Folgen der Landtagswahlen
Sorgen um wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen und Thüringen

Ökonomen und Wirtschaftsverbände blicken besorgt auf die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen. Denn in Ostdeutschland fehlen Fachkräfte noch stärker als im Rest des Landes und das Erstarken der AfD wird die Anwerbung weiter erschweren.

    Baustelle von Infineon in Dresden im Mai 2024
    Infineon baut gerade an der Erweiterung seiner Chipfabrik, Fachkräfte für den Standort zu finden, könnte schwer werden (picture alliance / Chris Emil Janßen / Chris Emil Janssen)
    Ein wichtiger Standortvorteil Deutschlands war bisher immer die stabile politische und rechtliche Lage. Durch die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen hat dieses Image Schaden genommen, sowohl Investoren als auch Fachkräfte könnten abgeschreckt werden.

    Wie ist die wirtschaftliche Lage in Sachsen und Thüringen?

    Die Konjunktur ist im Osten sogar besser als in Gesamtdeutschland. Das ifo-Institut traut den ostdeutschen Bundesländern im Jahr 2024 ein Wachstum von 1,1 Prozent zu, dem gesamten Land nur ein Plus von 0,4 Prozent. Nach Zahlen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle ist die ostdeutsche Wirtschaft auch auf das vergangene Jahrzehnt betrachtet stärker gewachsen als die im Westen.
    „Wenn man sich die letzten 20 Jahre Wirtschaftsentwicklung gerade in Ostdeutschland anschaut, dann sollten die Populisten in Ostdeutschland eher weniger Stimmen haben als im Westen“, sagt der Wirtschaftsforscher Reint Gropp. Für das Jahr 2024 ist der Trend für Sachsen allerdings gedämpft, das ifo-Institut erwartet nur 0,4 Prozent Wachstum. Grund dafür sind die schwächelnde Industrie und die Baubranche.
    Seit der Wiedervereinigung haben sich zahlreiche wirtschaftliche Daten zwischen Ost und West angenähert: Die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen und auch die Differenz bei Löhnen und Gehältern ist kleiner geworden, liegt bei Durchschnittslöhnen aber immer noch bei 16 Prozent. Und insbesondere bei Vermögen sind die Unterschiede noch groß – und werden größer. Das liegt primär am vergleichsweise kleinen Immobilienbesitz der Ostdeutschen.
    Und insbesondere eines trübt den Blick in die Zukunft: Thüringen und Sachsen haben seit der Wiedervereinigung rund ein Fünftel der Bevölkerung durch Abwanderung verloren. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, hat in ihrem jüngsten Arbeitsmarktbericht darauf hingewiesen, dass der Fachkräftemangel in den ostdeutschen Flächenländern schon jetzt viel größer sei als im Westen des Landes.

    Wie wird das Wahlergebnis die Wirtschaft beeinflussen?

    Aus der Wirtschaft gibt es nach der Wahl zwei zentrale Sorgenthemen. Erstens ist das die Unsicherheit, die die ungewöhnlichen Kräfteverhältnisse in den Landtagen in Sachsen und noch mehr in Thüringen mit sich bringen.
    Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer warnte wegen der erwarteten schwierigen Regierungsbildung, die Monate dauern könne, vor Stillstand. Ohne stabile Mehrheit gebe es keine politischen Entscheidungen. Vor allem werde kein Landeshaushalt verabschiedet. "Das bedeutet aber, dass Unternehmen, Hochschulen, kulturelle Einrichtungen, Bürgerinnen und Bürger keine Planungssicherheit haben", sagte die Ökonomin. "Gerade für die Wirtschaft ist Unsicherheit aber Gift, die Unternehmen werden Investitionspläne verzögern oder ganz aufgeben, mit negativen Auswirkungen auf das Wachstum."
    Auch Colette Boos-John, die in Thüringen die Lobby-Organisation "Die Familienunternehmer" leitet, sieht in den politischen Machtverhältnissen einen lähmenden Faktor. Es drohe eine erneute Minderheitsregierung, das sei teuer, weil viele Kompromisse eingegangen werden müssten, und führe tendenziell zu wirtschaftlichem Stillstand.

    Fachkräftemangel dürfte sich verschärfen

    Das zweite große Sorgenthema ist der Fachkräftemangel. Wirtschaftsvertreter und Ökonomen befürchten, dass das Wahlergebnis den ohnehin großen Mangel weiter verschärfen wird. Christian Haase, der in Sachsen den Verein "Die Familienunternehmer" leitet, fordert, dass Weltoffenheit für die sächsische Wirtschaft ganz oben auf die Agenda müsse. Im Wettstreit um Fachkräfte sei „das starke Abschneiden der AfD nicht hilfreich“. Der Verein hatte vor einer Wahl von AfD und BSW gewarnt. Die beiden Parteien seien extrem und populistisch, hätten keine überzeugenden Wirtschaftskonzepte und bedrohten die Stabilität des Freistaats.
    Der Ökonom und DIW-Chef Marcel Fratzscher hält es sogar für wahrscheinlich, dass die Wahlergebnisse zu einer Abwanderung von Fachkräften und in der Folge auch von Unternehmen führen könnten. Insbesondere junge und hochqualifizierte Menschen würden Regionen bevorzugen, an denen sie mehr Offenheit und Wertschätzung erfahren können.
    Auch der Digitalverband Bitkom warnt: Ohne Fachkräfte aus dem Ausland könne man die Chipfabriken in Sachsen nicht betreiben. Aktuell baut der Halbleiterkonzern TSMC ein neues Werk in Dresden, Intel plant eine Chipfabrik in Magdeburg und auch Infineon baut in Dresden. In Sachsen hat sich über die vergangenen drei Jahrzehnte ein Geflecht aus Unternehmen der Mikro- und Nanotechnologie gebildet, dazu auch zahlreiche Softwareunternehmen und eine gute Vernetzung mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen. 73.000 Arbeitskräfte hängen an diesen Strukturen, die auch als „Silicon Saxony“ bezeichnet werden.

    Wie wichtig ist die Wirtschaftslage für den Wahlausgang gewesen?

    Wirtschaftsforscher Gropp hat für die europäischen Länder untersucht, wie die lokale wirtschaftliche Entwicklung das Wahlergebnis von Populisten beeinflusst. Der Zusammenhang sei aber eher schwach, ob die Wirtschaft lokal gut oder schlecht läuft, ist für Populisten also nicht so relevant.
    Die Ursache für das Wahlverhalten sieht Gropp stattdessen in empfundener Unsicherheit. Die Welt verändere sich stark, beispielsweise durch die Demografie, den Klimawandel und den Krieg in der Ukraine. Stichhaltige Lösungen habe die AfD zu diesen Problemen allerdings nicht. Die etablierten Parteien müssten ihre Kommunikation verbessern. In der öffentlichen Debatte sei zu sehr der Eindruck entstanden, dass Geflüchtete und Menschen, die nicht arbeiten, die Profiteure seien, während hart arbeitende Menschen unter der Politik litten.

    pto