienst tun können.
Sollte es allerdings in Magdeburg oder Halle zu Terrorgefahren wie dieses Jahr in Bremen, Braunschweig oder wie kürzlich in Hannover kommen, damit wäre die Polizei in Sachsen-Anhalt komplett überfordert, meint jedenfalls GdP-Funktionär Uwe Petermann .
"Das werden wir nicht beherrschen, dafür sind wir nicht gerüstet."