"Ja, der Bahnhof gehört keiner Stadt, keiner Kommune, niemandem – das ist unser Bahnhof!" Jörg Löffler ist stolz. Der 57-jährige Leiter einer Flüchtlingsunterkunft steht im Wartesaal des Bahnhof Eisleben. 2015 hat er zusammen mit knapp 40 anderen Mitsteitern eine Genossenschaft gegründet und den Bahnhof gekauft. Zu einer Zeit als das 1865 gebaute historische Bahnhofsgebäude nur noch eine runtergekommene Ruine war, die über Jahre leerstand. "Eisleben als besserer Haltepunkt, da hatte die Bahn kein Interesse und wäre auch gut mit einem kleinen Pavillion ausgekommen."
260 Bahnhofsretter
Während man in Stuttgart, München oder Hamburg viel Geld in neue Bahnhofsprojekte steckt, lässt man die kleinen – meist auch architektonisch interessanten – Stationen im ländlichen Raum verfallen: Bahnhofsretter Löffler kann es nicht verstehen.
Hätten die Bürger nicht das Zepter in die Hand genommen, würde es heute in Eisleben – immerhin Teil des UNESCO Weltkulturerbes – keinen klassischen Bahnhof mehr geben. Auch weil aufgrund der miesen Finanzlage, die Stadt das alte Gebäude nicht hätte kaufen können. Weshalb die Genossenschaft für Eisleben ein echter Glücksfall ist. 260 Mitglieder hat die Bahnhofsretter-Genossenschaft mittlerweile und die kommen nicht nur aus Eisleben, sondern aus ganz Deutschland, wie Köln, Hamburg und Berlin. Ein Anteilsschein kostet 200 Euro, doch damit wäre man nicht weit gekommen. Weshalb das Land der Genossenschaft unter die Arme griff und das Vorhaben mit 1,3 Millionen Euro unterstützte. Jetzt strahlt der Bahnhof wieder, den täglich etwa 1.000 bis 1.300 Fahrgäste frequentieren.
Entree mit Fußbodenheizung
Noch bis zum letzten Augenblick wurde gearbeitet. Nun ist aus der Bahnhofshalle ein lichtdurchflutetes helles Entree geworden. Ein warmer Willkommensgruß für jeden Besucher der Stadt Eisleben, die direkt an der Bahnstrecke Halle-Kassel liegt. Jörg Löffler steht auf dem edlen grauen Fliesen-Boden, darunter befindet sich eine Fußbodenheizung. Sein Blick kreist, die Augen strahlen.
"Da oben kommt ein Beamer raus. Wenn sie dahinten sehen, die farbigen Stühle, das ist die Bestuhlung, die gehört hier rein. Haben 100 Sitzplätze, kleine Bühne. Was man so braucht für eine Veranstaltungshalle. Sie können hier Kino machen, wir haben Wände für Ausstellungen. Beschallung. Alles da."
Nicht jammern, anpacken
Auch SPD-Oberbürgermeisterin Jutta Fischer – eine warmherzige und herzliche Frau – ist Bahnhofsretterin und hat für das Projekt aus ihrer Privatschatulle einen vierstelligen Betrag gespendet. Ihre Maxime: Nicht jammern, sondern anpacken.
"Wir haben die Spinnweben abgekachelt, haben etwas gemacht gemeinsam. Der Bahnhof erstrahlt. Na bitte schön: Herzlich willkommen in der Lutherstadt Eisleben."
Mit dem Projekt könne man zeigen, was möglich ist, wenn die Bürgerschaft kurzerhand selbst die Dinge in die Hand nimmt, wie man einem verfallenen Bahnhof neues Leben einhaucht, ihn zum Glänzen bringt.
Ähnliche Projekte gibt und gab es zwar auch schon anderswo, wie beispielsweise in Leutkirch im Allgäu, wo man den Bahnhof mit einer Wirtshausbrauerei samt Biergarten wiederbelebt hat. Mit dem kleinen, aber nicht unerheblichen Unterschied, dass Eisleben im Landkreis Mansfeld-Südharz liegt, eine der ärmsten Regionen Deutschlands. Doch das lässt man hier nicht als Ausrede gelten. Die Besucher staunen, sind über das Vorgehen der Deutschen Bahn aber irritiert, die gerade kleine Bahnhöfe verfallen lässt.
"Ich denke schon, dass die Bahn auf jeden Fall mehr in der Pflicht sein müsste, die Sachen in Ordnung zu halten."
Die Bahn hat sich dazu nur in einem Einzeiler geäußert und schrieb in einer E-Mail, Zitat: "Das Empfangsgebäude in der Lutherstadt Eisleben wurde verkauft, da die DB es nicht mehr für den Bahnbetrieb benötigt."
Ein höchst problematisches Kapitel
Überhaupt: Die Deutsche Bahn und Sachsen-Anhalt, ein höchst problematisches Kapitel. Denn nicht nur viele Bahnhöfe, sondern auch viele Strecken, insbesondere die kleinen Nebenstrecken, sind in einem schlechten Zustand. Und als ob es das Vergehen das Landes sei, hat die Bahn deswegen jahrelang vom Land Sachsen-Anhalt höhere Nutzungsgebühren als üblich verlangt.
"Speziell in Sachsen-Anhalt hat die DB-Netz AG seinerzeit festgestellt, dass die Trassen einen erhöhten Instandhaltungs- und Betriebsaufwand haben. Dann ist die DB-Netz AG hingegangen und hat gesagt, ich schlage auf die Nebenstrecken ein Zusatzentgelt drauf und das muss dann bezahlt werden. Andernfalls könne die Strecke nicht mehr vorgehalten werden."
Von einer Droh-Gebärde der Bahn will Rüdiger Malter nicht sprechen. Er ist der Geschäftsführer der zuständigen Landesbehörde – dem Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt. Aber man fühle sich von der Bahn in gewisserweise schon vorgeführt.
Kosten abwälzen
Denn der Staatskonzern habe doch so versucht, erklärt der Landesbeamte Rüdiger Malter, die Folgen der schlechten Infrastruktur, die teilweise auch noch aus DDR-Zeiten resultieren, auf das kleine Land Sachsen-Anhalt abzuwälzen. Was man überhaupt nicht akzeptieren könne, denn nach dem Grundgesetz gibt es eine klare Trennung, wer für was verantwortlich ist.
"Und für die Schienenstrecken des Bundes ist nach dem Grundgesetz Artikel 87e eindeutig der Bund zuständig. Und nicht die Länder."
Weshalb das Land Sachsen-Anhalt vor dem Landgericht Frankfurt nun 155 Millionen Euro von der Bahn zurückfordert. Inklusive Prozesskosten würde sich das – nach Angaben des Landes – auf etwa 235 Millionen Euro summieren. Anfang Juli soll es eine Entscheidung geben. Ein Musterprozeß, auf den auch andere Länder mit Interesse schauen. Die Bahn selbst will sich dazu nicht äußern.
Deutsche Bahn lässt sich Zeit
Zurück nach Eisleben. Denn während der Bahnhof saniert ist, sind die Bahnsteige – die Eigentum der Bahn sind - noch immer in einem sehr schlechten, man kann auch sagen miserablen Zustand. 2017 sollten sie eigentlich bereits saniert sein, doch bis jetzt ist nichts passiert. Jetzt hat die Bahn das Jahr 2020 avisiert.
Warum sich die Bahn so viel Zeit lasse, die Eislebener Rathauschefin Jutta Fischer kann es nicht verstehen. Startet aber einen dringenden Appell, der fast wie ein Hilferuf klingt:
"Ich wünsche mir eins: Das Bahnhofsgebäude ist gemacht. Jetzt möge bitte alles, was an den Gleisanlagen zu rekonstruieren ist, zu sanieren ist, dann realisiert werden. Eisleben darf niemals abgekoppelt sein."