"Ist so kühn auch der Mund, Gräfenhainichen wird niemals bunt". Eine Drohung auf unseren Familiennamen bezogen. Oder das wir uns im Namen Gottes zurückhalten sollen, weil wir uns mitverantwortlich machen, wenn Ausländer Straftaten begehen, wenn wir sie sozusagen noch fördern. Das verunsichert schon."
Janine und Ulf Künemund, Besitzer einer Messebau-Firma in Gräfenhainichen - das liegt etwa 25 Kilometer südwestlich von Wittenberg - müssen derzeit massive Drohungen erleben, weil sie sich für Flüchtlinge engagieren. Keine einfache Situation gesteht Bürokauffrau Janine Künemund, die Ende der Neunziger aus Berlin in die anhaltische Provinz gezogen ist. Eine Frau, die jeden Gast herzlich begrüßt, sofort einen heißen Kaffee und einen Stuhl anbietet. Doch im Moment bekommt sie es oft mit der Angst zu tun.
Massive Drohungen gegen Flüchtlingshelfer
"Man guckt sich schon um. Mich ärgert es, wie es mich indirekt beeinflusst, obwohl ich stark genug sein müsste, dass zu relativieren. Aber so Momente, dass man zuhause schneller abschließt oder dass man die Rollläden früher runtermacht, dass macht mich wütend über mich selbst. Weil ich mich einschränken lasse, weil es mir Kraft nimmt und so viel positive Energie. Die ich für andere Sachen, für wichtigere Sachen bräuchte, die mir dann fehlt."
Janine Künemund lächelt. Ihre Augen blitzen, so als wolle sie sich selbst Mut zusprechen.
Absender der Drohungen ist unter anderem eine sogenannte "Bürgerkommission für Gräfenhainichen und Umgebung", erzählt die 43jährige. "Sie haben nicht das Recht für uns Bürger ihre persönliche Willkommenskultur zu zelebrieren", schreibt die sogenannte Kommission. Ulf Künemund – ein stämmiger Mann – ist cool und tut so, als ob ihn die Drohungen kalt lassen.
"Wir machen dass ja nicht, damit es uns gut geht, sondern wir machen es für die Stadt und die Region. Das ist ja unser Ding, damit wir eben nicht solche Schlagzeilen haben, wie wir sie jetzt haben."
In regionalen Zeitungen ist schon vom "Terror in Gräfenhainichen" die Rede. Und: Die Reihenfolge Gräfenhainichen, Clausnitz, Freital wolle er nie irgendwo lesen oder hören, sagt Künemund noch. Und drückt den Rücken durch. Von den Rechten, lasse er sich jedenfalls nicht umbiegen. Auch wenn die Drohungen massiv sind, wie er betont. So hätten die Täter gar Fotos mit dem Bild des Hauses und der Adresse der Künemunds an umliegende Bushaltestellen geklebt.
Offen bunt anders so nennt sich die Gräfenhainicher Flüchtlingsinitiative. Gegründet hat sie sich im vergangenen Dezember, nach einer Demonstration sogenannter besorgter Bürger, die Stimmung gegen Flüchtlinge machten. Mittlerweile sind in der örtlichen Initiative etwa 30 Menschen engagiert, die aus allen Milieus kommen.
Beleidigungen, Beschimpfungen, körperliche Gewalt
"Wir organisieren kleine Spenden, wir helfen den Flüchtlingen die Sprache zu lernen. Wir helfen, sie in örtliche Vereine zu integrieren. Wir machen einmal pro Woche ein Flüchtlingscafé."
Engagement, für das das Ehepaar Künemund nun in die Schusslinie von Asylgegnern geraten ist. Der Öffentlichkeit wolle man zeigen, sagen die Initiatoren, dass ihr 6.500 Einwohner große Ort anders ist, dass Flüchtlinge willkommen sind. Doch auf den Straßen sind nicht alle begeistert.
"Man weiß doch nicht, was einen noch so erwartet", sagt eine Frau, Mitte 30. Auch innerhalb der Kirchen-Gemeinde gibt es Debatten, während die einen das Kirchen-Asyl begrüßen, wird es von anderen strikt abgelehnt.
Beleidigungen, Beschimpfungen, körperliche Gewalt: Fremdenfeindliche Straftaten sind seit 2015 in Sachsen-Anhalt massiv angestiegen. So hat sich die Zahl der politisch motivierter Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu 2014 – laut Innenministerium – auf 71 Straftaten erhöht, also verneunfacht.
Weshalb die Anschläge, die Bedrohung von Flüchtlingshelfern in Gräfenhainichen für Wulf Gallert, den Spitzenkandidaten der Links-Partei zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt überhaupt nicht überraschend sind.
"Bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema schrecken Rechtsextreme und Rassisten vor nichts mehr zurück. Und im Endeffekt, dass müssen wir mal ganz deutlich sagen, dass es noch keine Tote bei Anschlägen auf Flüchtlingsheime gegeben hat, ist ja mehr Zufall als alles andere."
Themen wie fehlende Lehrer und Polizisten, die Hochschullandschaft: Der drastische Sparkurs der abgelaufenen Legislaturperiode ist selten Thema. Stattdessen geht es um die Flüchtlingskrise. Und wer in dieser Situation in Sachsen-Anhalt offen für Migranten wirbt, wie derzeit in Gräfenhainichen zu erleben, kann schnell zur Zielscheibe rechten Hasses werden: Virtuell wie real.