Landtagswahl in Sachsen 2024
Hält die Brandmauer im Freistaat?

Die CDU führt bei den Wahlumfragen. Die AfD könnte die zweitstärkste Kraft in Sachsen werden, obwohl sie hier als gesichert rechtsextrem gilt. Das BSW liegt auf Platz drei. Für die CDU könnte die Suche nach einer Regierungsmehrheit kompliziert werden.

    Michael Kretschmer (CDU, l), Ministerpräsident von Sachsen, und Jörg Urban, Vorsitzender der AfD in Sachsen, stehen beim Wahlforum der drei großen sächsischen Tageszeitungen zur Landtagswahl im Stromwerk im Kraftwerk Mitte auf dem Podium.
    Sachsens Ministerpräsident Kretschmer (CDU) neben seinem größten Herausforderer, Jörg Urban von der AfD (rechts). Bleibt er bei seinem "Nein" zu der Partei? (picture alliance / dpa / Robert Michael)
    Aktuell regiert im Freistaat die CDU mit SPD und Grünen. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will, sollte seine Partei bei den Wahlen am 1. September 2024 wieder stärkste Kraft werden, künftig möglichst ohne die Grüne weiterregieren. Eine Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD schloss er aus, attestierte der Partei in seinem Bundesland eine immer radikalere Haltung und bezeichnete den Chef der Thüringer AfD, Björn Höcke, als Neonazi. Doch ob die CDU diese geschlossene Brandmauer auch nach der Landtagswahl aufrechterhalten kann, wird immer unwahrscheinlicher. Und dann wäre da noch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das die CDU thematisch angreift und damit vor sich hertreibt.
    Insgesamt spielen klassische landespolitische Themen wie Bildungspolitik kaum eine Rolle im Wahlkampf. Er ist vielmehr geprägt von bundespolitischen und weltpolitischen Themen.

    Überblick

    Wer sind die Spitzenkandidaten in Sachsen?

    Der wohl bekannteste Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Sachsen ist Michael Kretschmer von der CDU. Der 49-Jährige ist seit Dezember 2017 Ministerpräsident des Freistaates. Kretschmer ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und begann seine politische Karriere 1994 als Stadtrat in Görlitz. Im Wahlkampf hat Kretschmer Abschiebungen nach Syrien und nach Afghanistan ins Spiel gebracht und sich - entgegen der Parteilinie - gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen.
    Für die AfD tritt Jörg Urban als Spitzenkandidat an. Vor seinem politischen Engagement bei der AfD war der Wasserbauingenieur Landesgeschäftsführer der Naturschutzorganisation „Grüne Liga“. 2014 trat er in die neu gegründete Alternative für Deutschland ein, seit sechs Jahren ist er Vorsitzender der sächsischen AfD. Die bezeichnet das Landesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem. Im Vergleich zum Chef der thüringischen AfD, Björn Höcke, wirkt Jörg Urban auf den ersten Blick gemäßigter, führt seinen Landesverband nahezu geräuschlos, so Alexander Moritz, Dlf-Landeskorrespondent für Sachsen. Inhaltlich trenne Urban aber nur wenig von Björn Höcke, sagt der Extremismusforscher Steffen Kailitz.
    Spitzenkandidatin der SPD in Sachsen ist Petra Köpping. Köpping war ab 2014 Ministerin für Gleichstellung und Integration. Seit 2019 ist sie Ministerin für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt im Freistaat. Die 66-Jährige spricht sich für den Dialog aus, hat aber eine klare rote Linie. So schreibt sie auf ihrer Seite: „Mit Nazis rede ich nicht. Das ist verschwendete Zeit.“
    Für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) tritt in Sachsen Sabine Zimmermann als Spitzenkandidatin an. Bis 2021 saß die Baustoffingenieurin für Die Linke im Bundestag, inzwischen ist sie Vorsitzende des BSW in Sachsen. Zugpferd der Partei nach außen ist aber Sahra Wagenknecht. Die Namensgeberin und Parteivorsitzende prangt auf den meisten Wahlplakaten, dabei tritt sie bei den Landtagswahlen in Sachsen gar nicht an. Dazu sagte die eigentliche Spitzenkandidatin Zimmermann in einem MDR-Interview: „Sie hat die Strahlkraft und sie steht für die Themen.“ Deswegen störe sie das gar nicht.
    Für die Grünen tritt ein Spitzen-Trio an. Neben der sächsischen Justizministerin Katja Meier und dem Minister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft, Wolfram Günther, setzt die Partei auf Fraktionschefin Franziska Schubert. Damit wolle man einen anderen Politikstil aufzeigen, in dem es keine One-Woman- oder One-Man-Show gebe, sondern sich jeder mit seinen Stärken in einem Team einbringen könne. Aktuell regieren die Grünen den Freistaat gemeinsam mit CDU und SPD, waren bei der Wahl 2019 auf 7,7 Prozent der Stimmen gekommen. Dieses Mal müssen sie um den Einzug in den Landtag bangen.
    Für die FDP geht Robert Malorny als Spitzenkandidat in die Landtagswahl. Die Partei sitzt seit 2014 nicht mehr im sächsischen Landtag und schafft es nicht, sich über einzelne lokale Hochburgen hinaus zu profilieren. 2019 bekam die Partei 4,5 Prozent. In einer letzten Umfrage für diese Wahl lag sie bei drei Prozent. Darauf angesprochen sagte Malorny in einem Interview für die Zeitung der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die Gründe dafür seien „vielfältig“. Weil sie nicht im sächsischen Landtag vertreten sind, sei es „ungleich schwerer, mit landespolitischen Themen aufzufallen“. Außerdem sei er als Ingenieur „Vollzeitberufler“ und so finde seine politische Arbeit immer in seiner Freizeit statt.  
    Susanne Schaper heißt die Spitzenkandidatin für Die Linke im sächsischen Wahlkampf. Schaper ist gelernte Krankenschwester. Seit 2009 macht sie für ihre Partei als Fraktionschefin im Stadtrat von Chemnitz Politik, seit 2014 hat sie zudem einen Sitz im Landesparlament. Dort ist sie zuständig für die Sozial- und Gesundheitspolitik sowie den Tierschutz. Die 46-Jährige engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus. Mehrfach wurde ihr Chemnitzer Büro beschmiert, Scheiben eingeschlagen, sie wurde angepöbelt.

    Mit welchen Themen machen die Parteien Wahlkampf?

    Die CDU in Sachsen hat das Thema Migration in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs gerückt. Im August forderte Ministerpräsident und Spitzenkandidat der CDU, Michael Kretschmer, dass der Bund alle Aufnahmeprogramme stoppen solle. Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan müssten möglich sein, sagte der CDU-Politiker dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. "Das hätte "Signalwirkung ins Ausland und für die Bevölkerung", so Kretschmer.
    Sowohl der sächsische Ministerpräsident Kretschmer als auch Parteichef Friedrich Merz lehnen eine Zusammenarbeit mit der AfD ab – auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Und doch arbeiten beide Parteien im Kleinen längst zusammen, bringen Anträge durch. Im Juni kündigte Bautzens CDU-Landrat Udo Witschas an, sowohl mit der AfD als auch mit den Freien Sachsen zusammenzuarbeiten.
    Die AfD fordert in ihrem Landtagswahlkampfprogramm, Bürgergeld nur an Deutsche auszuzahlen, und schärfere Sanktionsmöglichkeiten gegen alle Leistungsbezieher. AfD-Spitzenkandidat Urban möchte außerdem 5.000 Euro für jedes Neugeborene auszahlen lassen – vorausgesetzt die Eltern haben nur die deutsche Staatsbürgerschaft, leben seit mehr als zehn Jahren in Sachsen und haben eine abgeschlossene Ausbildung. Dafür will er beispielsweise im Bereich Demokratieerziehung und bei freiwilligen Integrationsmaßnahmen einsparen. Wie das BSW verspricht auch die AfD ihrer Wählerschaft einen Corona-Untersuchungsausschuss und spricht sich gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine aus.
    Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) will keine Waffenlieferungen an die Ukraine und wünscht sich einen diplomatischen Ausgleich mit Russland, so heißt es gleich im ersten Kapitel des 50-seitigen Programms zur Landtagswahl.
    Auf Sachsen bezogen fordert die Partei an Schulen einen stärkeren Fokus auf Grundkenntnisse wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu legen. Das Mittagessen in Kindergärten und Grundschule soll kostenfrei sein. Smartphones und Tablets sollen bis zur sechsten Klasse im Unterricht verboten werden. Im sächsischen Landtag will das BSW einen Untersuchungsausschuss zur Coronapolitik einsetzen. Zusätzlich soll eine Kommission die Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk überprüfen, vor allem zu Corona und zum Krieg in der Ukraine. Das BSW will außerdem weniger Asyl-Zuwanderung und mehr Abschiebungen, insbesondere von ausländischen Intensivstraftätern, so Alexander Moritz, Dlf-Landeskorrespondent für Sachsen.

    Was sagen die aktuellen Umfrageergebnisse in Sachsen?

    Nach dem am Freitag (09.08.2024) veröffentlichten ZDF-"Politbarometer Extra" für Sachsen kommt die CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer auf 34 Prozent und liegt damit seit Längerem erstmals wieder vor der AfD. Die folgt mit 30 Prozent. Dass die CDU in Sachsen wieder vor der AfD liegt, schrieb der Politikwissenschaftler Hans Vorländer im ZDF-„Morgenmagazin“ einem „Kretschmer-Faktor“ zu. Dieser habe schon bei der letzten Landtagswahl 2019 dazu geführt, dass die CDU vor der AfD ins Ziel kam, obwohl die Umfragen zuvor die AfD vorn gesehen hätten.
    Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sieht die ZDF-Umfrage derzeit bei elf Prozent. Grüne und SPD kämen jeweils auf sechs Prozent, Die Linke wäre mit vier Prozent nicht mehr im Landtag vertreten.

    Welche Koalitionen sind in Sachsen denkbar?

    Ob Kretschmers CDU das bisherige Regierungsbündnis fortsetzen kann, ist ungewiss. Laut ZDF-Politbarometer kommen die beiden aktuellen Koalitionspartner SPD und Grüne auf jeweils 6 Prozent und würden damit knapp den Wiedereinzug in den Landtag schaffen. Dann könnte die jetzige Koalition weiter regieren. Theoretisch möglich wäre auch eine Koalition aus CDU und BSW. Koalitionen mit der AfD sind per Parteitagsbeschluss der Bundes-CDU ausgeschlossen. Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen wird die AfD von den Landesverfassungsschutzämtern als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Den Linken droht im Freistaat mit 4 Prozent ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde.
    Laut der Umfrage wissen derzeit ein Drittel der Befragten noch nicht sicher, wen oder ob sie wählen wollen. 60 Prozent wünschen sich, dass nach der Landtagswahl erneut die CDU die Regierung führt.
    Auch das BSW schließt eine Koalition mit der AfD aus. Ein Bündnis mit der CDU dagegen scheint denkbar, wenn auch nicht um jeden Preis. „Wir werden nur in eine Regierung eintreten, wenn es uns gelingt, wirklich spürbare Veränderungen und Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen“, so Sahra Wagenknecht im Mai 2024. Dabei wolle sie selbst keine Rolle in der Landespolitik spielen, auch nicht als Ministerin.

    nsh