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Sackgasse Kopierschutz

Unterhaltung.- Wissenschaftsjournalist Maximilan Schönherr ist durch die Hallen der Frankfurter Buchmesse gezogen. Sein Eindruck: Vollwertige Tablet-Computer scheinen reine Lesegeräte wie das Kindle zu verdrängen. Zudem könnte der Kopierschutz von digitalen Büchern bald der Vergangenheit angehören.

    Ja, diese Buchmesse lebt in einer Umbruchzeit, und ich vermute, sie wird noch ein bisschen länger dauern. Hier bin ich am Stand eines der größten Lexikonhersteller in Deutschland, mit einer langen Tradition: bei Brockhaus. Da gibt es den "Großen Brockhaus in einem Band", silbern aufgemacht, sehr hochwertig, dann das Deutsche Wörterbuch von Wahrig, dann Wahrig, die Deutsche Rechtschreibung. Und das ist bei Duden, bei Langenscheidt, bei Pons und Co. nicht viel anders, und auf fast allen Ständen findet man, und zwar sehr prominent vorne, einen dieser Tablet-PCs oder Smartphones. Hier zum Beispiel bin ich beim Wahrig. Da kann ich jetzt also nachgucken, was man unter einem "Champion" versteht; es kommt mit einem Klick auf den Bildschirm: "Ein Champion ist ein Spitzenreiter, ein Meister, Favorit, Crack, Rekordhalter, Gewinner; umgangssprachlich auf eine Kanone, ein Ass."

    Manfred Kloiber: Tja so einfach kann das sein – denn die Vorteile gegenüber einem Buch liegen auf der Hand: Volltextsuche, statt blättern. Und man muss keinen dicken Schinken mit sich herumschleppen. Nur einen kleinen Tablet-PC. Und da passen dann Hunderte an Büchern drauf. Aber findet man das, was Sie, Maximilian Schönherr, da eben demonstriert haben, nicht auch alles im Internet?

    Maximilian Schönherr: Nicht auf so knappem Raum. Man muss sich das alles zusammensuchen. Aber man wird im Internet dann viel reichhaltiger bedient. Die Verleger, mit denen ich auf der Messe sprach, waren gar nicht pessimistisch, was die Verkäufe ihrer Lexika, Bücher und der bunten Apps, die sie jetzt alle machen, angeht, und fast alle sind auch im Internet inzwischen mit kostenlosen Inhalten vertreten. Für den Kunden spielt die Psychologie die wichtige Rolle: Traue ich dem Inhalt eines ehrenwerten Verlagshauses mehr als zum Beispiel einem Uni-Projekt wie dict.cc oder der Wikipedia? Die Frage hängt mit dem enzyklopädischen Bildungsbürgerideal der Aufklärung zusammen. Ich sage mal: 19. Jahrhundert. Natürlich verschiebt sich das von Generation zu Generation allmählich. Junge Menschen vertrauen dem freien Wörterbuch Wiktionary zum Beispiel – vermutlich ungebremst. Da hören sie das Wort "Champion" ausgesprochen in britischem und amerikanischem Englisch und auch noch in Französisch. Wenn man die Verlegerseite betrachtet, darf man es nicht unterschätzen, welch großen Schritt es für bezahlte Lexika- und Wörterbuchredaktionen bedeutet hat, Inhalte frei ins Netz oder superbillig in eine App fürs Smartphone zu stellen. Am Messestand von Pons traf ich einen Angestellten, der sich noch bis vor kurzem als Digital Content Manager oder so vorgestellt hätte, also quasi den, der für die Online-Sachen zuständig ist. Jetzt heißt er: zuständig für die kostenlosen Inhalte.

    Kloiber: Das hört sich auch so an, als wenn das Ganze ein bisschen abgeklärter sei. Wie finanzieren denn diese Verlage ihre kostenlosen Wörterbücher im Internet?

    Schönherr: Die finanzieren sich überhaupt nicht. Im Internet wird so nämlich kein Geld verdient. Die Besucher der Webseite, die so zufrieden sind, dass sie sich die App oder gar das Buch kaufen, kann man an einer Hand abzählen. Die Internetauftritte sind eine Sache der Markenpflege, und die ist überlebenswichtig für die Verlage. Wie verschnarcht und altmodisch würde der Duden heute dastehen, wenn er nur Bücher verkaufen würde! Wann haben Sie zuletzt eine Zeitungswerbung für den Duden gesehen? Also bei mir ist das lange her. Wenn man ein Wort bei Duden oder Pons online nachschlägt, prägt sich die grüne oder gelbe Farbe der Marke ein, und wenn uns das Suchergebnis gefällt, gehen wir eben wieder hin. Und immer wieder. Die Werbepsychologie funktioniert im Internet prima, denn auf einmal gucken ja Millionen Leute monatlich diese Farbe, grün oder gelb, diese Marke an und assoziieren damit vielleicht: angenehm, bisschen umständlich, aber gut.

    Kloiber: Und schalten die Verlage keine Online-Werbung?

    Schönherr: Ja, sie schalten schon Online-Werbung. Und das tut ihnen weh. Das machen sie ganz ungern. Und ich finde es selber irritierend, wenn ich bei Pons jetzt ein Wort nachschlage und dann oben und rechts Werbebanner herumzappeln Ich bin ja nicht zur Entspannung hier, sondern ich mache etwas eigentlich sehr konzentriertes. Ich mache ja Spracharbeit. Ich will etwas nachschlagen. Der Verlag kennt dieses Problem und hat aus dem Grund schon den Werbedienstleister gewechselt, weil die Werbung, die der erste automatisch schalten ließ, zu schrill war.

    Kloiber: Die letzten Jahre waren ja von E-Books und auch vom digitalen Rechtemanagement – DRM nennt man das – geprägt. Der Kopierschutz war immer ein ganz wichtiges Thema in Frankfurt – dieses Jahr auch so?

    Schönherr: Ja und nein. E-Book – da kann man ja zweierlei Dinge drunter verstehen: den E-Book-Reader, also das Lesegerät für digitale Bücher. Habe ich übrigens auf der Messe kaum welche gesehen von diesesn klassischen Sony- und Amazon-Readern. Es waren meistens eben die Tablet-PCs die vorne standen. Und ich vermute, es liegt daran, dass die mehr leuchten. Also das könnte ganz trivial die Antwort sein. Vielleicht aber gehen tatsächlich diese klassischen Lesegeräte wieder zurück.
    Kloiber: Einfach schöner anzusehen.

    Schönherr: Einfach schöner anzusehen. Es sieht brilliant aus, wenn man da zu dem Stand hingeht.

    Kloiber: E-Book ist ja meistens auch nur schwarz-weiß.

    Schönherr: Schwarz-weiß ist natürlich energiesparend und ließt sich auch bei Sonne gut. Aber so eine Messe ist halt kein Sonnenumfeld. Das E-Book selbst ist ja das digitalisierte und in der Regel mit Kopierschutz versehene Buch. Viele Verlage bieten das an – insbesondere die großen. Aber die Verunsicherung hat da zugenommen. Im letzten Jahr sah es danach aus, als sei ePub ein Format, mit dem man als Verlag und als Käufer eines Lesegeräts einigermaßen sicher in die Zukunft planen kann. Aber mein Eindruck, dass dieses Format ein Auslaufmodell ist, verfestigte sich, als ich am Donnerstag einen Vortrag mit dem Titel "Jedes 2. eBook illegal? Überlebensstrategien für Fachverlage" hörte. Dem Raubkopieszenario liegen Studien zugrunde, nach denen alle Buch-Bestseller und ein großer Teil der anderen digitalen Titel über Tauschbörsen in die PCs und eBook Reader und Smartphones hinein gelangen. Selbst wenn nur ein Teil davon wahr wäre, dieser Trend besagt ja: Hier funktioniert auf breiter Front ein Kopierschutz – das Digital Rights Management – nicht. Robert Görlich, der den Vortrag hielt, berät Verlage, ihre Inhalte in digitaler Form zu vermarkten, und sieht noch einen weiteren Grund für das Ende von DRM:

    O-Ton Robert Görlich:

    "Also ich glaube, dass das Thema Digital Rights Management dadurch wegfällt, dass die Online-Entwicklung in den nächsten Jahren so stark sein wird, dieses immer und überall online sein, das Arbeiten in der Cloud, wie es die Großkonzerne wie Google und Amazon machen. Da sehen wir eben, dass der Verlag sein Rollenbild komplett neu definieren muss, um überhaupt da noch zu überleben. Download in dem klassischen Sinn, wie wir ihn jetzt haben, wird es nicht mehr geben. Die Entwicklungen, die im globalen Zusammenhang mit Apple, Google und Amazon stattfinden, sind eben für die Fachverlage eine Bedrohungssituation."

    Schönherr: Viele Fachverlage erkennen diese Bedrohung noch nicht, denn sie verkaufen nach wie vor ihre Bücher nur in Papierform. Es gab einige Experimente, teuere Fachbücher, die als Buch sagen wir mal 40 Euro kosten, für 40 oder 30 Euro als App oder E-Book zu verkaufen. Diese Versuche schlugen fehl, und zwar aus mehreren Gründen: Bevor jemand für ein Buch, was er am PC lesen oder umständlich selber ausdrucken muss, so viel Geld ausgibt, überlegt er, ob er es als Raubkopie bekommt. Übrigens nutzen die meisten dann bezahlte Zugangsdienste für diese Raubkopien, weil das Herunterladen von einem solchen anonymen Server schneller geht als mit einer klassischen Tauschbörse wie einem Torrent. 30 Euro gibt man aber auch nicht gern für ein digitales Buch mit Kopierschutz aus, weil man es keinem Kollegen oder Freund ausleihen kann, geschweige denn ein paar Jahre später weiterverkauft.

    Kloiber: Reden wir mal über die großen Player in diesem Zusammenhang. Amazon, Apple, Google.

    Schönherr: Das sind Cloud-Anbieter. Das heißt, sie verlegen die Inhalte irgendwo in Großrechenzentren hinein, so dass man es dann – das ist das Kaufargument – von überall drauf zugreifen kann. Daran musste sich die Musikindustrie schon gewöhnen, bei den Verlagen wird das etwas länger dauern. Apple ist in kürzester Zeit zum E-Book-Verkaufsportal Nummer eins in Deutschland geworden. Man drängt die Verlage, ihre Bücher zu digitalisieren. Dieser Druck gefällt vielen Verlegern überhaupt nicht. Zudem sind die Bedingungen, Bücher über diese Portale zu verkaufen, gar nicht ideal. Der Verlag bekommt zwar eine Abrechnung über die verkauften Exemplare oder bezahlten Downloads, aber er erfährt nicht, welche Bücher der Kunde, der Buch X gekauft hat, sonst noch kauft oder sich online ansieht. Robert Görlich riet den Verlegern in seinem Vortrag deswegen, sich diesen großen Playern – Google hat gerade angekündigt, mit seinem Internetbuchladen nach Europa zu kommen – nicht auszuliefern; es hieße, sich selbst aufzugeben. Er riet den Verlegern, sich auf das Eigentliche zu besinnen, nämlich auf den lesenden Kunden.

    O-Ton Robert Görlich:

    "Dass man den Leser nicht in ein Korsett zwingt, sich für ein Format zu entscheiden – ich kaufe mir jetzt ein pdf oder ein ePub-Dokument, ich kaufe mir jetzt ein gedrucktes Buch –, sondern Kombinationsmodelle anzubieten. Das heißt, ich kaufe beispielsweise das gedruckte Buch, und da ist automatisch die Nutzung einer Online-Library beispielsweise möglich, und ich kann die Vorteile von eBooks in einer Online-Applikation nutzen, wie eine Volltextsuche, wie Annotationsmöglichkeiten wie Text aus dem Dokument herauskopieren. Also all diese Vorteile, die ich im E-Book eben habe."

    Schönherr: Also fast das Ende vom Digital Rights Management, aber eine große Zukunft für das E-Book, solange sich die Verlage langsam mal drauf einstellen.

    Sendungsübersicht zur Frankfurter Buchmesse